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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


wo ich sie wieder zurücknehme, Deine Nähe nicht ganz zu entbehren braucht. Ich glaubte nicht, daß Du Dich so bald nach dem Tode Deines Gemahls zur Rückkehr entschließen würdest, und rechnete auf Dein Verbleiben in Paris, wenigstens bis zur Vollendung von Leo’s Studium.“

Die Dame machte eine verneinende Bewegung. „Ich bin in Paris nie heimisch geworden, trotz unseres jahrelangen Aufenthaltes dort. Das Loos der Emigranten ist kein beneidenswerthes, Du weißt es aus eigener Erfahrung. Fürst Baratowski freilich durfte den heimathlichen Boden nicht wieder betreten, seiner Wittwe und seinem Sohne aber kann man die Rückkehr nicht verweigern; deshalb habe ich mich unverweilt dazu entschlossen. Leo muß endlich einmal die Luft seines Vaterlandes athmen, um sich ganz als Sohn dieses Landes zu fühlen. Auf ihm ruht jetzt die alleinige Vertretung unseres Geschlechtes. Er ist freilich noch sehr jung, aber er muß es lernen, seinen Jahren voran zu eilen und sich mit den Pflichten und Aufgaben vertraut zu machen, die nach des Vaters Tode an ihn herantreten.“

„Und wo gedenkst Du Deinen Aufenthalt zu nehmen?“ fragte Graf Morynski. „Du weißt, daß mein Haus Dir jederzeit –“

„Ich weiß es,“ unterbrach ihn die Fürstin, „aber ich danke Dir. Für mich handelt es sich vor Allem darum, Leo’s Zukunft zu sichern und ihm die Möglichkeit zu geben, seinen Namen und seine Stellung vor der Welt zu behaupten. Das war schon schwer genug in den letzten Jahren; jetzt ist es vollends zur Unmöglichkeit geworden. Du kennst unsere Vermögensverhältnisse und weißt, welche Opfer uns die Verbannung gekostet hat. Es muß irgend etwas geschehen. Um meines Sohnes willen habe ich mich zu einem Schritte entschlossen, den ich für mich allein nie gethan hätte – erräthst Du, weshalb ich gerade C. zum Sommeraufenthalte wählte?“

„Nein, aber befremdet hat es mich. Das Gut Witold’s liegt nur zwei Stunden von hier entfernt und ich glaubte, daß Du diese Nähe eher zu vermeiden wünschest. Oder stehst Du neuerdings im Verkehr mit Waldemar?“

„Nein,“ sagte die Fürstin kalt. „Ich habe ihn nicht gesehen, seit wir damals nach Frankreich gingen, und seitdem kaum eine Zeile von ihm erhalten. Er hat in all den Jahren nicht nach der Mutter gefragt.“

„Aber die Mutter auch nicht nach ihm,“ warf der Graf hin.

„Sollte ich mich einer Zurückweisung, einer Demüthigung aussetzen?“ fragte die Fürstin etwas gereizt. „Dieser Witold hat mir von jeher feindselig gegenüber gestanden und seine unumschränkten Vormundschaftsrechte in verletzendster Weise gegen mich geltend gemacht. Ich bin machtlos ihm gegenüber.“

„Er hätte aber schwerlich gewagt, Dir jeden Verkehr mit Waldemar zu untersagen; dazu stehen die Rechte einer Mutter denn doch zu hoch, wenn Du sie nur mit Deiner gewöhnlichen Entschiedenheit geltend gemacht hättest. Das ist aber, meines Wissens, nie geschehen, denn – sei aufrichtig, Jadwiga! – Du hast Deinen ältesten Sohn nie geliebt.“

Jadwiga erwiderte nichts auf den Vorwurf. Sie stützte schweigend den Kopf in die Hand.

„Ich begreife es, daß er nicht die erste Stelle in Deinem Herzen einnimmt,“ fuhr der Graf fort. „Er ist der Sohn eines ungeliebten, Dir aufgedrungenen Gatten, die Erinnerung an eine Ehe, die Dich noch jetzt mit Bitterkeit erfüllt; Leo ist das Kind Deines Herzens und Deiner Liebe –“

„Und sein Vater hat mir nie den geringsten Anlaß zu einer Klage gegeben,“ ergänzte die Fürstin mit Nachdruck.

Der Graf zuckte leicht die Achseln. „Du beherrschtest Baratowski aber auch vollständig. Doch davon ist jetzt nicht die Rede. Du hast einen Plan? Willst Du frühere halb vergessene Beziehungen wieder aufnehmen?“

„Ich will endlich einmal die Rechte geltend machen, deren mich Nordeck’s Testament beraubte, dieses unselige Testament, in dem der Haß gegen mich jede Zeile dictirt hatte, das die Wittwe wie die Mutter gleich rechtlos machte. Es bestand bisher in voller Kraft, aber es spricht Waldemar auch mit dem einundzwanzigsten Jahre mündig. Er hat kürzlich dieses Alter erreicht und ist somit Herr seines Willens. Ich will doch sehen, ob er es darauf ankommen läßt, daß seine Mutter bei ihren Verwandten eine Zuflucht suchen muß, während er zu den reichsten Grundbesitzern des Landes zählt und es ihm nur ein Wort kostet, mir und seinem Bruder auf einem der Güter eine standesmäßige Existenz zu sichern.“

Morynski schüttelte zweifelnd den Kopf. „Du rechnest auf Kindesgefühle bei diesem Sohne? Ich fürchte, Du täuschest Dich. Seit seiner frühesten Jugend ist er Dir entfremdet, und man hat ihn schwerlich gelehrt, die Mutter zu lieben. Ich habe ihn nur als Knaben gesehen und damals den allerungünstigsten Eindruck von ihm empfangen. Eines aber weiß ich mit Bestimmtheit, fügsam war er nicht.“

„Auch ich weiß es,“ versetzte die Fürstin mit vollkommener Ruhe. „Er ist der Sohn seines Vaters, wie dieser roh, unbändig, unempfänglich für alles Höhere. Schon als Knabe glich er ihm Zug für Zug, und was die Natur gab, wird die Erziehung bei solch einem Vormunde, wie Witold, wohl vollendet haben. Ich täusche mich durchaus nicht über Waldemar’s Charakter, aber trotzdem wird er zu leiten sein. Untergeordnete Naturen fügen sich schließlich immer einer geistigen Ueberlegenheit, wenn man es nur versteht, sie in der rechten Weise geltend zu machen.“

„Konntest Du seinen Vater leiten?“ fragte der Bruder ernst.

„Du vergißt, Bronislaw, daß ich damals ein siebenzehnjähriges Mädchen ohne Erfahrung, ohne Menschenkenntniß war. Jetzt würde ich auch mit einem solchen Charakter fertig werden, und mir die Herrschaft über ihn zu sichern wissen. Bei Waldemar steht mir außerdem noch die mächtige Autorität der Mutter zur Seite. Er wird sich ihr beugen.“

Der Graf sah sehr ungläubig aus bei diesen mit großer Entschiedenheit gesprochenen Worten. Zu einer Erwiderung fand er keine Zeit, denn jetzt vernahm man im Vorzimmer einen leichten raschen Schritt. Die Thür wurde in stürmischer Eile geöffnet; ein junges Mädchen flog herein und lag in der nächsten Minute in den Armen Morynski’s, der aufgesprungen war und die Tochter mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit an seine Brust schloß.

Die Fürstin hatte sich gleichfalls erhoben. Es schien, als finde sie die gar zu stürmische Begrüßung von Seiten der jungen Dame nicht ganz in der Ordnung, indessen äußerte sie nichts, sondern wandte sich zu ihrem Sohne, der soeben eintrat.

„Ihr seid sehr lange ausgeblieben, Leo. Wir warten bereits seit einer Stunde auf Eure Rückkehr.“

„Verzeihung, Mama! Der Sonnenuntergang auf dem Meere war so schön, daß wir auch nicht eine Minute davon verlieren mochten.“

Mit diesen Worten trat Leo Baratowski zu seiner Mutter. Er war in der That noch sehr jung, vielleicht siebenzehn oder achtzehn Jahre alt; es bedurfte nur eines Blickes in sein Gesicht, um dort die Züge der Fürstin wiederzuerkennen. Die Aehnlichkeit war so auffallend, wie sie nur zwischen Mutter und Sohn möglich ist, und doch trug der jugendliche schöne Kopf des Letzteren, mit dem dunkeln leicht gelockten Haare ein durchaus anderes Gepräge. Es fehlte der kalte, strenge Ausdruck darin. Hier war alles Feuer und Leben; in den dunkeln Augen flammte die volle Leidenschaftlichkeit eines heißen, noch ungezügelten Temperamentes, und die ganze Erscheinung war ein solches Bild von Jugendkraft und Jugendschönheit, daß man den Stolz begriff, mit dem die Fürstin jetzt die Hand ihres Sohnes nahm, um ihn dem Oheim zuzuführen.

„Leo hat keinen Vater mehr,“ sagte sie ernst. „Ich rechne auf Dich, Bronislaw, wo ihm der Rath und die Führung eines Mannes in seiner Laufbahn nothwendig ist.“

Der Graf ließ seinem Neffen eine herzliche, warme, aber weit ruhigere Umarmung zu Theil werden, als vorhin der Tochter. Das Wiedersehen mit ihr schien für jetzt alle anderen Empfindungen bei ihm in den Hintergrund zu drängen. Seine Blicke kehrten immer wieder zu dem jungen Mädchen zurück, das in dem Jahre, wo er es nicht gesehen, die Kindheit fast völlig abgestreift hatte.

Wanda glich ihrem Vater nicht im Mindesten. Die Aehnlichkeit, die bei Leo und seiner Mutter so auffallend hervortrat, fehlte hier gänzlich zwischen Vater und Tochter. Die junge Gräfin Morynska war überhaupt ein durchaus eigenartiges Wesen. Die feine graciöse Gestalt gehörte noch halb dem Kinde an, und hatte sich augenscheinlich noch nicht zu ihrer vollen Höhe entwickelt, auch die Züge des Gesichtes waren noch halb kindlich, obgleich sie bereits den Ausspruch der Fürstin Baratowska rechtfertigten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_442.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)