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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Mein Herz klopfte in dem pietätvollen Bewußtsein, daß ich der durch den „Juden“ Heinrich Heine gefeierten Stätte, dem Mekka des niederrheinischen bigotten Katholicismus, nahe sei. Ich hegte vielleicht mehr Andacht in meinem evangelisch-lutherischen Herzen, als der Priester zeigte, welcher, nicht weit von mir eine Procession nach der Capelle am heiligen Baume ordnend, sich mit ein paar jungen Damen seiner Heerde freundlich scherzend unterhielt. So richtete ich denn meine Schritte nach der kleinen sechseckigen Capelle (Fig. 1) inmitten des Platzes, welche, umringt von inbrünstig betenden Gläubigen, mir offenbar als das Centrum des frommen Treibens, als die Kaaba der Pilgerkarawanen von Mekka-Kevelaer erschien.

Rings auf dem Marktplatze standen Buden, an welchen lebhafter Handel getrieben wurde. Namentlich ganz in der Nähe der kleinen Capelle bemerkte ich eine Anzahl niedriger Tische, hinter welchen meist bejahrte Händlerinnen Artikel von gelber Masse feilboten und vorzüglich mit den buntgekleideten Holländerinnen in ihren breitnäpfigen, weißen Hauben Geschäfte machten (Fig. 2 und 9). Ich trat herzu und erkannte in dem Waarenlager Lichte, Stäbe und andere eigenthümlich geformte Sächelchen von gelbem Wachs. Auf mein Befragen suchte mir die verwundert schauende Händlerin in plattdeutschem Kauderwelsch verständlich zu machen, daß diese Wachsartikel die kranken Körpertheile vorstellten, welche, von den Gebrechlichen der heiligen Jungfrau geopfert, sofort wunderbare Heilung erwirkten. – Denn:

„Wer eine Wachshand opfert,
Dem heilt an der Hand die Wund’;
Und wer einen Wachsfuß opfert,
Dem wird der Fuß gesund.“

Ich setzte mich in den Besitz eines Körpers für zehn Pfennige, von dem mir die Alte mit Wichtigkeit versicherte: „Dat’s vor’t janze Lichem“ (Das curirt den ganzen „Leichnam“). Mein Bemühen, an dem gelben Stäbchen, welches einer Miniaturfliegenklatsche glich, nur eine annähernde Aehnlichkeit mit dem menschlichen Körper zu entdecken, war vergeblich (Fig. 3).

Ich näherte mich nun dem offenen Eingange der schlichten Capelle mit rundem Kuppeldache und erblickte zunächst rechts der Thür im Innern einen – Kochapparat, bestehend aus einem Kessel mit flüssigem, dampfendem Wachs, auf einem Gestell, darinnen Kohlenfeuer knisterte. Dahinter stand ein kleiner, dicker, freundlicher Mann in schwarzer halbgeistlicher Kleidung, beschäftigt, den Wachsbrei zu rühren, von Dochtstückchen zu reinigen und von Zeit zu Zeit den Abraum an Händen, Beinen, Herzen und „janzen Lichem“, wie sie eben erst von den Hülfesuchenden drei Schritte weiter nach vorn auf der eisenbeschlagenen Fenstersohle vor dem Heiligenbilde, vertrauensvoll geopfert worden waren, zu sammeln und wieder zu profanem gelbem Wachs einzuschmelzen. Gewiß ein glattes, hübsches Geschäft: Production, Verkauf, Opferung, Einschmelzung, Wiederverkauf, Reproduction, Alles in Zeit von einem halben Tage zu ermöglichen.

Ich erfuhr später, daß dieses Wachsgeschäft, mit welchem das Kloster begnadet ist, ein sehr einträgliches sei. Es wird dies erklärlich, wenn man bedenkt, daß die alljährlich regelmäßig wiederkehrenden Wallfahrten Kerzen von zehn bis hundert Pfund darbringen. Diese Kerzen brennen nur sehr kurze Zeit in der dazu eingerichteten Kirche, nämlich während der Anwesenheit der wallfahrenden Gemeinde und ein paar Stunden am Allerseelen- oder Allerheiligentage, und fallen dann dem klösterlichen Siedekessel anheim, aus welchem sie theils als neue Kerzen und als zu opfernde Körpertheile auferstehen, um durch die Händlerinnen umgesetzt zu werden; anderntheils findet ihre Verwerthung als Rohmaterial statt.

Nachdem ich meine Betroffenheit über den Kochkessel an so geweihter Stelle überwunden, trat ich bescheidentlich ein, frug den Bruder Wachsschmelzer (Fig. 4), ob es erlaubt sei, das Muttergottesbild in der Nähe zu sehen, erhielt freundlich bejahende Antwort und schritt, seiner Handbewegung folgend, nach der dem Eingange entgegengesetzten Seite, den schreinartigen Kern der Capelle umgehend, um nun mit zwei Schritten dem gefeierten Muttergottesbilde mich gegenüber zu befinden. Zugleich trat ich in den Kreis der draußen vor der Fensteröffnung knieenden frommen Beter.

Ein eigenthümliches Gefühl beschlich mich, als ich mich vor das Idol schob und dieses in aufmerksamer Betrachtung wohl über eine Minute lang vor dem Anblick der Betenden deckte, gleich dem sonnenverfinsternden Monde. Wohl mögen sich in diesem Moment Verwünschungen auf mein langhaariges Ketzerhaupt unter die frommen Huldigungen gemischt haben. Ich hatte aber vorher meinen Pfennig in den großen Blechtrichter am Fenster rollen lassen und mir dadurch sicher Absolution für mein ketzerisches Beginnen erworben.

Der eben erwähnte Trichter von Kupferblech ist von innen und außen zugänglich; er nimmt in seiner weiten Mündung die Geldspenden der Gläubigen auf und führt sie hinab in den „Kasten“. Und sobald das Geld da „klingt“, weiht der Bruder Wachsschmelzer die ihm durch die Fensteröffnung von außen dargereichten Scapuliere und sonstigen Dinge, welche die Pilgrime ihren Angehörigen theils als Andenken, theils als Heilmittel mit in die Heimath nehmen, durch Berühren des Marienbildes und giebt sie dann dem Eigenthümer zurück.

Das Marienbild! – Wie hatte ich mir dieses ausgemalt, und wie fand ich es in Wirklichkeit!

„Unsere liebe Frau von Kevelaer“ ist keineswegs eine schöne Statuette, wie uns doch Paul Thumann’s reizendes Bild in der „Gartenlaube“ als Illustration zu dem Heine’schen Gedichte einreden wollte, sondern vielmehr ein kleiner, schlechter, altersbrauner Holzschnitt oder Kupferstich (Fig. 5) von kaum sechs Zoll in’s Geviert, in einfachem, wenn auch massivsilbernem, vergoldetem Rahmen; er ist an einem Heiligenhäuschen befestigt, welches von der kleinen, sechseckigen Capelle wie von einer Glocke oder einem Mantel überdeckt wird. Rings um das Bild hängt dessen Eingebrachtes an Ketten, Armbändern, Ringen, Uhren, Broschen, von Gold und Silber, neu und alt, schön und geschmacklos, schwer und leicht, wie es eben die Bittenden vermocht hatten, im Ganzen eine recht respectable Juwelier-Ausstellung repräsentirend, im bunten Durcheinander.

Das also war das berühmte Muttergottesbild, das seine Wohnung!? Dieses braune Papierchen mit der plumpen Zeichnung hatte sich das große Kloster, die drei bis vier schönen Kirchen gegründet, zog und zieht jährlich eine Völkerwanderung hülfe- (öfter auch abenteuer-) suchender Menschenkinder aus der nahen und fernen Umgegend herbei und bereichert den Säckel der Brüder Oratorianer in enormer Weise.

Etwas enttäuscht, zog ich mich zurück, dankte im Vorbeigehen dem freundlichen, rührenden Wachsbruder und enthob der Stätte frommen Wunderglaubens (Fig. 6) den ketzerischen Beobachter.

Ich wandte mich dem untrennbaren Zubehöre des Madonnenbildes, den Verkaufsbuden, zu, welche in großer Zahl die Capelle umgeben. Da waren zu haben allerhand kurze Waaren, Bildnisse und Backwerk, Schnupftabaksdosen und Kinderklappern, Rosenkränze und Scapuliere aller Gattungen, Medaillen und Kreuze von Gold und Blech, Alles mit dem Madonnenbilde, Madonnen von Metall und Holz, Wachs, Seife, Papier und – Pfefferkuchen, Madonnen für das Herz, für die Nase und für den Magen.

Unter unseren Abbildungen befindet sich ein Band mit zwei Tuchläppchen (Fig. 7). Es ist dies ein an dem Marienbilde geweihtes Scapulier, das gegen Alles hilft, wenn es so um den Hals getragen wird, daß das eine Läppchen in der Herzgrube, das andere zwischen den Schultern zu liegen kommt. Dabei sind aber täglich dreißig Rosenkränze und sechszig Ave abzubeten. Japanische Gebetableiermaschinen waren leider nicht zu bekommen.

Bald hatte ich die Taschen voller Firlefanz der auserlesensten Art und wandelte nun in der heitersten Stimmung dem Kloster zu, welches mit seiner stattlichen Fronte die eine Seite des Marktes begrenzt und den vollen Ueberblick über den Platz gestattet, als mich, wie ein Blitz aus hellem Himmel, der auf mich gerichtete bannstrahlende Blick zweier Ordensbrüder traf (Fig. 8), welche müßig in der Hausthür des Klosters lehnten und hinter dem harmlos lächelnden Ausdrucke meines Antlitzes wohl etwas wie Ketzerironie gewittert, mich wohl auch wer weiß wie lange schon beobachtet haben mochten. Es war dies wohl möglich, da mittlerweile sich die Pilgerschaaren auf dem Platze etwas gelichtet hatten. Jener Blick aber, eine schöne Mischung von Gift, Spott, Stolz und Verachtung, verdarb mir für einen Moment meine gute Laune und wird mir unvergeßlich bleiben.

Ich bemerkte noch, wie der eine der Mönche, mit dem Kopfe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_419.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)