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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Besitzers produciren Perlengläser und massives Stangenglas in allen erdenklichen Farben. Von diesen Producten der Riedel’schen Hütten befinden sich in den größeren Ortschaften der Umgegend bedeutende Niederlagen, und der Werth dieser im rohen Zustande unscheinbaren Erzeugnisse beziffert sich dort nicht selten nach Hunderttausenden von Gulden. Aus jenen Niederlagen oder von den Hütten selbst beziehen die Arbeiter der Umgegend auf Meilen weit ihren Bedarf.

Auf den drei Riedel’schen Hütten werden jährlich dreißig- bis vierzigtausend Centner Glas erzeugt und hierzu acht- bis zehntausend österreichische Klafter Holz verbraucht. Bei den früheren Heizeinrichtungen betrug der Holzverbrauch noch etwa vierzig Procent mehr. Wenn man nun aber noch annimmt, welcher Unzahl von kleinen Glashütten, Schmelzen etc. wir hier überall begegnen, so muß man trotz des sprüchwörtlichen Holzreichthums der hiesigen Wälder doch mit Schrecken an deren immer weiter greifende Vertilgung denken. Durch den gegen früher dreifach gesteigerten Preis des Holzes wird der Entwaldung kein Ziel gesetzt. Man wird aber diese prächtige Wälder am besten schonen durch die endliche Ausführung der schon vor langen Jahren projectirten Eisenbahn von Reichenberg bis Tannwald oder weiter bis zur schlesischen Grenze. Schon die mächtige Industrie dieser Gegend konnte mit vollem Rechte auf diese Verkehrserleichterung längst Anspruch machen. Führt man aber erst den Tausenden von Arbeitsfeuern hinreichend die billigeren Kohlen als Ersatz zu, so werden die prächtigen Wälder dann von selbst geschont und der allgemeinen Wohlfahrt des Landes erhalten bleiben.

In der Umgebung der von uns erwähnten Polauner Glashütte haben sich Krystallglasschleifer in Menge angesiedelt, welche die zuweilen noch sehr geringe Kraft der Bergwässer mit Sorgfalt ihrem Zwecke nutzbar machen. Von Haus zu Haus wird oft das Bächlein geleitet, um ein kleines Rad zu treiben, das dann wieder drinnen verschiedene horizontale oder verticale Scheiben in Bewegung setzt. Diese Scheiben sind von Sandstein oder von Holz; erstere dienen zum Abschleifen der aus der Glashütte roh gelieferten Gegenstände, letztere geben dann dem Glase die prächtige Politur. Das Schleifen des Glases erfordert Kraft und Geschick, und dabei ist der Aufenthalt in den fortwährend mit feinsten Glastheilchen erfüllten Räumen der Gesundheit der Schleifer sehr nachtheilig. Da nicht jeder der armen Lohnarbeiter den Bau eines Wasserschutzes und Rades bestreiten kann, so befassen sich gewöhnlich Wohlhabendere mit der Anlage einer kleinen Schleiferei und vermiethen die einzelnen Plätze oder Scheiben darin gegen eine wöchentliche Abgabe.

Durch einen Besuch der an unserem Wege gelegenen großen Umann’schen Schleiferei in Tiefenbach erlangen wir rasch einen Ueberblick über diesen wichtigen Zweig. Hier hilft bereits eine Dampfmaschine der Wasserkraft nach, und wir finden in den weiten Lagerräumen des Umann’schen Hauses allerhand meist weiße Krystallglasartikel in überraschender Auswahl. Das Auge wird im eigentlichsten Sinne fast geblendet, wenn aus tausend Gegenständen zugleich die gebrochenen Lichtstrahlen in Regenbogenfarben uns entgegenblitzen und bei jedem neuen Schritte von einer andern Stelle uns zuzuströmen scheinen. Die Wirthschafts- und Luxusartikel zeigen uns, auf welcher hohen Stufe die Kunst des Glasschleifens angelangt ist. Um nur eines zu erwähnen, werden die von den Londoner und Pariser Ausstellungen her bekannten Nachbildungen der größten existirenden Krondiamanten hier ebenso vollkommen angefertigt, wie dies bisher um vierfach höheren Preis nur in England und Frankreich geschah. Aber auch kleine Diamant-Imitationen finden wir hier so prachtvoll, daß deren Feuer vielleicht manchen Kenner irre führen dürfte. Wie viele Tausende dieser böhmischen geschliffenen Glassteine mögen bei den Festen der hohen Aristokratie und wohl auch bei Hofe unerkannt zwischen den echten Diamanten einherwandeln!

Auf unserer Wanderung bietet uns die herrliche Landschaft fast bei jedem Schritte neue Schönheiten dar. Von Polaun aus steigt die prächtige Straße in hundertfachen Windungen den Pzichowitzer Berg hinauf. Hier werden freilich die Hütten und Häuser seltener als unten im Thale, und trotz des Spätsommers finden wir auf dieser Höhe (fast zweitausendvierhundert Fuß) noch die dürftigen Feldfrüchte auf grünen Halmen; erst im Herbste kann die schmale Ernte eingeheimst werden, wenn nicht etwa früher Schneefall die Hoffnung des Landmannes überhaupt vollständig vernichtet.

Auf dem Gipfel des Pzichowitzer Berges, ungefähr noch sechshundert Fuß höher als die Paßhöhe unseres Weges, hat man dem Erbauer der prächtige Riesengebirgsstraße, dem Erzherzoge Stefan, zu Ehren eine Thurm zu bauen begonnen, leider ohne den Bau zu vollenden. Von dieser Höhe, dem Lieblingsaufenthalte des Erzherzogs in damaliger Zeit, hat man eine entzückend schöne Aussicht nach dem Riesengebirge und weit hinein in das herrliche Böhmerland. Sonderbarer Weise scheint der Thurm Ruine bleiben zu sollen.

Von der Thurmruine führt uns bald ein Weg abwärts zu einem echten Edelsteine in der schönen Landschaftskette, die uns bisher umgab. Durch mächtige, altehrwürdige Tannen- und Buchenwälder gelangen wir in ein Thal, wie es idyllischer und lieblicher nicht gedacht werden kann. In dem Thale selbst aber laden freundliche, stattliche Häuser zu längerer Rast unwiderstehlich ein. Mitten zwischen dunklen Tannen liegt an den Ufern der rauschenden Iser der nur wenig Häuser zählende Ort Wurzelsdorf, seit Jahren schon in der Umgegend durch eine heilkräftige Eisen- und Schwefelquelle bekannt. Damals war ein ärmlicher Holzbau mit einigen überaus schlichten Bädern Alles, was man hier fand. Jetzt stehen schon mehrere schmucke, reinliche Häuser hier und bieten den Fremden die behaglichste Aufnahme. Die von Josef Riedel in’s Leben gerufene Anlage des Ganzen zeigt auf den ersten Blick, daß bei der Schöpfung dieses Unternehmens Gewinnsucht fern gelegen hat, den die hiesigen Preise contrastiren überaus wohlthuend mit den Tarifen und Taxen so vieler anderer und selbst kleiner Badeorte. Wer fern von dem Geräusche der Welt in herrlichster Luft den stillen Frieden eines Waldaufenthaltes genießen will, der wird in dem freundlichen Wurzelsdorf und seinen herrlichen Umgebungen die vollste Befriedigung finden.

Wir aber eilen jetzt dem Ende der Wanderung zu. An der großen Wurzelsdorfer Spinnerei und der schon früher erwähnten Glashütte vorüber führt unser Weg noch eine Strecke im schönen Iserthale hin, bis wir bald in das nicht minder schöne Mummelthal einbiegen und am Ufer des klaren, forellenreichen Baches aufwärts wandern, wo sich nach anderthalb Stunden plötzlich das Thal erweitert. Hier finden wir die letzte, aber keineswegs die kleinste Station der böhmischen Glasindustrie. Wir sind in dem freundlichen Dorfe Neuwelt, wo sich uns auf der altbewährten gräflich Harrach’schen Glashütte das Bild gemeinsamer Arbeit und der Vereinigung der verschiedenen Industriezweige darbietet. Nirgends ist es uns bisher wie hier geboten, auf kleinem Umkreise alle Manipulationen der Glasbereitung beobachten zu können, von der Quarzstampfmühle und dem gewaltigen Glasofen an bis hinauf zu den kunstvollsten Schleifereien und Malereien. Die Neuwelter Fabrikate genießen mit Recht einen Weltruf, und das dortige Musterlager gleicht einer glänzenden Ausstellung. Die Besucher der Pariser Weltausstellung werden sich vielleicht noch unter anderen Neuwelter Prachtstücken der beiden großen, durch ihre kostbare Malerei ausgezeichneten Vasen entsinnen, von denen jede gegen fünfhundert Gulden kostete. Nur eine davon kam unversehrt zurück; die andere zerbrach auf dem Rücktransport. In der Glasmalerei aber dürfte die Neuwelter Fabrik überhaupt kaum übertroffen werden. Wir fanden unter Anderm auf Vasen Portraits von höchster Vollendung und wurden nicht wenig überrascht, mitten unter gekrönten Häuptern das vortreffliche Brustbild unseres alten, unvergeßlichen Freundes Gerstäcker, freundlich lächelnd wie im Leben, auf uns herniederblicken zu sehen.

In allen Häusern Neuwelts regen sich thätige Hände für die Glasfabrik, welche fortwährend über vierhundert Arbeiter beschäftigt und dabei in anerkennenswerther Weise für Altersschwache und Invaliden durch ein Pensionsinstitut sorgt.

Und so nehmen wir denn Abschied von diesen schönen, gewerbfleißigen Thälern Böhmens; selten dürfte eine andere Gegend auf verhältnißmäßig so kurzer Strecke so viel des Interessanten darbieten. Der böhmischen Glasindustrie aber wünschen wir, daß sie noch lange, lange mit ihren Fabrikaten den Ruhm deutschen Fleißes nach allen Welttheilen aussenden möge.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_387.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)