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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Briefe und Niederschriften aus dem Nachlasse dieses Sängers der leichtgeschürzten Chansons und der volltönenden Kaiserlieder, welche unter den Vertretern der Heine’schen Schule bekanntlich einen der ersten Plätze einnimmt. Mit seinem Meister hat er das flotte, burschikose Wesen und den französischen Esprit gemein, aber er ist vornehmer und cavaliermäßiger als Jener. Eine gewisse soldatische Strammheit giebt ihm etwas von militärischer Bravour, welche ihm nicht übel steht, und Rudolf Gottschall findet das bezeichnende Wort, wenn er ihn den „Heine mit dem Schnurrbarte“ nennt.

Wir verdanken die erwähnten Aufzeichnungen von und über Gaudy der Güte der Frau Constanze von Kalckreuth, der in hohem Alter in Wiesbaden lebenden Schwester des gefeierten Dichters. Diese bisher noch zu keiner Veröffentlichung benutzten interessanten Documente enthalten zahlreiche neue Daten zum Leben und Schaffen Gaudy’s, und dürfte der Inhalt derselben, besonders aber eine Reihe von Aufzeichnungen der eben genannten Dame, um so passender zu der nachfolgenden Skizze benutzt werden, als am 19. April des vorigen Jahres sich ein Dreivierteljahrhundert seit der Geburt unseres Poeten vollendete – Veranlassung genug, um dieses deutschen Béranger’s einmal wieder zu gedenken.

„Bei meiner Geburt,“ erzählt Gaudy’s Schwester, „soll der fünfjährige Bruder, der eher französisch als deutsch sprach, unablässig gerufen haben: ‚Moi, je veux, qu’on la nomme Constance, comme Maman – ich will, daß man sie Constanze nennt, wie Mama.‘ Der Wille des kleinen Haustyrannen ging durch, und mit diesem Namen wurde mir das Lebensprogramm gestellt; denn ich bin ihm in Beständigkeit eine treue Schwester gewesen; er hat mir manchen Schmerz, viele Sorgen bereitet, aber doch – welch hohes Glück verdanke ich ihm und seinen großen Gaben!“

Die schöne geniale Mutter, eine geborene Gräfin von Schmettow, erzog die Kinder nach Rousseau’schen Grundsätzen in fesselloser Freiheit, die dem Knaben oft so weit die Zügel schießen ließ, daß er in der überschäumenden Kraft seines Wesens nicht selten zur Geißel der Familie wurde. Der Vater, General von Gaudy, wurde fast ganz von seinen dienstlichen Functionen in Anspruch genommen, und jene kriegerischen Zeiten, in welche die ersten Lebensjahre unseres Dichters fallen, entfernten den viel in Anspruch Genommenen häufig weit vom Hause, sodaß er sich um die Erziehung seiner Kinder nur wenig kümmern konnte. Franz verließ schon im sechsten Lebensjahre (1806) das väterliche Haus, um in verschiedenen Pensionen seine fernere Erziehung zu empfangen, doch konnte, wie seine Schwester berichtet, Niemand den wilden Rangen recht bändigen. Da wollte das Glück, daß der General von Gaudy wegen seiner umfassenden Bildung und vollendet feinen Umgangsformen vom Könige Friedrich Wilhelm dem Dritten dazu ausersehen wurde, das schwere und verantwortungsvolle Amt eines Erziehers des preußischen Kronprinzen, nachherigen Königs Friedrich Wilhelm des Vierten, zu übernehmen. Franz folgte seinem Vater nunmehr nach Berlin, um das dortige Collège Français zu besuchen. Er war während dieser Zeit bei dem Prediger Reclam, dem er das Leben weidlich sauer machte, in Pension. Unter anderen gefährlichen Streichen, die der von Lebenslust und Kraft überströmende Knabe damals in Scene setzte, erzählt die Schwester auch den folgenden, für die Sinnesart des nachherigen Dichters sehr charakteristischen: Als Reclam ihm eines Tages Stubenarrest gegeben hatte und nach mehreren Stunden wieder zu ihm in’s Zimmer trat, um ihn aus der Gefangenschaft zu erlösen, war unser Franz verschwunden; lange suchte der würdige Mentor nach dem trotz Schloß und Riegel entflohenen Zöglinge, bis er ihn endlich zu seinem nicht geringen Schrecken an der Außenseite des Hauses, an einem Fenster des zweiten Stockes, mit den Händen um das Fensterkreuz geklammert, in einer höchst halsbrecherischen Stellung wiederfand. Nur das eindringliche Bitten und Flehen des schwer geängstigten Geistlichen vermochte den jungen Trotzkopf, gnädigst wieder mit heilen Gliedern zu dem Loche hineinzuklettern, aus dem er, die Gefahr nicht achtend und das heiße Herz voll Eigensinn und Grimm, herausspaziert war.

Durch des Vaters Stellung gewann Franz den Vorzug, Studiengenosse des Kronprinzen zu werden, und erhielt somit von Dingen und Verhältnissen Kenntniß, welche sonst nicht an einen Knaben heranzutreten pflegen. So eröffnete sich ihm schon frühe ein Blick zugleich in die idealen Güter des Geistes und in die praktischen Zustände des Lebens; schon damals war er in den Werken der classischen Schriftsteller alter und neuer Zeit ebenso bewandert, wie in den Arbeitssälen der Fabriken und Manufacturen von Berlin und der Provinz Brandenburg. Durch diese frühzeitige Wissensfülle wurde ihm schon zu jener Zeit ein reiches geistiges Material zu eigen, an dem sein inneres Leben sich kräftig und eigenartig entwickelte.

Dem General von Gaudy begegnete in der Schlacht bei Bautzen, welche er als Begleiter seines hohen Zöglings mitmachte, ein seine ganze Laufbahn änderndes Ereigniß. Sein Pferd überschlug sich, und er stürzte gefährlich. In Folge dieses Unfalls mußte er seine bisherige Stellung quittiren und wurde nunmehr mit der Würde eines Militärgouverneurs von Sachsen betraut. Dieser Wechsel im Leben des Vaters war auch für den Sohn von folgenschwerer Rückwirkung. Er mußte, da der Vater ihn in seiner Nähe zu haben wünschte, Berlin verlassen und wurde in Schulpforta zur weiteren Fortbildung inscribirt. Hier, unter der Leitung vorzüglicher Lehrer, wurde in den Knaben der erste Keim zu seiner Vorliebe für das Studium der Sprachen gelegt. „Er ist ihr,“ schreibt Frau von Kalckreuth, „sein Leben hindurch treu geblieben, da er bis an sein Ende Abends im Bette seinen Homer oder Horaz las. Ueberhaupt war das Talent für Sprachen sehr vorherrschend bei ihm; wie früh er französisch sprach, wurde schon gesagt. Neben den alten Sprachen trieb er in Schulpforta mit Eifer das Spanische; später sprach er das Polnische brillant und lernte in vier Wochen dänisch, als er mit Xaver Marmier nach Island reisen wollte. Als sich diese Reise zerschlug, lernte er in wenigen Monaten italienisch. Die bewunderungswürdigsten Kenntnisse aber hatte er sich im Altfranzösischen erworben. Den ‚Roman du Rou‘ von Robert Wace übersetzte er in 10,472 Versen in mustergültiger Weise.“

Im Jahre 1818 ging Franz von Gaudy mit dem Zeugniß der Reife von Schulpforta ab. In Dresden entzückte er die Schwester, da er als altdeutscher Jüngling im schwarzen Sammetrock, mit wallenden prächtigen Locken und Kneipmütze erschien – aber das wurde ihm verhängnißvoll; denn der Vater witterte demagogische Tendenzen bei dem Herrn Sohn und dies um so mehr, als Franz mit Begeisterung von dem „Demagogen“ Sand, dem nachherigen Mörder Kotzebue’s, sprach, der in Schulpforta gewesen und dort für seine Weltbeglückungspläne Propaganda gemacht hatte. Franz war so elektrisirt von dem Zauber der Sand’schen Sprache, daß der Vater schleunigst befahl, der Herr Studiosus solle die Locken glatt scheeren und an Stelle der Cereviskappe einen Cylinder tragen; er gehorchte und schaute unter dem octroyirten Hute grimmig in die Welt. Aber der härtere Befehl folgte nach. Der gestrenge Papa verfügte, Franz solle nicht studiren, sondern in das erste Garde-Regiment in Potsdam eintreten. Das war ein Donnerschlag für den im Geiste schon in den Hörsälen von Göttingen sitzenden Jüngling. Aber Widerspruch war im Gaudy’schen Hause, wo das Wort des Herrn Generals Alles galt, nicht Mode. So trat der aus allen Himmeln gestürzte Jüngling denn in das Regiment ein und trug die Fesseln der Disciplin ruhig, wenn auch knirschend.

Er war nichts weniger als in seinem Elemente; sein ganzes Wesen verlangte eine freiere, weniger von den Convenienzen des Standes eingeengte Lebensweise. Er entschädigte sich denn auch für die verlorene Freiheit mit vielen thörichten Streichen, Schulden und Duellen, deren sein Paukbuch allein elf aufweist – bis er, „von der Garde zur Linie vertrieben,“ nach Breslau versetzt wurde. Hier lebte er auf durchaus großem Fuße, hielt eine Köchin und Bedienten und machte auf’s Neue Schulden. In jener Zeit kam er oft zur Schwester; er ging, wie sie erzählt, musternd im Zimmer auf und ab, wie der Armen-Advocat Siebenkäs, und fragte: „Stanzel, was versilbern wir heute?“ Und es fand sich immer etwas – das ganze Schmuckkästchen wurde geleert und die goldene Uhr einem Cerberus von Schneider als Besänftigung zugeworfen, dem Franz in seiner Heftigkeit ein Ohr mit dem Degen abgehauen hatte. Die Schwester lenkte den Zorn des Vaters gern auf sich, um den Bruder zu vertreten. Dafür liebte er sie aber auch leidenschaftlich;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_488.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)