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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


zu den Ardennen, um Nester auszuheben und die Brut heranzuziehen. Der exotische Vogelhandel, der in Paris in großartigem Maßstabe florirt, vermag gleichwohl der einheimischen Production keine Concurrenz zu bereiten. Der Pariser Arbeiter und die Blumenmacherin ziehen einen mauserigen Flachsfink dem blanksten Canarienvogel vor; sie meinen, daß der andere sich besser ausnimmt zwischen ihren Blumen am Dachfenster. Uebrigens sind sie auch mit einem schlichten Sperling zufrieden.

Wenn man Vergleiche auf den deutschen und romanischen Märkten und im Heim der Kenner und Liebhaber anstellt, dann wird man unbedingt finden, daß die deutschen Vogelfänger manche Vorzüge vor jenen haben. Sie wissen besser mit den Thieren umzugehen; sie behandeln dieselben rationeller; man kann sogar sagen: wissenschaftlicher. Eine Ausnahme bilden vielleicht nur die obengenannten Wallonen, wobei aber schwer zu sagen ist, ob die rationelle Art von den Wallonen oder von den Flamändern stammt. Es ist zum Beispiel einem Franzosen oder Italiener ziemlich gleichgültig, zu welcher Frist er einer Nachtigall oder Lerche Mehlwürmer oder scharfes Futter giebt, die eigentlichen Kenner dagegen warten die geeignete Zeit ab und steigern sie allmählich. In derselben Weise ist der deutsche Züchter vorsichtig in der Wahl der Körner und gewissenhaft in der Reinlichkeitspflege. Er versteht die Kunst, das Leben des gefangenen Vogels zu verlängern – ein Punkt, worüber der Romane sich weniger Kopfschmerzen macht.

Am gleichgültigsten und leichtsinnigsten ist in all’ diesen Punkten der Italiener, der überhaupt auf den Vogel in der Gefangenschaft nicht viel giebt; er hat ihn lieber im Topfe. Die Herbstzeit, der Beginn der Wanderzeit, könnte für den Zugvogel in Deutschland mit einer Fegefeuer-Periode verglichen werden, aber es wird dieselbe Periode in Italien zur Hölle. Der große Vogelzug, der über die Alpen südwärts geht, hat einen ununterbrochenen Kampf zu bestehen, von den zahlreichen Thälern, Schluchten und Defileen der großen deutsch-romanischen Bergkette bis zur Küste von Ostia, wo einer der großen Sammelplätze ist für den gemeinsamen Zug aber die Meeresfluth.

Wenn man in Deutschland dem armen Wanderer aufgelauert hat mit Schlingen, mit Leimruthen, mit Springgarnen, mit Flügelnetzen, mit „Trassen“ zur Tag- und Nachtzeit und nebenbei mit Flinten und anderen Mordwaffen, mit und ohne polizeiliche Erlaubniß, so tritt auf der Südseite der Alpen das große Wandnetz (Roccollo) in seine Rechte, das lange Flügelgarn und die ganze hungrige Jagdgier des lebhaften italienischen Volkes. Wenn in Deutschland die Passion noch einen gewissen gemüthlichen Anstrich hat, weil viele Vögel eingefangen werden, um im Zimmer in der Gefangenschaft gehegt zu werden, so ist sie in Italien dieses Anstriches vollständig entkleidet, weil dort die ganze Jagd für den Magen, für die Küche betrieben wird. Nur ein verschwindend kleiner Theil der Vögel wird in Gefangenschaft gehalten.

Im Herbste, wenn den Wanderzug die Campagna zu berühren anfängt, begeben sich die edlen Römer mit Kind und Kegel hinaus in die Ebene zum Fange der „uccelli“. Ein Theil geht bis nach Ostia auf den Wachtelfang, indessen ist die eigentliche Wachteljagd im Frühjahre. Im Herbste werden nur kleine Partien weggefangen, wenn die Thiere an der Küste ihre letzte Rast halten. In der Campagna wird aber Alles, ohne Ansehen des Gefieders, mitgenommen und mit allen erdenklichen Waffen bekriegt. Netze, Fallen und Vogelflinten, die zu führen der Römer sich nicht nehmen läßt, kommen zur Anwendung. Die Resultate dieser Tage kann man auf dem alten Markte beim Pantheon erkennen. Dort spielt einige Woche hindurch der „kleine Vogel“ die Hauptrolle. In unzähligen Koppeln und ohne Auswahl sind Lerchen, Finken, Schwalben, Sprosser zum Kaufe vorhanden. Ein ähnlicher Markt dürfte schwerlich in einer andern Stadt Europas vorhanden sein, und man muß sagen, glücklicher Weise. Die Jagdzeit wiederholt sich im Frühjahre, wenn die Vögel aus Afrika zurückkehren. Alsdann werden an der Küste die langen Wachtelnetze ausgespannt und die ermüdeten Thiere zu Tausenden hineingetrieben. In derselben Frist wird in der Campagna mit entsprechendem Eifer der Lerchenfang betrieben. Vielleicht tragen diese heftigen Nachstellungen bei der ersten Berührung des europäischen Bodens dazu bei, die Thiere schneller und in größeren Schwärmen nach dem Norden zu treiben. Im Frühjahr bringt die Lerche ein eigenthümliches, wunderbares Leben in die große römische Campagna. In der frühlingsfrisch und fröhlich aufblühenden Ebene ertönt unbeschreiblicher Gesang. Es ist gleichsam ein singendes Netz über das grüne Land gespannt, unter welchem der harmlose Spaziergänger neben dem grünen Jägersmanne einherschreitet. Die Verfolgung hält den edlen Vogel nicht ab von seinem alten Brauche, immer und immer wieder in den Himmel hineinzusteigen, dem Lichte, dem ewigen Sonnenlichte entgegen mit jubelndem Sangesgruße.

Der Vogelfänger in der Campagna bringt das „doppelte Flügelgarn“ zur Anwendung, welches ebenfalls in Norddeutschland, im Niederland und in Frankreich gebraucht wird. Der Vogelsteller sitzt dabei in seiner Reisighütte; er hat Lockvögel und Lockpfeifen. In Rom habe ich auch das kleine Springgarn gefunden, welches besonders im Frühjahre zur Anwendung kommt und wohl die verächtlichste Fangart repräsentirt. Ich sage: auch, denn ich habe es leider in Deutschland zuerst getroffen. Es wird im Frühjahre, in der Brutzeit gebraucht. Der Vogelsteller legt sich mit demselben in Hinterhalt, an einen kleinen, einsamen Wasserpfuhl, bei welchem das Netz gespannt wird. Alle Vögel, die dabei weggefangen werden, werden dem Neste und der Brut entrissen. Die solcher Weise gefangenen Sänger sterben fast immer; natürlich geht nebenbei die Brut zu Grunde. Diese Fangart sollte allenthalben durch ein besonderes strenges Gesetz verboten werden.

Man sagte mir, daß im Römischen auch der sogenannte „Trassengang“ bekannt sei, der in einigen Gegenden Norddeutschlands betrieben wird. Aber ich hatte keine Gelegenheit, mich von der Wahrheit zu überzeugen. Am Niederrhein ist er vielfach in Schwang und gehört zu den jagdberechtigten Fangarten. Die Jäger machen sich mit der „Trasse“, einem oft zwanzig Fuß langen aufgespannten Netze, bei Nacht auf den Weg. Das Feld, in welches ein Schwarm Lerchen (im Herbste) eingefallen ist, wurde am Abende durchsucht, und die Leute kennen beiläufig die „gefüllte Stelle“. Auf Commandoruf wird das Netz niedergelegt, und die aufflatternden Vögel werden mit leichter Mühe gefangen und getödtet. Im Hannoverschen soll eine ähnliche Netzconstruction gebräuchlich sein, die durch Pferde über das Feld gezogen wird. Zu den großen Fangnetzen gehört ferner noch das berüchtigte Roccollo in den Alpen. Es kommt in allen Thälern der großen Alpenkette von Chambery bis nach Trient zur Anwendung; an allen oberitalienischen Seen, am Lago maggiore, am Lago di Como, am Gardasee bildet diese Jagd das Ergötzen der Liebhaber.

Italienische Nobili haben sich eigene Villen im Gebirge bauen lassen, um bequem diesem Fange obliegen zu können. Die roccolli (die Piemontesen nennen es rai) bilden eine zwölf Fuß hohe, oft sehr lange Netzwand, welche auf einem hohen Felsen, der aus einer von Norden nach Süden streichenden Schlucht hervorspringt, aufgepflanzt wird. Das Garn wird möglichst nahe an den Abhang gebracht. Vor demselben wird der Boden aufgeworfen, Futter gestreut und werden Lockvögel, im Bauer und am Halfter, angebracht. In einer Entfernung von etwa fünfzig Schritten befindet sich die Hütte des Vogelstellers. Er ist mit einer „Holzratsche“ bewaffnet oder hat auch eine Flinte zur Hand, um im geeigneten Momente zu schießen. Die Vögel fallen auf den Vorsprung ein, zur Wanderzeit oft in dichten Schwärmen; der Vogelsteller wartet eine gehörige Ansammlung ab und springt plötzlich mit seinem Instrumente hervor, ein entsetzliches Getöse in der Bergeinsamkeit machend. Die Vögel habe die Gewohnheit, nach kurzem Auffluge, vielleicht in Folge des Schreckens, sofort wieder niederzusinken, und zwar lassen sie sich sanft an dem Felsen hinabgleiten. So gerathen sie in das verrätherische Netz, welches mit hinterlistiger Geschicklichkeit an der Bergkante aufgestellt ist. Der Vogelsteller springt herzu und tödtet mit geübtem Handgriffe die in den Maschen zappelnden Thiere. In Südtirol ist es oft vorgekommen, daß Vogelsteller, im Eifer der Jagd, über den Felsen hinkollerten und das Netz mitrissen. Ob mit dem Roccollo, dem Trassengang und dem Flügelgarne die großen Fangarten erschöpft sind, möchte ich bezweifeln; indessen genügt ihre Erwähnung, um die Gefahren und Nöthen anzudeuten, denen die „Sänger des Hains“, unsere Lieblinge, ausgesetzt sind in ihrer herbstliche Wanderzeit von der öden Lüneburger Haide bis hinab zur ehrwürdige Campagna di Roma.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_385.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)