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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Eduard von Hartmann. So ist seine ‚Bildung‘, von welcher er tief durchdrungen ist, zu Stande gekommen. Diese unverdaute Belesenheit gereicht ihm aber nicht zum Segen. Er hält sich für höchst bedeutend und ist doch nur ein unbedeutender Hans in Allem, der Jeden meistern will. Man darf schon Pessimist sein dieser durch die Popularisirung der Wissenschaft herbeigeführten Halbheit gegenüber.

„Du bist in schlechter Laune oder die Consequenzmacherei des Realisten verleitet Dich zur Ungerechtigkeit. Ich theile Deinen Pessimismus nicht.“

„Gleichviel. Du wirst in Herrn Krawutschke eine höchst schätzenswerthe Bekanntschaft machen. Da sind wir schon.“

In Badeorten ist es gebräuchlich, den Häusern Namen statt der Nummern zu geben. An dem ganz stattlichen Gebäude, welches wir eben betreten wollten, glänzte mit riesengroßen Buchstaben der Name: „Poseidon“.

„Poseidon?“

„Ahnst Du Krawutschke?“ gegenfragte mein Freund.

Wir betraten die Gaststube. Sie war leer und eine drückende Hitze in dem nicht allzugroßen Raume. Die Fliegen schienen hier besonders gehegt zu werden.

„Welche Fliegenplage!“

„Herr Krawutschke würde Dir mit vernichtendem Blicke antworten, daß ein Thier sozusagen auch ein Mensch sei, und ferner würde er Dir, im Hinweise darauf, daß wir eigentlich nicht berechtigt sind, zwischen niedriger oder höher organisirten Wesen vom allgemein sittlichen Standpunkte aus einen nennenswerthen Unterschied zu machen, den guten Rath geben, das Unvermeidliche mit Würde zu tragen.“

Ein Schenkmädchen nahte den Eintretenden.

„Herr Krawutschke zugegen?“

„Der Herr Major ist ausgegangen.“

„Major?“ fragte ich verwundert.

„Zwei Seidel Bier!“ befahl mein Freund. „Allerdings,“ wendete er sich dann zu mir, „Herr Krawutschke ist Major der freiwilligen Feuerwehr. Ob der Titel zu Recht besteht, weiß ich nicht. Genug, er führt ihn und hört ihn nicht ungern.“

Eine kleine, freundliche, wohlgenährte Frau trat ein. Ihre Züge trugen das Gepräge ausgesprochenster Gutmüthigkeit.

„Ah, Frau Krawutschke!“ – Mein Freund erhob sich.

„Bitte, behalten Sie Platz! Mein Mann wird gleich kommen; er ist nur in’s Spritzenhaus gegangen.“ – Die kleine Frau verschwand wieder.

„Will sagen: in eine Restauration, wo er aus dem Stegreif den Gästen einen Vortrag hält und seinen Durst auskömmlich stillt,“ raunte mir der Assessor halblaut in’s Ohr. „Daß er das kann, verdankt Herr Krawutschke dieser kleinen, gutmüthigen Frau. Mit ihr hat er Haus und Vermögen erheirathet, und das schwache Weibchen hat einen solchen Respect vor dem ‚gelehrten‘ Gatten, daß es nie zu einer Opposition ihrerseits kommt.“

Von draußen ertönte das Geräusch herannahender Schritte und das Gewirr durcheinander sprechender Stimmen.

„Jetzt kommt der Major,“ variirte der Assessor singend die Operettenstelle des Monsieur Jakob Offenbach.

Und er kam. Mit kräftiger Hand wurde die Thür aufgestoßen, und herein trat Herr Krawutschke in Begleitung mehrerer Ortsbewohner, die ganz wie Gevatter Schneider und Handschuhmacher aussahen. Er trug die Uniform eines Vorgesetzten der freiwilligen Feuerwehr.

„Attention!“ rief Herr Krawutschke mit erhobener Stimme dem Schenkmädchen zu. „Nach wohlvollbrachtem Tage geziemt dem Hausherrn und paterfamilias ein Seidel Wiener Märzen.“

Ich sah mir den Mann genau an. Eine lang aufgeschossene Figur mit blassem, blutleerem Antlitz. Das hellblonde, etwas dünne und etwas gelockte Haar gab im Bunde mit der blassen Hautfarbe dem Gesicht etwas Verwässertes, Verschwommenes. Ein sorgfältig gepflegter sogenannter Christusbart umrahmte das Antlitz. Kopf und Hals neigten etwas vornüber. Man sagt wohl, die volle Aehre neige sich der Erde zu, die leere trage stolz ihr Haupt den Wolken zugewandt. Den Eindruck machte nun die leichtgebeugte Haltung des Herrn Krawutschke nicht. Sie erschien mir vielmehr als ein Zeugniß des verborgen Kränklichen. Hektisch pflegt man landläufig solche Leute zu nennen.

Herr Krawutschke hatte uns sofort erblickt und ging mit ausgebreiteten Armen auf meinen Freund zu.

„Ah, siehe da! Auch Du, Brutus? Welche Ehre für mein schlichtes Haus, liebwerther Freund und Assessor! Mann des Rechtes – ich grüße Sie.“

„Guten Tag, Herr Krawutschke,“ meinte ziemlich trocken mein Freund. „Ihr Bier ist wieder verdammt matt.“

„So ist’s. Die Diener tragen alle Schuld,“ citirte pathetisch Krawutschke. „Der alte Goethe hilft mir immer aus aller Fahr und Noth.“

Schiller, Herr Krawutschke!“

„Goethe, Herr Assessor!

„Verlassen Sie sich d’rauf, die Stelle ist von Schiller, aus der Braut von Messina.“

„Na, denn nicht!“ brach der Major ärgerlich das Gespräch ab, um es gleich darauf wieder vorwurfsvoll aufzunehmen. „Und Sie stellen mir nicht einmal diesen neuen, werthen Gast des ‚Poseidon‘ vor? Da haben die Leute nun Justinus und Trebonius studirt, aber die Convenienz bleibt ein pia desideria. Das ist auch eine signatura temporus.

Ris, ris, Herr Major!“

Ris, richtig! Sagte ich rus? Ein kleiner horror! Errare est humanum ist ein Spruch aus weisem Munde. – Ihr Name, mein vielwerther Gast?“

Der Assessor nannte ihn. „Auch ein Stückchen Mann der Feder!“ fügte er hinzu. Krawutschke ergriff meine beiden Hände.

„Bruder in Apoll! Seien Sie mir willkommen! Ich bin ein Freund des Geistes und der Feder.“ – Wohlgefällig lächelnd und mit verbindlicher Verneigung ergänzte er sich: „Sie sehen in mir das Referentchen des Ortes. Also soyons amis, Sulla!“

Das Französisch war so schauderhaft, daß wir ganz erschreckt vergaßen, den armen Cinna in seine Rechte einzusetzen. Vornehm fuhr Krawutschke fort:

„Die Herren trinken mit mir zum Willkommgruße einen Ingwer! Keine Widerrede!“ antwortete er unseren ablehnenden Handbewegungen. „Die aromatische Bittere dieses Getränkes ist von wohlthätigster, sanitärer Wirkung auf die gereizten Schleimhäute des gastrischen Systems.“

Der Trank bereitete sich langsam auf sein Erscheinen vor.

„Der Herr ist auch Schauspieler,“ begann der Assessor wieder.

„Was hör’ ich? Die Musik der Sphäroide schlägt an mein Ohr! Oh! Doppelt, dreifach gesegnet sei der Tag, der uns zusammenführte!“ – Und mit Herablassung versicherte Krawutschke: „Ich bin ein Mäcen der Kunst. Ich leite unser Liebhabertheater und schreibe Recensionen, wenn sich einmal eine wandernde Truppe zu uns verirrt. Sie sind ein Fachmann; ich unterschätze das nicht. Aber ich gäbe etwas darum, wenn Sie einmal eine Vorstellung an dem von mir geleiteten Liebhabertheater sehen könnten. Die Bühne leistet unter meiner Leitung außerordentlich Gutes.“

Stolz auf sich selbst, bestellte sich Krawutschke noch ein Seidel. Sein Ingwer war während der letzten Rede verschwunden.

„Alles wendet sich an mich. Für Alle bin ich der Berather –“

Die kleine, gutmüthige Hausfrau nahte sich uns. Man sah es ihrem hochgerötheten Gesicht an, daß sie vom Herdfeuer kam. Schüchtern legte sie dem Gatten die Hand auf die Schulter.

„Lieber Arnim!“

„Was willst Du, mein braves, treues, deutsches Weib?“

„Lieber Arnim, in welchem Hause wohnt denn die russische Herrschaft, welche für heute Abend Beefsteak bestellt hat? Die Beefsteaks sind fertig; ich möchte sie hinschicken.“

„Im ‚schwarzen Kreuz‘, wackere Hausehre.“

„Ich danke Dir. Darf ich einmal von Deinem Bier trinken, Arnim?“

„Nimm und labe Dich!“

„Ich danke Dir, lieber Arnim!“ – Die gutmüthige, kleine Hausglucke trank und verschwand.

„Warum nennt Sie denn Ihre Frau Gemahlin immer Arnim, Herr Major? Tragen Sie diesen Vornamen vielleicht Jemand zu Ehren?“

Mit überlegenem Lächeln brachte Krawutschke den Finger an die Stirn.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_401.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)