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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

sollt Euch nicht einmal meiner erinnern; was kann es Eurem ehelichen Glücke schaden, wenn ich ihn liebe, so lange ich athme, und ihm die Treue halte wie einem Gestorbenen?“ –

Ein verletzendes Auflachen unterbrach sie. „Nimm Dich in Acht, Kleine! Im nächsten Augenblicke wird Dein dichterischer Schwung in Verse verfallen.“

„Nein, Flora, die überlasse ich Dir, wenn ich mir auch sagen muß, daß ich gesteigert bin in meinem Empfinden und nicht mehr in den festen, ruhigen Geleisen meiner Erziehung gehe, seit ich diese Neigung im Herzen trage.“ Sie schritt wieder tiefer in das Zimmer zurück, an dem Ständer vorüber, der den Brautanzug trug. Ohne es zu wissen, streifte sie die nur noch lose droben hängende Schleppe, und mit einem leisen Gezisch sank der rauschende Seidenstoff zur Erde.

Käthe bückte sich erschrocken, aber Flora schleuderte den Atlas verächtlich mit dem Fuße aus dem Wege. „Lasse den Plunder liegen!“ sagte sie schreibend. „Aber sieh, selbst der leblose Stoff wird rebellisch und empört sich gegen die Schuldige.“

„Und sprichst Du Dich ganz frei von Schuld, Flora?“ fragte Käthe rasch mit fliegendem Athem – sie hatte auch lebhaft wallendes Blut in den Adern; sie hatte ein strenges Rechtsgefühl in der Seele – dem ausgesprochenen Unrecht der eigensüchtigen Willkür beugte sie sich nicht um des lieben Friedens willen. „Was war es, das mich zu Anfang erfüllt hat? Mitleid, unsägliches, schmerzliches Mitleid für den edlen Mann, den Du nicht verstanden, den Du vor unser Aller Augen gemißhandelt und um jeden Preis abzuschütteln gesucht hast. Wäre es nicht eine schwere Schuld gewesen, wozu hättest Du denn Abbitte geleistet? Ich habe Dich als Büßende gesehen. … Als Du den Ring in den Fluß warfst –“

„Gott im Himmel, Käthe! Wärme doch nicht immer die alte Vision auf, die Du einmal gehabt haben willst,“ rief Flora und preßte secundenlang die Hände auf die Ohren; dann hielt sie dem jungen Mädchen den Goldfinger unter die Augen, und ihre Oberlippe hob sich scharf einwärts gekrümmt über den weißen Zähnen. „Da – da sitzt er ja. Und ich kann Dir versichern, daß er echt ist – die gravirten Buchstaben lassen nichts zu wünschen übrig. … Um übrigens der Sache ein Ende zu machen, will ich Dir sagen, daß dieses Ding da in meinem Leben keine Rolle mehr spielt, es sei denn die eines Drahtes, an dem man eine Marionette lenkt – mein bräutliches Verhältniß zu Bruck ist gelöst –“

Käthe fuhr bestürzt zurück. „Diese Lösung hast Du ja schon früher erfolglos versucht,“ stammelte sie verwirrt, athemlos.

„Ja, damals hatte der Erbärmliche noch einen Rest von Kraft in der Seele; jetzt ist er windelweich geworden.“

„Flora – er giebt Dich frei?“

„Mein Gott, ja, wenn Du denn durchaus die Freudenbotschaft noch einmal hören willst –“

„Dann hat er Dich auch nie geliebt. Dann hat ihn damals ein anderer Impuls getrieben, auf seinen Rechten zu beharren. Gott sei Dank, nun kann er noch glücklich werden!“

„Meinst Du? Wir sind auch noch da,“ sagte Flora; sie legte ihre Hand mit festem Druck auf den Arm des jungen Mädchens, und ihr Blick tauchte vielsagend und diabolisch tief in die verklärten braunen Augen. „Ich werde ihm die Stunde nie vergessen, in der er mich vergebens um meine Freiheit betteln ließ. Nun soll er auch fühlen, wie es thut, wenn man den Becher zum ersehnten Trunk an die Lippen setzt, und er wird Einem aus der Hand geschleudert. Ich gebe den Ring nicht heraus, und sollte ich ihn mit den Zähnen festhalten –“

„Den gefälschten –“

„Willst Du das beweisen, Kleine? Wo sind Deine Zeugen? Mir gegenüber bist Du verloren mit einer Anklage, wenn sie nicht Hand und Fuß hat – man sagt mir nicht mit Unrecht nach, daß ein Juristengenie in mir stecke. … Uebrigens magst Du Dich beruhigen. So unmenschlich grausam bin ich nicht, meinem ehrmaligen Verlobten das Heirathen überhaupt zu verbieten; mag er sich doch vermählen – morgen, wenn er Lust hat, aber selbstverständlich nur mit einer Ungeliebten; gegen eine Convenienzehe erhebe ich keinen Einspruch. … Ich werde ihm nachspüren, nachschleichen auf jeder inneren Regung, die er unvorsichtig an den Tag legt – wehe ihm, wenn ich ihn auf einem Wege betreffe, der mir nicht convenirt!“

Sie hatte einen der rings verstreuten Orangenzweige ergriffen und wiegte ihn zwischen den Fingerspitzen spielend hin und her; sie sah aus wie ein schönes Raubthier, das ein Opfer mit geschmeidigen Windungen des schlanken Körpers umkreist.

„Nun, Käthe, Du liebst ihn ja; hast Du nicht Lust, für ihn zu bitten – wie?“ hob sie wieder an, die langsam gesprochenen Worte scharf markirend. „Schau, ich hab’ sein Glück in der Hand; ich kann es zerdrücken; ich kann es aufleben lassen, ganz nach Belieben. Diese Machtvollkommenheit ist für mich allerdings unbezahlbar, und doch – kann ich kaum der Versuchung widerstehen, sie hinzugeben, lediglich, um einmal zu erproben, in wie weit die hochgepriesene sogenannte wahre Liebe feuerfest ist. … Gesetzt, ich legte diesen Ring mit der Befugniß in Deine Hand, ihn zu verwenden, wie es Dir gut dünkt –, verstehe mich recht: ich selbst hätte mich dann von diesem Augenblicke an jedes Einspruchs, jedes Anrechtes begeben – würdest Du bereit sein, Dich jeder meiner Bedingungen zu unterwerfen, damit Bruck von dieser Stunde an freie Wahl hätte?“

Käthe hatte unwillkürlich die Hände verschlungen und drückte sie fest gegen die wogende Brust; man sah, ein unbeschreiblicher Kampf arbeitete in dieser jungen Seele. „Ich unterwerfe mich jeder, auch der härtesten Bedingung, sofort, wenn ich Bruck aus Deinen Schlingen erlösen kann,“ rang es sich heiser, aber entschlossen von ihren Lippen.

„Nicht zu sanguinisch, meine Tochter! Du könntest mit diesem übereilten Opfermuthe leicht Dein eigenes Lebensglück hinwerfen.“

Das junge Mädchen schwieg und legte die Rechte an die schmerzende Stirn. Man sah, der Starken brach eine Stütze nach der anderen, der Jugendmuth, die elastische Kraft, die auf sich selber pocht, der Glaube an das schließliche innere Ueberwinden – nur der Wille blieb stark. „Ich weiß, was ich will – da braucht es kein Besinnen,“ sagte sie.

Flora hielt den Blüthenzweig vor das Gesicht, als athme sie den Duft der künstlichen Blumen ein. „Und wenn er nun – vielleicht nur um mich namenlos zu demüthigen – Dich selbst begehrte?“ fragte sie mit einem blinzelnden Seitenblick.

Der jungen Schwester stockte der Athem. „Das wird er nicht – ich war ihm nie sympathisch.“

„Das ist richtig. Ich will aber einmal annehmen, er sage Dir, daß er Dich liebe, da wäre das Unterpfand seiner Freiheit denn doch sehr schlecht aufgehoben in Deinen Händen meinst Du nicht? … Er würde eines Tages um die Geliebte freien und sie könnte nicht widerstehen, und ich mit meinen unbestrittenen Anrechten hätte das Nachsehen – nein, ich behalte meinen Ring.“

„O Gott, darf es wirklich geschehen, daß eine Schwester die andere so entsetzlich martert?“ rief Käthe in schmerzlicher Entrüstung. „Aber gerade in diesem Augenblick, der Deinen ganzen beispiellosen Egoismus, Dein Herz ohne Erbarmen, Deine unbezwingliche Neigung zur Intrigue bloßlegt, wie noch nie, fühle ich mich doppelt berufen, Bruck um jeden Preis von dem Vampyr, zu befreien, der nach seinem Herzblut trachtet – Du darfst keine Gewalt mehr über ihn haben. … Er soll ein neues Leben anfangen; er wird sich eine Häuslichkeit schaffen, die ihn beglückt und befriedigt; er wird nicht mehr verurtheilt sein, an der Seite einer herzlosen Gefallsüchtigen ein steifes Salonleben zu führen –“

„Sehr verbunden für die schmeichelhafte Beurtheilung! Du sprichst viel zu warm für sein Glück, als daß ich Dir mein Kleinod anvertrauen möchte.“

„Gieb es her – Du kannst es getrost.“

„Und wenn er Dich nun wirklich und wahrhaftig liebte?“

Die Lippen des jungen Mädchens zuckten in unsäglicher Qual; sie verschlang die Hände angstvoll in einander, wie es die Verzweiflung thut, aber sie blieb standhaft. „Wäre es auch – ich bin nicht unersetzlich. Wie leicht wird es ihm werden, eine Bessere zu finden! Und daß er nicht wieder blindlings ein falsches Loos zieht, dafür bürgt seine schmerzliche Erfahrung. Gieb mir den Ring, den gefälschten, von dem ich weiß, daß in Wahrheit auch nicht die leiseste Spur von einem Recht mehr an ihm hängt – ich verspreche Dir, ihn zu achten, wie den, der im Flusse liegt, weil er trotz alledem und alledem Bruck’s Befreiung verbürgt.“ Sie streckte die Hand aus.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_394.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)