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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Die Worte verriethen deutlich genug den übermüthigen Spott, aber seltsam, Waldemar, der sich vorhin so reizbar gezeigt hatte, schien nicht im Geringsten dadurch verletzt zu werden. Sein Auge hing unverwandt an dem jungen Mädchen, dessen Spöttereien er kaum zu hören schien.

Die Fürstin hielt es aber jetzt doch für nöthig, dem Muthwillen Wanda’s ein Ziel zu setzen. Sie wandte sich zu ihrem Sohne, mit so vollkommener Ruhe, als habe die vorhergehende Scene gar nicht stattgefunden.

„Du hast ja Deinen Bruder noch nicht gesehen Waldemar, und Deinen Oheim gleichfalls nicht. Ich werde Dich zu ihnen führen. – Du bleibst doch den Tag über bei uns?“ Die letzte Frage wurde in einem Tone hingeworfen, der das Bleiben als selbstverständlich voraussetzte.

„Wenn Du es wünschest.“ Das klang schwankend, ungewiß, aber es hatte nichts mehr von der trotzigen Energie der früheren Antworten. Waldemar dachte augenscheinlich nicht mehr daran, zu gehen. „Gewiß wünsche ich es. Du wirst doch diesen ersten Besuch nicht so kurz abbrechen wollen? Komm, liebe Wanda!“

Der junge Nordeck zögerte noch eine Minute, als aber Wanda der Aufforderung nachkam, war auch sein Entschluß gefaßt. Er legte Hut und Reitpeitsche, die er bisher hartnäckig festgehalten, auf den Sessel, den er vorhin im auflodernden Zorne fortgestoßen, und folgte geduldig den voranschreitenden Damen. Ein kaum bemerkbares, aber triumphirendes Lächeln spielte um die Lippen der Fürstin. Sie war eine zu gute Beobachterin, um nicht zu wissen, daß sie das Spiel bereits in Händen hatte, freilich war ihr der Zufall dabei zu Hülfe gekommen.


In dem Wohngemache der Fürstin befanden sich Graf Morynski und Leo. Sie hatten durch Pawlick bereits Waldemar’s Ankunft erfahren, aber die erste Zusammenkunft zwischen Mutter und Sohn nicht stören wollen. Der Graf sah nur etwas verwundert auf, als Wanda, die er auf ihrem Zimmer glaubte, gleichfalls mit eintrat, aber er unterdrückte die Frage, die ihm auf den Lippen schwebte; der junge Nordeck fesselte für den Augenblick sein ganzes Interesse.

Die Fürstin nahm die Hand ihres jüngeren Sohnes und führte ihn zu dem älteren. „Ihr habt Euch bisher nicht gekannt,“ sagte sie bedeutsam, „und erst heute ist es mir vergönnt, der langen Trennung zwischen Euch ein Ende zu machen. Leo bringt Dir die volle Geschwisterliebe entgegen, Waldemar. Laß’ mich hoffen, daß er auch in Dir einen Bruder findet.“

Waldemar maß mit einem raschen Blicke den vor ihm stehenden Bruder, aber der Blick hatte nichts Feindseliges mehr. Die Schönheit des jungen Fürsten nahm ihn unwillkürlich gefangen; das sah man, vielleicht war er auch weicher gestimmt durch das Vorhergegangene, und als Leo, noch halb in scheuer Zurückhaltung, ihm die Hand hinstreckte, ergriff er sie lebhaft.

Graf Morynski trat jetzt auch heran, um dem Sohne seiner Schwester einige Höflichkeiten zu sagen, die dieser ziemlich einsilbig beantwortete. Die Unterhaltung, die sich aus Rücksicht für Waldemar ausschließlich in deutscher Sprache bewegte, würde gezwungen und matt gewesen sein, hätte die Fürstin es nicht verstanden, sie mit einer wahren Meisterschaft zu leiten. Sie vermied jede naheliegende Klippe, jede verletzende Erinnerung; sie wußte den Bruder, ihre Söhne und Wanda nach einander in das Gespräch zu ziehen und für eine halbe Stunde wirklich die Illusion zu erwecken, als herrsche die vollkommenste Harmonie zwischen den Familiengliedern.

Leo stand dicht neben dem Sessel Waldemar’s, und nichts war geeigneter, den Contrast zwischen den Brüdern schärfer hervor zu heben, als diese Nähe. Auch der junge Fürst hatte erst kürzlich die Knabenjahre hinter sich gelassen; auch er war noch nicht zum Manne gereift, aber wie anders zeigte sich der Uebergang hier! Waldemar hatte nie abstoßender ausgesehen als neben dieser schlanken elastischen Jünglingsgestalt mit dem vollendeten Ebenmaß in jeder Linie, mit der leichten Sicherheit in Haltung und Bewegungen und dem fast idealisch schönen Kopfe. Der junge Nordeck mit seinen scharfen, eckigen Formen, mit den unregelmäßigen Zügen und den finsteren Augen unter dem blonden Haargewirr rechtfertigte nur zu sehr die Empfindung, mit welcher der Blick der Mutter auf Beiden ruhte, auf ihrem Lieblinge, ihrem schönen lebensvollen Jüngsten, und jenem Anderen, der gleichfalls ihr Sohn hieß und mit dem sie doch nicht ein einziger Zug des Aeußeren, nicht eine einzige Regung des Herzens verband. Es war heute etwas in der Art Waldemar’s, das ihn noch unvortheilhafter erscheinen ließ als gewöhnlich. Das Schroffe, Herrische, das sonst in seinem Wesen lag, so wenig anziehend es war, es paßte doch zu der ganzen Erscheinung, und gab ihr mindestens etwas Charakteristisches. Er hatte es während der ganzen Unterredung mit der Mutter bewahrt; erst seit dem Augenblicke, wo die junge Gräfin Morynska eintrat, war es verschwunden. Zum ersten Male in seinem Leben schien er sich scheu und befangen zu fühlen, zum ersten Male schien er den Einfluß einer Umgebung zu empfinden, die ihm in jeder Beziehung überlegen war, und das raubte ihm mit dem Trotze sichtlich auch die Sicherheit. Er war gekommen, um etwas Feindseligem zu begegnen, und dies gab ihm eine gewisse rauhe Ueberlegenheit – jetzt gab er den Kampf auf, aber die Ueberlegenheit mit ihm; er war unbeholfen, zerstreut, und der verwunderte Blick Morynski’s schien bisweilen zu fragen, ob denn dies wirklich der Waldemar sei, über den man so viel Abschreckendes gehört. Das Zusammensein hatte etwa eine halbe Stunde gewährt, als Pawlick mit der Meldung erschien, daß der Tisch bereit sei.

„Leo, Du wirst es wohl heute Deinem Bruder überlassen müssen, Wanda zu führen,“ sagte die Fürstin, indem sie aufstand und den Arm ihres Bruders nahm. Sie schritt mit ihm voran nach dem Speisezimmer.

„Nun?“ fragte der Graf halblaut auf polnisch. „Wie steht es? Wie endigte die Unterredung?“

Die Fürstin lächelte nur; sie warf noch einen flüchtigen Blick auf Waldemar zurück, der eben im Begriff war, sich Wanda zu nähern, dann entgegnete sie gleichfalls in polnischer Sprache:

„Sei ohne Sorge! Er wird sich fügen – ich versichere es Dir.“ – –

Erst gegen Abend kehrte der junge Nordeck nach Altenhof zurück, und Leo, der den Bruder bis zum Ausgange der Villa begleitet hatte, trat wieder in das Empfangszimmer. Die Fürstin und Graf Morynski waren nicht mehr dort, nur Wanda stand noch auf dem Balcon, um dem Fortreitenden nachzusehen.

„Mein Gott, welch ein Ungethüm ist dieser Waldemar!“ rief die junge Gräfin ihrem Vetter entgegen. „Wie ist es Dir nur möglich gewesen, Leo, die ganze Zeit über ernst zu bleiben? Sieh her, ich habe mein Taschentuch ganz zerknittert, um das Lachen dahinter zu verstecken, aber jetzt kann ich es nicht mehr bewältigen; ich ersticke sonst,“ und Wanda warf sich auf einen der Balconsessel und überließ sich einem so stürmischen Ausbruch von Heiterkeit, daß man sah, welche Mühe es ihr gekostet hatte, ihn bis jetzt zurückzuhalten.

„Wir waren ja auf Waldemar’s eigenthümliches Wesen vorbereitet,“ meinte Leo halb entschuldigend. „Nach allem, was wir über ihn in Erfahrung gebracht, habe ich ihn mir, die Wahrheit zu sagen, noch schroffer und abstoßender gedacht.“

„O, Du sahst ihn heute auch nur im Salongewande,“ spottete Wanda. „Wer wie ich das Glück hatte, ihn in seiner ganzen Ursprünglichkeit zu bewundern, der kann sich dem überwältigenden Eindruck nicht entziehen, den die erste Erscheinung dieses Wilden macht. Ich denke noch mit Schrecken an unser Zusammentreffen im Walde.“

„Ja, Du bist mir noch die Erzählung dieses Zusammentreffens schuldig,“ fiel Leo ein. „Es war also Waldemar, der Dich vorgestern nach dem Buchenholm führte – so viel habe ich aus Eurem Gespräche entnommen, aber ich begreife nicht, weshalb Du ein solches Geheimniß aus der Sache machtest.“

„Das geschah nur, um Dich zu ärgern,“ versetzte die junge Dame sehr aufrichtig. „Du wurdest so gereizt, als ich von der interessanten Begegnung mit einem Fremden sprach; Du setztest natürlich voraus, daß irgend ein Cavalier mich begleitet hätte, und ich ließ Dich in dem Glauben. Jetzt, Leo,“ sie kämpfte wieder mit einem neuen Anfall von Heiterkeit, „jetzt siehst Du doch wohl ein, daß die Sache keine Gefahr hatte.“

„Ja, das sehe ich ein,“ stimmte der junge Fürst lachend bei. „Aber Waldemar scheint doch eine cavaliermäßige Regung gehabt zu habe, da er sich herabließ, Deinen Führer zu machen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_483.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)