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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Fig. 10. Procession nach dem Kruisboom.
Fig. 11. Betende Wallfahrerin.
Fig. 12. Heimkehrende Wallfahrer.

nach der Richtung deutend, wo ich stand, ein paar Jungen instruirte, welche später öfter in meiner Nähe sich befanden, und konnte nun neben dem Scharfblicke auch die Vorsicht der frommen Brüder bewundern. Vor diesem Beobachtungsposten glaubte ich mich vorerst nach einer anderen Himmelsrichtung zurückziehen zu dürfen und lenkte meine Schritte nach der „großen Capelle“, welche an der dem Kloster entgegengesetzten Seite des Marktes steht und hauptsächlich dazu dient, die großen und schweren Kerzen der wallfahrenden Gemeinden, von denen jede eine solche spendet, aufzunehmen. Rings an den Wänden des Schiffes sind sie da der Reihe nach an ihren bestimmten Plätzen befestigt, über jeder ein Täfelchen mit dem Namen der Gemeinde. Da brannte der hundertpfündige Koloß von Amsterdam; da waren Nymwegen, Arnheim, Roermonde, Cöln, Bonn, Düsseldorf, Crefeld, Geldern, Cleve, Goch, Moers, kurz, die ganze rheinische und holländische Nachbarschaft, auch zum Theil recht entfernte Orte vertreten, und schon manches Kilogramm des kostbaren Wachses, zu glänzend weißen Masten geformt, manche davon mit buntem Flitterwerk geziert, manche bis fünfzehn Centimeter stark und stockwerkhoch, prangte da in blendender Reinheit.

Sonst noch besonders Bemerkenswerthes fiel mir dort nicht auf; ich ermuthigte mich daher zu einem Besuche der von schönem rothem Sandstein in gothischem Stile neu erbauten Klosterkirche. Die Cerberusse waren augenblicklich außer Sicht, und ich fand unbehindert Eintritt. Eine Tafel an der einen Wand des Vorhauses meldete, daß der daneben befindliche Klingelzug den Pater Bonifacius oder Urban zur Beichte herbeirufe, für die Holländer mit den Worten: „hier beld men de biechtvaders“. „O rühre nicht daran!“ dachte ich im Vorbeigehen und trat in die geräumigen Hallen ein. Hier befremdete mich ein halblautes, dumpfes, eintöniges Murmeln, welches, wie ich wahrnahm, keineswegs von einem messelesenden Priester herrührte, sondern von den Beichtstühlen kam, die in großer Anzahl längs den Wänden standen. Im Nähertreten verdichtete sich mir das Murmeln zu Worten und Sätzen und namentlich aus dem einen Beichtstuhle, dessen Insassen sich einander jedenfalls schwer verständlich machen konnten, erschallten die abgebrochenen Sätze des Bekenntnisses in erschreckender Vernehmlichkeit.

An dem Sims der Stühle waren die Namen der zugehörigen „biechtvaders“ schwarz auf weiß zu lesen, und alle waren besetzt. Es gab heut viel zu thun.

Mir wurde es unheimlich zu Muthe. Zu discret, um mir wer weiß was für wichtige Geheimnisse aufdrängen zu lassen, suchte ich wieder blauen Himmel über mir und sah ihn im Heraustreten einer Procession zulächeln, welche sich soeben ordnete, nun nach dem Kruisboom (Kreuzbaum) vor dem Orte zu ziehen, einer Linde, wenn ich nicht irre, unter welcher ein großes Crucifix und neben welcher eine Capelle steht. Ich ließ den Zug, bestehend aus meist jüngeren Leuten beiderlei Geschlechts, unter Führung des zu Anfang dieser Zeilen erwähnten freundlichen Priesters, defiliren mit seinen Fahnen und Meßgewändern und folgte in einiger Entfernung demselben, der sich im Rhythmus einer ziemlich lebhaft gesungenen Hymne an die Maria, im zweiviertel Tact rasch fortbewegte (Figur 10).

„Da sollen Sie erst einmal sehen, in welcher Gangart die ‚Springer‘ dem Baume zuhüpfen, immer zwei Schritte vor,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_421.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)