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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 25.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Im Hause des Commerzienrathes.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)

Käthe machte eine Bewegung, als wolle sie in die Allee hineinfliehen, allein schon hatte Bruck ihre Hand gefaßt und hielt sie mit festem Drucke. „Ich sah das Mädchen leibhaftig vor mir stehen, das ich eben in Gedanken voll Sehnsucht in meinen Armen gehalten und an das Herz gedrückt hatte; ich war eben in dem letzten der Kämpfe, die ich monatelang durchlitten, Sieger geblieben, das heißt, ich hatte falsche Ansichten von mir geschüttelt und mir gesagt, daß ich ein Meineidiger sei, wenn ich, die unbezwingliche Leidenschaft im Herzen, eine verhaßte Ehe eingehe. Und da sah ich die Heimgekehrte stehen – und ich jauchzte, denn ihre weinenden Augen suchten nicht die Fenster der Tante –“ er schwieg und zog ihre Hand an seine Lippen, und sie lehnte an der nächsten Linde, unfähig, auch nur einen Laut herauszubringen.

„Ich darf der, die meine Braut gewesen ist, keinen Vorwurf machen; ich trage die Schuld, daß es zu einem solchen Eclat kommen mußte, ich, der ich, um der Welt willen, schwach genug war, nicht schon in dem Augenblicke zurückzutreten, wo ich unter tödtlicher Bestürzung erkannte, daß ich eine hinreißend schöne Form gewählt habe, deren vermeintlich reicher Inhalt unter den prüfenden Augen zu Nichtigkeiten zerbröckelte – und das geschah schon in den ersten Wochen nach meiner Verlobung.“

Nein, es waren keine Nichtigkeiten, welche „die hinreißend schöne Form“ umschloß, es war ein Frauencharakter voll teuflischer Bosheit. Flora, hatte um Bruck’s Liebe für sie gewußt, jedenfalls durch sein eigenes Geständniß – welch eine niederträchtige Intrigue! Die Betrogene hatte den Ring in der Tasche; sie hätte ihn um jeden Preis erkauft; sie hatte selbst jeden listigen Einwurf der ränkevollen Schwester bekämpft und ihr Wort verpfändet, sogar auf die Möglichkeit hin, daß Bruck ihre Hand begehren könne. Die Augen des jungen Mädchens irrten verzweiflungsvoll über den gestirnten Himmel. Sie wußte, Flora, gab ihr das Wort nicht zurück, und wenn sie sich in qualvoller Bitte zu ihren Füßen die Kniee wund rieb; sie wußte, daß sie und Bruck in den Augen Aller verfehmt sein würden; denn Niemand hatte einen vorurtheilslosen Einblick in die Sachlage. Es bedurfte nicht einmal Flora’s glänzender Beredsamkeit, die Welt zu überzeugen, daß sie die Hintergangene sei, der die jüngere Schwester den Verlobten weggelockt habe, und daß Flora diese Beleuchtung wählen werde, das stand fest, wie der Himmel da droben. Wie sie flimmerten, die kreisenden Sternbilder! Auf welchen dieser goldenen Himmelsfunken hatten die rosig durchhauchten Abendlüfte den erlösten Geist der Schwester getragen? Sah sie jetzt zurück? Sah sie, wie das Glück des geliebten Mannes in Trümmer ging?

„Sie sind so still, Käthe. In Ihrer Seelenhoheit weisen Sie mich schweigend in die Schranken; ich hätte heute nicht sprechen sollen,“ hob er wieder an. „So will ich auch jetzt nicht weiter in Sie dringen. Ich verhehle mir nicht, daß meine Bitten und Wünsche mit schweren Bedenken in Ihrer Seele kämpfen müssen; denn sonst wären Sie nicht die peinlich gerechte, die ehrliche Käthe, die Sie sind, aber ich werde mein ersehntes Ziel erreichen, ohne daß ich zur stürmischen Ueberredung greifen muß – das weiß ich auch. Ich lasse Ihnen Zeit zur Prüfung und zur Ueberwindung des tiefen Schmerzes, der Sie jetzt erfüllt und in Allem, was Sie denken und fühlen, mitspricht. Ich gehe jetzt unbeglückt, aber – ich komme wieder. Und nun wollen wir nach der Mühle gehen. Geben Sie mir getrost Ihren Arm! Ein Bruder kann seine Schwester nicht selbstloser führen, als ich in diesem Augenblicke an Ihrer Seite gehe. Sie könnten sich ebenso ruhig mir und meiner Tante anschließen, wenn wir unsere Reise nach L…g antreten.“

„Ich kehre nicht nach Sachsen zurück,“ sagte sie. Sie hatte ihre Hand auf seinen Arm gelegt, und nun durchschritten sie die Allee. Ein Gefühl von tödtlicher Erstarrung durchschlich die Glieder des Mädchens, und es war, als krieche es auch lähmend an das wildklopfende Herz und hauche die Stimme an, die so fremd, so hart und klanglos aus der Brust kam. „Ich habe schon bei meiner letzten Anwesenheit in Dresden gefühlt, daß mir, so wie es jetzt in meinem Innern aussieht, mit dem ausschließlichen Versenken in das Sprachstudium und die Musik, mit der Besorgung kleiner Hausgeschäfte und dergleichen nicht geholfen – ich muß einen Wirkungskreis haben, der tüchtige, anstrengende Arbeit, Tag für Tag, von mir fordert. Bis vor wenigen Tagen noch zögerte ich, dieses Vorhaben auszusprechen; denn ich wußte, daß das erste Wort eine Reihe von Kämpfen mit meinem Vormunde einleiten würde – der ‚Goldfisch‘ hatte ja bereits seinen Beruf, den, mit tadellosem Chic seine Revenuen zu verbrauchen. Das ist nun Alles aus. Der gefürchtete Geldschrank existirt nicht mehr, oder eigentlich, sein papierener Inhalt ist schon werthlos gewesen, ehe er zertrümmert in die Luft geschleudert wurde – das ist mir zur unumstößlichen Gewißheit geworden, seit mir Nanni heute Nachmittag zuflüsterte, daß man drunten versiegele. Nicht wahr, meine vielen Hunderttausende existiren nicht mehr?“

„Ich glaube schwerlich, daß sich etwas retten läßt –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_409.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)