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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


sind und die ganze technische Seite der Glasfabrikation dem Publicum gezeigt wird.

Für den Comfort der Ausstellungsbesucher ist in der aufmerksamsten Weise gesorgt worden. In allen größeren Ausstellungshallen findet man gut eingerichtete Absteigequartiere mit Waschbecken, Trinkgeschirren etc.; überall sind Bänke zum Ausruhen angebracht, die keiner Steuer unterworfen sind. Im Schatten hoher Baumgruppen concertirt Tag für Tag die Gilmore’sche Capelle.

Die Centennialausstellung ist, dank dem kühnen Unternehmungsgeist und der Thatkraft der Amerikaner, eine Weltausstellung großartigen Stils geworden, und ich kann nur jedem Deutschen, der Geld und Muße hat, dringend rathen, sich dieselbe anzusehen. Die Gefahren und Beschwerden der Seereise sind im Sommer gering, zumal die deutschen Dampfer, namentlich die des Bremer Lloyd, jetzt mit der lobenswerthesten Sorgfalt vorgehen und die Verpflegung auf diesen Schiffen eine glänzende ist.

Kunst und Kunstgewerbe waren auf der Pariser und Wiener Weltausstellung besser und reicher vertreten, als dies hier der Fall ist, allein die moderne Seite der Industrie kam noch nie so vollendet zur Anschauung wie auf der Centennialausstellung.

Wird es für uns Deutsche nicht interessant sein, zu erfahren, mit welchen Hülfsmitteln sich im Laufe eines Jahrhunderts die junge Nation von der Wildniß des nordamerikanischen Continents emporarbeitete und eine wunderbare Welt in’s Leben rief? Nun, Alles, was zwischen der ersten rohen Culturarbeit im Urwald und dem sinnreichsten Maschinenbetrieb in der gewaltigen Metropole, was zwischen dem Blockhaus und der Entfaltung der Kunstblüthe in der Memorialhalle liegt, das zeigt uns jene märchenhafte Welt im Schooße des Edens von Amerika.




Blätter und Blüthen.

Ein Grundbesitz der deutschen Nation in Italien. Welchem Kunstfreund oder Kunstkenner ist nicht die durch deutsche Maler weltberühmt gewordene Serpentara bekannt, jener mit einem Eichenhaine bestandene Hügel in der Nähe von Olevano im Sabinergebirge, der den Namen von dem gewundenen Pfade hat, der auf seinen Gipfel führt. Von ihm herab schweift der entzückte Blick über die classische italische Landschaft des Sabinergebirges, über die schönen Formen der Volskerberge, die sich vom Apennin zwischen den pontinischen Sümpfen und dem Flusse Sacco abzweigen und bis zu fünftausend Fuß erheben, und endlich bis zu der graublauen Linie, die das Tyrrhenische Meer mehr ahnen als erkennen läßt. Welcher Landschaftsmaler, der das Ziel und den Graal Aller – Rom erreichte, und sollte er auch nur ganz kurze Zeit dort sein, pilgerte nicht nach Olevano, einem der angenehmsten, lieblichsten „Malernester“ – wir gebrauchen einen Ausdruck von Woldemar Kaden in seinem Aufsatze des zweiten Bandes von Hillebrand’s „Italia“. In dem erwähnten, jenes Stück Italien trefflich schildernden Aufsatze: „Die Malernester im Sabinergebirge“ heißt es: „In diesen Bergen, dieser riesigen Felsenwiege erstand die neue deutsche Landschaftsmalerei. Hier, in dieser Luft, in diesem erhabenen Glanze des römischen Lichtes wuchsen ihr die Schwingen, und wie zu einer Urstätte des Schönen wallfahrten die deutschen Landschafter nach dem alten Olevano, um die Farben ihrer Palette aufzufrischen an dem belebenden Hauche dieser Landschaft.“ – Und so ist es in der That. Alljährlich sehen wir eine Menge deutscher Künstler dort fleißig der Natur ihre Geheimnisse ablauschen, sehen sie versuchen, je nach Vermögen die Schönheiten der Landschaft in sich aufzunehmen und wiederzugeben. – Welch’ anderer Flecken schöner Erde böte aber wohl auch mehr, wirkte poetischer auf den Künstler und selbst auf den Dichter? Der die Natur ideal erfassende und stilvoll reproducirende Maler findet selten instructivere Gegenstände für seine Kunst als hier. Nirgend anderswo tritt der organische Zusammenhang verschiedener, das Schöne in der Natur bestimmender Momente so klar hervor, wie hier in und um Olevano und namentlich in der nahen Serpentara, die für den Künstler so reiche Schätze in Motiven, Terrains, Baumgruppen, Fernen und Einzelstudien birgt.

Der Entdecker dieser seit fast einem Jahrhundert fort und fort von den deutschen Malern gehobenen und selbst von deutschen Dichtern (Waiblinger, Scheffel) gepriesenen Schätze war natürlich – wen wird es noch Wunder nehmen? – ein Deutscher, Joseph Anton Koch (1768 bis 1839), der alte Koch, der mit Reinhardt der classischen Landschaft Vollendung zu geben strebte. Er lenkte mit Anderen die Landschaftsmalerei wieder in jene Bahnen ein, die ein Claude Lorrain zuerst betreten und auf denen erst das neunzehnte Jahrhundert dieses Kunstgenre nach hundertjährigem Verfalle zu so hoher Blüthe und Entfaltung führte, daß es heute ebenbürtig mit jeder Gattung der Malerei in die Schranken treten kann. Bekanntlich beginnt die malerische Darstellung der Natur erst im Mittelalter, und erst später, im siebenzehnten Jahrhundert, gewinnt die heroische Landschaft, besonders, wie erwähnt, durch Claude, Form und Gestaltung – sie wird zum besonderen Genre. Wie bei Claude läßt es sich auch bei Poussin, Salvator Rosa, Domenico Carracci und Anderen nachweisen, daß sie für ihre landschaftlichen Kunstschöpfungen die ergiebigen Fundstätten der Gegend um Rom benutzten, die ihnen die Motive für großartige Stimmungen und reiche Details gewährten.

Die Gegend von Olevano indessen ist bei keinem ihrer Bilder nachweisbar, und nur erst seit Koch ist Olevano der Wallfahrtsort der Landschaftsmaler, vorzugsweise der deutschen, deren berühmteste wir im Album der Casa Baldi, der Künstlerherberge par excellence, seit Koch eingeschrieben finden. Gar häufig auch ließen sie ihre Spuren mit dem Zeichenstifte zurück, und so finden sich dort z. B. vom jetzigen Director A. von Werner, der so rasch Namen und Bewunderung errungen, eine ganze Reihe von vorzüglichen Portraitskizzen in einem der letzteren Jahrgänge, der hochangesehene Namen der Künstlerwelt nennt, wie die Deutschen Ludwig Richter, Rottmann, Harry, Fries, Fohr, Draeger, Preller, Vater und Sohn, Willers, Dreber, Reinhold, Schirmer, Hoffmann (Wien), Hertel (Berlin). Die genannten Alle studirten dort fleißig die Natur, holten dort reiche Beute, Stoff und Nahrung für ihre Bilder, denen der Stempel Olevanteser Poesie aufgedrückt ist, denn wie die Landschaftsmalerei im siebenzehnten Jahrhundert, wo sie sich erst zum besonderen Genre gestaltete, vorwiegend den Künstlern romanischer Race angehörte, ist sie in unserem Jahrhundert, wo sie nach ihrem Verfalle im vorhergegangenen einen überraschenden Aufschwung nahm, beinahe ausschließlich die Domäne der germanischen, die unbestritten auf diesem Gebiete die meisten lorbeergekrönten Vertreter zählt.

In der stolzen und langen Reihe deutscher Landschafter ragt als einer der Gewaltigsten der noch in rüstiger Schaffenskraft lebende Fr. Preller in Weimar hervor, dessen herrliche deutsche Waldbilder, Marinen und überall gekannte Compositionen aus der Odyssee seinen Weltruhm befestigten. Auch ihn hatte es bei seinem neulichen Aufenthalte in Rom wieder nach Olevano gezogen, wo er in früheren Jahren der häufige Gast der Casa Baldi war, die seit Koch in den Händen der Familie Baldi ist. Das Gasthaus liegt oberhalb des Bergstädtchens Olevano auf einem grünen Hügel, und die Leser der „Gartenlaube“ sahen beide schon in Nr. 10 des 1874er Jahrganges. Zwischen Olevano – eine halbe Stunde von diesem entfernt – und dem noch höher thronenden Felsenneste Civitella liegt nun die Serpentara, jener durch unsere großen deutschen Landschafter geweihte und immer wieder bevorzugte Eichenhain, dem auch Preller zahllose Blätter seiner klassischen Baumstudien entlehnte. Der schöne kleine Eichenwald von zierlichem und markigem Wuchse ist heute, nachdem er glücklich der Gefahr entronnen, seine mehr als hundertjährigen Bäume von dem Beile gefällt zu sehen, Eigenthum unseres deutschen Kaisers. Der von den Künstlern gleichfalls geschätzte Hain im altclassischen Thale der Egeria vor dem cazenischen Thore in Rom, wo König Numa die Unterweisungen der Nymphe empfing, entging dieser Gefahr nicht. Unsere materiellen Bedürfnisse, unsere modernen Institutionen sind die Feinde der Künstler und Poeten. Ingenieure bedurften zu ihren Eisenbahnschwellen die dauerhaften Stämme der Steineiche auf der Serpentara, seit Langem das Entzücken unserer Landschafter und das immer wieder gesuchte Object für ihre Studien. Schon war der Kaufvertrag zwischen zwei Bauern von Civitella, den Eigenthümern, und den Bahnlieferanten, die das geschätzte Material in den fernen Bergen ausgewittert hatten, unterzeichnet, da ereilte die Nachricht, eine Schreckenskunde für unsere Künstler und Kunstfreunde, den Landschaftsmaler Edmund Kanoldt, einen begeisterten und tüchtigen Kunstjünger des Meister Preller, der sich damals, im Sommer 1873 in Italien aufhielt. Von einem Freunde kam ihm die Mahnung, sofort von Terracina nach Olevano aufzubrechen, wolle er seine geliebten Eichen auf der Serpentara noch einmal sehen. Auf diese Hiobspost hin schrieb Kanoldt sofort unzählige Briefe nach allen Seiten hin und suchte durch persönliches Erscheinen am Platze der Gefahr Einhalt zu thun, welche dem schönen Haine drohte. Nur um zweihundert Lire mehr, als die Holzlieferanten zahlen wollten, handelte es sich, und Kanoldt entwickelte sofort die regste Thätigkeit, seine Freunde in Rom, und zunächst die deutsche Gesandtschaft daselbst in ihrem so verdienten Vertreter Herrn von Keudell für seinen Plan zu interessiren, die Serpentara-Eichen anzukaufen. Er fand, in Rom eingetroffen, zu seiner freudigen Ueberraschung die briefliche Mittheilung, daß Kunstfreunde in Leipzig in ihrem oft bewährten nicht kargenden Sinne für die Kunst zweihundert Thaler bereits beigesteuert hatten. Auf Victor Scheffel’s Betreiben hatte ein Künstler in Karlsruhe tausend Lire zugesagt. Wen sonst finden wir so opferfreudig als die Deutschen, wenn es sich um die Interessen der Kunst handelt, und welcher Nation sonst steckte die Begeisterung für das Schöne in Natur und Kunst gewissermaßen im Blute, wenn nicht der deutschen?[1] So sagt auch Kaden: „Es ist eine famose Mitgift unserer deutschen Nation, daß wir Alle so ein Stückchen Künstlernatur im Herzen mit herumtragen.“

Nach den gleich anfangs reichlich eingegangenen Spenden galt es Kanoldt nicht nur die Bäume, sondern auch den Grund und Boden zu gewinnen, und hierzu versprach Herr von Keudell mit größter Bereitwilligkeit seine Beihülfe. In drei Monaten war Kanoldt so glücklich, die zum Ankauf nöthige Summe beisammen zu haben, nachdem er in unermüdlicher Weise überall hin correspondirt, wo er Interesse für die Sache zu erwarten hatte. Fünfhundert Lire steuerte noch ein Wiener Künstler bei, und das Uebrige floß allmählich in kleineren Posten von fünf und zehn Lire zusammen. Der Gesandtschaftsnotar in Rom schloß am 25. September 1873 den Kaufcontract mit den früheren Eigenthümern aus Civitella, so daß der Grund und Boden mit den Bäumen das unveräußerliche

  1. Wir wollen hier der uneigennützigen, kostspieligen Ausgrabungen bei Olympia in Griechenland gedenken, welche die preußische Regierung vornehmen läßt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_479.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)