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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Erstes Belauschen.




großen Backofen ein mächtiges Feuer, in welchem Steine glühend gemacht werden. Mit riesigen Ofengabeln werden diese dann herausgeholt, auf den Boden gelegt und mit kaltem Wasser übergossen; so wird der Dampf in diesen primitiven Dampfbädern erzeugt. Die Badenden sitzen auf Holzbänken an den Wänden entlang. Während der Zadik mit seinem Gefolge in diesem Bade saß und draußen eine tausendköpfige Menge das Haus umdrängte, trat aus einer dunklen Ecke ein Mann vor den Zadik und richtete an ihn eine Anrede. Er wiederholte in ihr alle die Beschuldigungen und Vorwürfe, die in den gegen den Chassidismus gerichteten Schriften wider den Zadik und seine Secte erhoben wurden. Er sprach mit vielem Eifer und wurde immer heftiger und rücksichtsloser in seinen Ausfällen. Der Zadik saß anfangs sprachlos vor Erstaunen über die Kühnheit des unbekannten Eindringlings da, dann gerieth er in Zorn, und als der Sprecher immer leidenschaftlicher und heftiger wurde, sprang er auf und zornbebend herrschte er seinen Begleitern zu:

„Werft ihn in’s Feuer, den Gottesleugner!“

Im Nu wurde der Aermste gepackt und in die hochaufprasselnde Gluth geschleudert; mit Ofengabeln wurde er in den Flammen festgehalten, und der Zadik blieb im Bade, bis sein Opfer gänzlich verkohlt war. Er reiste noch an demselben Tage nach Rizin zurück.

Die ruchlose That ward bald bekannt. Die Wittwe des Ermordeten rief die rächende Justiz an. Aber der metallische Klang der Imperialen und Rubel des Zadik übertönte ihren Jammer. Sie machte, als sie die Fruchtlosigkeit ihrer Schritte einsah, ihre geringe Habe zu Geld und reiste nach Petersburg. Dort erwirkte sie eine Audienz beim Zaar, und dieser entsandte eine specielle Untersuchungscommission an Ort und Stelle. Der Zadik und seine Genossen wurden verhaftet, nach den Casematten von Kiew gebracht und nach mehrmonatlicher Untersuchung unter die Anklage des Meuchelmordes gestellt. Als die Wache sich in seinen Kerker begab, um ihn zur entscheidenden Gerichtssitzung abzuholen, fand sie den Kerker leer – der Gottesmann war verschwunden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_473.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)