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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


zu leiden hatten. Letztere namentlich waren in jedem Augenblicke so wenig sicher, daß sie sich nach gethaner Arbeit nicht einmal der zweifellosen Aussicht auf eine ungestörte Nachtruhe hinzugeben vermochten.

Im Residenzschlosse befand sich ein genaues Verzeichniß der Namen und Wohnungen der Musiker. Verspürte Seine Durchlaucht Neigung, Musik zu hören, oder aber mit Orchesterbegleitung zu singen, so wurden Eilboten ausgesandt, um die Capelle in’s Schloß zu befehlen, ja dieselbe aus den Betten zu holen, wenn die Nacht bereits vorgeschritten war. Waren die Wünsche Seiner Durchlaucht erfüllt, so ward den Versammelten ein Soupé servirt, nach dessen Beendigung sie nach Hause gehen und weiter schlafen durften.

Auch im Theater empfand der Herzog oft Neigung, nach Beendigung der Vorstellung noch irgend ein Musikstück zu hören, oder irgend eine Nummer zu singen, wie z. B. die Barcarole aus der „Stummen von Portici“, die ihm besonders zusagte. In diesem Falle ward nach dem Niederlassen des Vorhanges den Capellisten durch den Orchesterdiener mitgetheilt, daß sie noch zu bleiben und das Haus nicht zu verlassen hätten. Das gelang aber nicht immer. Die Musiker waren auf ihrer Hut, und zeigte sich etwas Verdächtiges, so sah ihr Aufbruch einer wilden Flucht ähnlich. So schnell wie möglich packten sie ihre Instrumente zusammen und verschwanden, ehe die Botschaft sie zu erreichen vermochte. Wer aber nicht rasch genug entweichen konnte und gefaßt wurde, der mußte seine Sehnsucht nach dem häuslichen Herde und nach dem Abendessen zurückdrängen und auf seinem Platze verharren.

Dann hob sich der Vorhang wieder; der Herzog trat aus seiner Loge auf die Bühne, gab dem Capellmeister die nöthige Weisung und hörte oder sang, wie es ihm gerade Vergnügen machte, wobei er manchmal die Manieren seiner Opernmitglieder geschickt copirte und travestirte. Kam er, wenn die Theaterarbeiter aufräumten, mit einer Coulisse oder einem Versatzstücke in unsanfte Berührung, so nahm er solches nicht übel und fügte sich in das Unvermeidliche. Ja, er blieb sogar guter Laune, als ein auf Rädern ruhender Nachen, in den er sich gestellt hatte, plötzlich – ob absichtlich, ist nicht enthüllt worden – fortgezogen wurde und er so sehr das Gleichgewicht verlor, daß er sich auf dem Podium liegend wiederfand.

An einem anderen Abend macht sich der Herzog Karl ein Vergnügen daraus, das musikalische Gehör des Capellmeisters auf die Probe zu stellen. Er tritt vor, singt irgend einen Ton und fragt, welcher es gewesen sei. Böseke nennt den Ton und schlägt ihn zur Bestätigung auf dem Claviere an. Mehrere Male wiederholt der Herzog dieses Manöver. Da wird Böseke ungeduldig und poltert: „Ach was, Durchlaucht, nun ist’s genug – ich habe keine Zeit mehr.“ – Der Herzog dreht sich um und äußerte lächelnd gegen seinen Begleiter: „Böseke ist ein grober Kerl, aber ein guter Capellmeister.“

Weniger harmlos sind andere Vorgänge, bei denen sich ein Zug von Schadenfreude und Lust am Quälen zeigt, besonders solchen Künstlern gegenüber, die sich aus irgend einem Grunde seiner Zuneigung und seines Beifalls nicht zu erfreuen hatten.

Aber auch in dieser Beziehung mußte der Herzog zuweilen den Rückzug antreten. Als Held und Liebhaber war Eduard Schütz engagirt, derselbe, welcher späterhin Director des Braunschweiger Hoftheaters wurde und als solcher erst vor wenigen Jahren starb. Auf diesen hatte es der Herzog mit einer kleinen Malice abgesehen. Er tritt eines Abends während der Vorstellung an ihn heran und fragt kurz: „Wer ist der beste Schauspieler, Schütz?“

Der Angeredete, bestürzt über die plötzliche und sonderbare Frage, deren Zweck er nicht zu begreifen vermag, antwortet verlegen: „Durchlaucht, das vermag ich nicht zu beurtheilen.“

Kunst, Kunst ist der beste Schauspieler,“ erwidert der Herzog und dreht sich um.

Schütz, welcher jetzt weiß, um was es sich handelt, verschluckt seinen Aerger und beherrscht sich auch dann noch, als sich derselbe Vorfall einige Tage später wiederholt. Als aber, wiederum nach einigen Tagen, der Herzog abermals jene Frage an Schütz richtet, antwortet dieser entschlossen. „Ich, Durchlaucht, bin der beste Schauspieler.“

Der Herzog sah ihn erstaunt an und entfernte sich schweigend. –

Am 6. September 1830 fand jene für Braunschweig denkwürdige Aufführung des „Othello“ statt, während welcher in der Stadt die Revolution ausbrach, die mit dem Schloßbrande und der Flucht des Herzogs endete. Nur mit größter Gefahr vermochte Herzog Karl zu Wagen aus dem Theater in das Schloß zu gelangen, während Fräulein Dermer, des Herzogs Geliebte, welche die Desdemona sang, noch halb im Costüme ihrer Rolle, im Hause einer Bekannten Schutz suchen mußte und von da erst später ihre Wohnung erreichen konnte, wo sie die Fenster bereits zertrümmert fand. Ob sie ernstlich zu fürchten gehabt haben würde, steht dahin. So viel aber ist sicher, daß sie Niemandem etwas zu Leide gethan, sondern im Gegentheile manches Gute gestiftet und Vielen Wohlthaten erwiesen hat. Noch in späteren Jahren, als sie bereits in Wien lebte, schenkte sie der Pensionscasse des Braunschweiger Hoftheaters eine namhafte Summe, welche heute noch unter dem Namen Dermer-Fonds besonders registrirt wird. Sie war schön und eine tüchtige Sängerin und Darstellerin. Besonders hatte sie schöne Hände, für welche Herzog Karl schwärmte. Mit Beziehung darauf erzählt man sich, daß die Mutter der Künstlerin jedesmal, wenn der Herzog in seine Loge getreten sei, ihrer in der gegenüberliegenden Theaterloge neben ihr sitzenden Tochter zugeflüstert habe: Leg’s Patscherl ’raus! Der Herr schaut auf Di.“

Zum Schlusse dieser kleinen Erinnerungen aus einer interessanten Epoche des Braunschweiger Theaters muß übrigens noch einmal hervorgehoben werden, wie dieses Theater unter Herzog Karl eine in jeder Beziehung würdige und bedeutungsvolle Stelle einnahm. Auch später wurde kein Opfer gescheut, tüchtige Kräfte heranzuziehen. Der jetzt regierende Herzog Wilhelm läßt es an namhaften Zuschüssen, der Intendant von Rudolphi an umsichtiger Verwaltung nicht fehlen, und in Folge des Wachsthums der Stadt sowohl wie des reichen Repertoires und trefflicher Einzelleistungen bei tadellosem Ensemble und glänzender Ausstattung hat sich der Besuch des Theaters so gesteigert, daß das neue, schöne und zweckmäßige Haus regelmäßig bis auf den letzten Platz gefüllt ist, sowohl bei der unter Franz Abt’s und C. Zabel’s Leitung stehenden Oper wie bei dem unter der Oberregie A. Hiltl’s mit Fleiß und echt künstlerischer Weihe gepflegten recitirenden Drama.




Blätter und Blüthen.

Ein Meister dreier Künste. (Mit Portrait S. 389.) Des Reiches alter Schmuckkasten hat Trauer anzulegen. Wir sehen mit doppelter Klage nach der einst geliebtesten deutschen Stadt hin, zu welcher Jeder mit Ehrfurcht im Herzen wallfahrtete, wenn er das treueste Bild alter deutscher Städteherrlichkeit vor Augen haben wollte. Dieser unvergleichlichen Zierde geschichtlicher Einzigkeit beraubt Nürnberg sich selbst, um dafür das gleichgültige Ansehen von hunderten anderer Städte modernen Styls einzutauschen, und im Innern hat abermals der Tod ihm den Schmuck eines über Viele hervorragenden Mannes und Künstlers entführt.

August von Kreling, der Regenerator und vieljährige Vorstand der Nürnberger Kunstgewerbeschule, ist am dreiundzwanzigsten April, achtundfünfzig Jahre alt, gestorben. Er war ein Osnabrücker Kind, hatte in der Vaterstadt die ersten Stufen wissenschaftlicher und künstlerischer Bildung erreicht und in früher Jugend (erst siebenzehn Jahre alt) in Baiern seine zweite Heimath und 1853 in Nürnberg die Stätte seines vielseitigen Kunstwirkens gefunden. Kreling gehörte zu den wenigen Meistern der Gegenwart, welche in allen drei bildenden Künsten zugleich thätig waren; denn er war ebenso bedeutend als Bildhauer wie als Maler und decorativer Architekt. Dahin gelangte er ebenso durch seine Begabung und inneren Drang, wie durch den äußeren Bildungsgang. Sein erster Schritt in München führte ihn in Schwanthaler’s Atelier. Schloß er sich dem romantischen Zuge desselben und der, wie Pecht sagt, „am liebsten skizzirend spielenden Behandlung der Dinge“ mit dem Eifer der Jugend an, so bewährte er doch schon eine Selbstständigkeit, die ihn befähigte, die eigenen Wege nach dem erkannten Bedürfniß zu suchen. Nachdem er sich in der Beherrschung des Technischen der Bildhauerkunst fest fühlte, sah er sich nach „reicherem Inhalt, als ihn Schwanthaler bieten konnte“, um und ging, den Meißel mit der Palette vertauschend, zu Cornelius, und als dieser im Jahre 1841 München verließ, schlug er abermals seinen eigenen Weg ein, indem er „das plastische Formgefühl ebenso in seine Malerei, wie die malerische Behandlung in die Plastik trug“. Und als damals als Drittes von Belgien und Frankreich her der Realismus in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_391.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)