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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


seiner Windungen. Auf seinem hinteren Ende haben sich Meereicheln angesiedelt, deren kegelförmige Gehäuse zum Theile leer, zum Theile aber mit den zwei Deckelstücken geschlossen sind, nachdem sich das Thier zurückgezogen hat. Nur eine Balane hat ihr Haus geöffnet und haut mit den rankenförmigen, feinen Füßen, die ziemlich hakenartig gebogen sind, heraus, um einen Strudel zu erregen und sich Wasser zuzuführen. Der Eremit streckt den schlanken, harten Vorderleib aus dem Gehäuse hervor; die haarförmigen Fühler weit vorgestreckt, die glänzenden Augen auf den Stielen nach vorn gerichtet, schreitet er hochbeinig wie auf Stelzen mittelst der Krallenfüße umher, die große rechte Scheere wie ein Schild vorhaltend, während die kleinere linke zurückgebogen ist und beim Gehen hilft. Von der Adamsia sieht man in der Rückenstellung (Fig. 1) nur die flügelförmigen Fußlappen, die um die letzte Windung des Schneckengehäuses herumgebogen sind und dasselbe fast gänzlich einhüllen. Betrachtet man aber den Krebs von vorn, so sieht man das weite, spaltförmige Maul der Adamsia unter der Brust des Eremiten weit geöffnet umgeben von einem Doppelkranze kurzer, milchweißer und halb durchsichtiger Fühlfäden, die langsam sich bewegen, eingezogen und wieder ausgestreckt werden. Der Körper der Adamsia, leicht orangegelb angehaucht, mit feinen, tief rosenrothen Tüpfeln, ist nur äußerst dünn – er scheint fast nur aus der weiten Magenhöhle zu bestehen und aus der platten Fußscheibe, die am Rande gekerbt ist und in zwei flügelförmige Lappen sich fortsetzt, welche die ganze Windung der Schnecke ringsum einhüllen, daß nach Entfernung des Krebses nur eine kleine, dreieckige Oeffnung bleibt (f). Berührt man die Adamsia mit einem Glasstabe, so zieht sie augenblicklich die Fühlfäden in den Mund hinein und schließt diesen fast vollkommen bis auf eine geringe Oeffnung (e2). Zugleich treten aus seinen Oeffnungen am Körper lange, herrlich violettblaue Fäden hervor, die von mikroskopischen Nesselkapseln starren und sich ringelnd, wie Würmchen, hin und her bewegen. Die Leibeshöhle der Adamsia scheint mit solchen Fäden gefüllt, die auch aus der Mundöffnung ausgespieen werden. Kurz, die Adamsia verräth das feinste Gefühl für fremde Berührung.

Wie ganz anders, wenn der Krebs mit seinen Scheeren oder Füßen die Adamsia berührt! Oft sieht es förmlich aus, als wolle er mit den langen, krummen Klauen ihr das Maul putzen; er gleitet damit auf und ab in der Mundöffnung, drückt mit der großen Scheere die Fühlfäden glatt, ohne daß die Adamsia nur daran dächte, dieselben einzuziehen oder das Maul zu schließen. Frißt der Krebs ein Stückchen Fleisch, so wird er nicht verfehlen, der Genossin ihr Theil anzubieten; verläßt er sein Gehäuse, das ihm zu eng geworden ist, um ein neues zu beziehen, so arbeitet er so lange am Fuße der Freundin herum, bis er diese losgelöst hat, worauf er das neue Haus herbeischleppt und schiebt und drängt, bis die Adamsia endlich ihre Stellung gefunden und sich in dieser befestigt hat. Diese Stellung ist aber unausweichlich dieselbe; noch nie hat man eine Adamsia auf der dem Rücken des Krebses entsprechenden Seite des Schneckenhauses gefunden, wo sich oft genug andere Meeranemonen (Actinien) ansiedeln; immer sitzt die Adamsia so, daß ihr bogenförmig geöffnetes Maul der Brustfläche des Krebses entspricht und direct unter dem Maule desselben sich hinzieht. Nähme sie eine andere Stellung ein, der Krebs würde nicht ruhen noch rasten, bis er sie an den gehörigen Platz gebracht hätte.

Gosse, ein ausgezeichneter englischer Beobachter, hat weitläufig die Art und Weise beschrieben, wie sich der Eremit beim Wohnungswechsel gegen seine Freundin benimmt. Ich habe diese Beobachtungen nicht wiederholen können; meine mit Adamsien copulirten Eremiten starben bald ab, wahrscheinlich, weil sie, aus großer Tiefe hervorgeholt, den veränderten Druck nicht zu erleiden vermochten, aber von der wirklich zärtlichen Sorgfalt, womit der Krebs seine Freundin behandelt, füttert und pflegt, von der Mühe, die er sich giebt, stelzbeinig einherzuschreiten, um sie nicht zu verletzen, kann sich Jeder leicht überzeugen, der die Thiere in einem Aquarium sieht. Von Gegendiensten, welche die Adamsia leisten könnte, läßt sich keine Spur entdecken – sie öffnet ihr Maul und schließt es, streckt die Fühlfäden aus und zieht sie ein, ganz wie andere Actinien auch thun, die nicht in dieser Weise gehätschelt und gepflegt werden.

So sind wir also im Unklaren über den Grund dieser Freundschaft, denn so intelligent die Einsiedlerkrebse auch sein mögen, so ist es doch kaum glaublich, daß sie bei Pflegung dieses Verhältnisses einzig dem dunkeln Drange der Zärtlichkeit, einem platonischen Bedürfnisse ihres liebenden Herzens Folge leisten. Ebenso wenig wissen wir über die Entstehung des Freundschaftsbundes. Noch Niemand hat eine Adamsia auf einem nicht von einen Eremiten bewohnten Schneckenhause gefunden; niemals hat man eine solche auf irgend einen andern Gegenstande gesehen; das Leben der Actinie scheint also gänzlich von demjenigen des Eremiten abzuhängen. Deshalb dürfte es aber auch kaum fraglich sein, daß das Bündniß in frühester Zeit geschlossen wird – vielleicht schon, wenn beide Genossen noch im Flügelkleide der ersten Jugend sich des Lebens und des freien Umherschwimmens im Wasser freuen. Wie dem auch sein mag (denn nur künftige Untersuchungen können darüber Aufschluß geben), so viel ist gewiß, daß Verhältnisse dieser und ähnlicher Art einen tiefen Einblick in das Geistesleben selbst niederer Thiere gewähren. Es läßt sich nicht leugnen, daß der Einsiedlerkrebs seiner Genossin herzlich zugethan ist, was ihr nützt, nach Kräften zu fördern, was ihr schadet, abzuwenden sucht – mögen auch die Gründe solchen Benehmens uns noch verborgen bleiben, die Thatsache selbst läßt sich nicht ableugnen.

Ebenso wenig läßt sich aber auch leugnen, daß die Eremitenkrebse zu der Zahl derjenigen vertrackten Gesellen gehören, die rauh, barsch und selbst grausam gegen ihres Gleichen, dagegen friedfertig, höflich, zuvorkommend und selbst liebevoll gegenüber Anderen sich benehmen. All’ das Gethier, das auf der Schneckenschale wohnt, welche der unrechtmäßige Besitzer hat, erfreut sich wenigstens seiner Duldung, von dem niederen Schwamme an, bis zu den höher organisirten Würmern und Meereicheln; mit dem eigenen Bruder oder Vetter dagegen lebt er stets auf dem Kriegsfuße und läßt keine Gelegenheit vorübergehen, ihn in Schaden zu bringen. Freilich mag es auch Augenblicke geben, wo die Liebe, nicht zu dem Nächsten, sondern zu der Nächsten die Oberhand gewinnt, aber gewiß sind diese nur kurz und schnell vorübergehend, da kein Beobachter sich rühmen kann, dieselben gesehen zu haben, wenn auch die Weibchen die Folgen solcher Liebesmomente nicht verbergen können.




Die Mutter Gottes von Kevelaer.[1]


„Die Mutter Gottes von Kevelaer trägt heute ihr bestes Kleid,“ sagte ich dem Dichter nach, als ich zum ersten Male die Straßen dieses kleinen, aber berühmten Ortes betrat, dessen Name durch das allbekannte rührende Gedichtchen Heine’s verherrlicht wird, und forschte vor Allem nach der Stätte des wunderthätigen Muttergottesbildes, das in meiner Phantasie als ein schönes Marmorbild in Goldbrocat und Edelsteingeschmeide auf reichgeschmücktem Altar glänzte. Daß sie gerade heute eines der schönsten Kleider ihrer Garderobe tragen würde, nahm ich als selbstverständlich an, da neben anderen zahlreichen Pilgerzügen auch die große Procession aus Amsterdam eingetroffen war mit ihrer alljährigen Spende der hundertpfündigen Riesenkerze und anderen werthvollen Gaben.

Ich ruderte mit dem Menschenstrome dessen Zielpunkte, dem Marktplatze, zu, wo die drei bis vier Kirchen, das Oratorianerkloster und die Capelle mit der Jungfrau sich befinden.

  1. Im Hinblicke auf die durch die Zeitungen gehende Mittheilung, daß 26. Mai d. J. die Ausweisung der sämmtlichen Geistlichen und der geistlichen Dienerschaft aus dem Kloster zu Kevelaer vollzogen wurde, dürfte dieser Artikel jetzt besonders zeitgemäß kommen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_418.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)