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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


fast zur Gelehrsamkeit. Talent für die Musik war in ihm wenig vorhanden. Er klimperte Guitarre, und hatte wohl nur Violine gelernt, um die Geige zu besitzen, welche seine Mutter außerordentlich gut gespielt. Aber die bildende Kunst war sein eigentliches Feld, und durch seine Werke geht der goldene Faden tiefen gewissenhaften Kunststudiums. Er selbst zeichnete sehr hübsch, besonders treue Portraits in Carricaturen, welche Gabe ihm manchen Feind erweckt hat, da er eben nicht sehr schonend mit der Menschheit umging. In einer der kleinen Garnisonen hatte er einmal die weißen Wände seines Zimmers mit sehr ergötzlichen Carricaturen in Kohle bemalt – es wurde verrathen. Und so war es für ihn ein Glück, daß ein Camerad ihm bei der Parade zuraunte: ‚Der Oberst wird Dich besuchen‘. Flugs stürzte Franz nach Haus, bürstete mit der Kleiderbürste die verrätherische Kohle ab und empfing den Vorgesetzten glühend in einer dicken Wolke von Kalkstaub, die ihn zum schleunigen Rückzuge nöthigte.“

In Berlin arbeitete Gaudy eifrig für den „Musenalmanach“, der nun, nachdem sich die süddeutschen Dichter, besonders Schwab, von ihm zurückgezogen, neben Chamisso’s Namen auch den Gaudy’s, als des Mitherausgebers, trug. Die letzte Arbeit, die er gemeinsam mit Chamisso unternahm, war die Uebersetzung einer Auswahl der Béranger’schen Lieder. Bald nach Beendigung derselben trat er eine zweite Reise nach Italien an, auf welcher ihn sein Freund E. Ferrand bis in die Schweiz begleitete. Wie damals diesem Freunde gegenüber, so äußerte er sich schon früher häufig gegenüber der Schwester, er möge am liebsten ganz in Italien oder doch wenigstens im Süden von Deutschland leben. Italien, sein mildes Klima und sein feuriger Wein sagten ihm besser zu als der Norden mit Nebel und Bier. Seine ganze Natur hatte etwas entschieden Südländisches. Doppelt schwer empfand er bei seiner Rückkehr nach Deutschland diesen Widerspruch seines Innern mit Land und Leuten daheim – denn eine Saite seines Lebens war inzwischen gesprungen: Chamisso war todt. Wieder suchte er Ruhe bei der Schwester in Schönborn, aber er verweilte dort nur kurze Zeit, und Todesahnung zog durch seinen Abschied von der Theuern. Eine Verherrlichung des Todes war der Vorwurf eines epischen Gedichtes, zu dem er eifrig Motive suchte – nur wenige Wochen nach seiner Rückkehr nach Berlin lag er auf dem Todtenbette. Seine Freunde legten ihn in den Sarg wie einen Sänger des Alterthums, im wallenden weißen Gewande und den Lorbeerkranz in schönen braunen Haar.

„Franzens Charakter ist selten richtig beurtheilt worden,“ schreibt uns seine Schwester, „er war brav und ehrenwerth durch und durch, unbestechlich in seinem Urtheile, wahr bis zur Schroffheit; er konnte bezaubernd liebenswürdig sein, wollte es aber nicht immer sein – trübe Erfahrungen hatten ihm Menschenverachtung gelehrt, und doch war sein Herz warm und liebebedürftig. Seinen Freunden war er ein wahrer Freund. Um es kurz zu sagen: er war ein Mann im schönsten Sinne des Wortes.“

Ernst Ziel.




Die wildeste Dampffahrt des Jahrhunderts.
Von Theodor Kirchhoff.
San Francisco, am 5. Juni 1876.     

Am Sonntagmorgen den 4. Juni, präcise ein Viertel nach neun Uhr, verkündeten dreizehn Kanonenschüsse vom Dache des Palace Hôtels die Ankunft des ersten transcontinentalen Schnellzugs („lightning“-train) von New-York an den Gewässern der großen San Francisco-Bai, der die ungeheure Strecke von 3317 englischen Meilen ohne nennenswerthe Unterbrechung in 83 Stunden, 53 Minuten und 45 Secunden zurückgelegt hatte, eine Eisenbahnfahrt, die bis jetzt einzig in ihrer Art in der Welt dasteht. Von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde berichtete der Telegraph von dem Fortschritt des in rasender Eile den Continent durchfliegenden Dampfzugs; die Bevölkerung des ganzen Landes verfolgte die Einzelheiten der wilden Fahrt mit gespanntester Aufmerksamkeit. Täglich wurden die Stimmen des Zweifels an dem Gelingen des großartigen Unternehmens geringer, bis sich das zuerst für fast unmöglich Gehaltene als glänzende Thatsache herausstellte. In San Francisco mit seiner leicht erregbaren kosmopolitischen Bevölkerung war die Aufregung während der letzten Tage eine ganz gewaltige, und man hörte in der Stadt fast nur vom „Lightning“-Train reden. Selbst die Minenbörse, der drohende Türkenkrieg und die heiklige Chinesenfrage hatten hier zeitweilig alles Interesse verloren. Briefe aus New-York in weniger als vier Tagen, schriftliche Nachrichten aus Europa in zwei Wochen am Gestade des Stillen Meeres abgeliefert! – wer so etwas vor zwei Jahren prophezeit hätte, den würde sicherlich jeder Californier für toll gehalten haben.

Der in Amerika durch ihre Aufführungen des Shakespearischen Dramas „Heinrich der Fünfte“ und des Schlachtgemäldes von Agincourt berühmt gewordenen Schauspielergesellschaft der Herren Jarrett und Palmer gebührt die Anerkennung, dieses gigantische Unternehmen geplant und durchgeführt zu haben. Die genannten Directoren jener Gesellschaft mietheten den Schnellzug für die Hin- und Herreise mit einem Kostenaufwande von fünfhundert Dollars für die Person, um in San Francisco ein Gastspiel zu geben. Der New-Yorker „Herald“ bezeichnete das Unternehmen als ein „geschichtliches Ereigniß, das unter allen Umständen verdient, weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus mit hohem Interesse beachtet zu werden“. Allerdings ist eine Schnelligkeit von 35 bis 45 englischen Meilen per Stunde auf europäischen Eisenbahnen schon längst nichts Ungewöhnliches mehr. Aber die Entfernungen sind dort verhältnismäßig kurze, die Schienenwege haben meistens Doppelgleise und sind auf der ganzen Fahrstrecke eingefriedigt (was in Amerika fast nirgends der Fall ist); das Dienstpersonal ist ein bei Weitem zahlreicheres als auf amerikanischen Bahnen, und die zu überwindenden Terrainschwierigkeiten halten auf den europäischen Hauptlinien mit denen hier zu Lande keinen Vergleich aus. Wer die Hindernisse, welche sich dem Gelingen eines solchen Unternehmens in Amerika entgegenstellen, zu würdigen versteht, der wird obigem Ausspruche des „Herald“ seine Zustimmung gewiß nicht versagen. Die verschiedenen Eisenbahngesellschaften des Ostens mußten mit der Union- und Centralpacific einmüthig zusammen handeln, um den Erfolg des Riesenunternehmens zu sichern. Rasende Schnelligkeit, Pünctlichkeit sämmtlicher Bahnangestellten auf der ganzen ungeheuren Wegstrecke, Benutzung der stärksten Locomotiven, des tadellosesten Fahrmaterials, der erfahrensten Ingenieure und Zugführer waren Jedes unentbehrlich, um das gigantische Project zu ermöglichen; die geringste Unachtsamkeit konnte eine furchtbare Katastrophe herbeiführen, der unbedeutendste Verzug, irgend eine Nachlässigkeit im Dienst waren genug, um den Erfolg zu vereiteln. Es waren endlose Wegstrecken zu durcheilen, Urwälder, Sümpfe und Prairien zu durchfliegen, wo Heerden von Rindern ungehindert über das eingleisige Bahnbett zu schreiten pflegen und Baumriesen oft vom Sturm auf dasselbe geschleudert werden; mächtige Flüsse mußte man passiren, hohe Gebirgszüge erklimmen, ehe das ferne Ziel am Goldenen Thore erreicht werden konnte.

Vor der Eröffnung der Pacificbahn brauchte die Pony-Expreß gegen dreißig Tage, der Tagereisende anderthalb Monate, ein Emigrantenzug mindestens ein halbes Jahr, um den Continent zu durchkreuzen. Dann verband der eiserne Weg die Meere, und in sieben Tagen und Nächten pflegten in den letzten Jahren Reisende von New-York nach San Francisco zu fahren. Und jetzt hat der „Lightning“-Zug dieselbe ungeheure Strecke in weniger als vierundachtzig Stunden durchflogen. Nach einem neuen Decennium wird man es wahrscheinlich ganz natürlich finden, innerhalb drei Tagen, vielleicht in noch kürzerer Zeit, von New-York nach San Francisco zu reisen, uns aber sei es gestattet, den Erfolg der ersten Schnellfahrt über den nordamerikanischen Continent als ein Ereigniß zu bezeichnen, das im Verkehrsleben der Menschheit wohl einen ruhmvollen Platz einzunehmen verdient und dem Unternehmungsgeiste der großen Republik des Westens, die gerade jetzt das hundertjährige Jubiläum ihres Bestehens feiert, zur Ehre gereicht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_490.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)