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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

dieser schöne Mund je ein gemeines Wort gesprochen, diese reine Stirn dem Verbrechen gedient, stünde nicht die Bemerkung auf dem Bilde, die bewunderte Schönheit sei eine ebenso lüderliche Dirne wie gefährliche Diebin. Das sind jedoch nur Ausnahmen; die überwiegende Anzahl der Bilder bietet keinerlei ästhetischen Reiz, wohl aber häufig genug das Gegentheil. Die von dem berühmten englischen Physiologen und Irrenarzt Henry Maudsley ausgesprochene Bemerkung über den bei Kindern der Verbrecher erscheinenden Gesichtsausdruck physischer Degeneration wird hier vollkommen bestätigt. Die Abkömmlinge einzelner leider vorhandener Verbrecherfamilien tragen den Stempel der Verworfenheit an der Stirn; man kann unmöglich häßlichere und entstelltere Gesichter sehen.

In das Verbrecher-Album werden alle wegen Eigenthumsverletzungen gerichtlich bestrafte Personen, ferner die in den Strafhäusern inhaftirten Individuen aufgenommen. Hat ein Verbrecher seine Haft abgebüßt und kehrt in den Wiener Polizeirayon zurück, wo er unter polizeilicher Aufsicht steht, so verbleibt sein Bild dem Album einverleibt. Für die photographischen Aufnahmen der Verbrecher ist ein besonderer beeideter Photograph angestellt, dessen Atelier sich im Centralpolizeigefangenhause befindet und der für die sichere Aufbewahrung der Platten verantwortlich ist. Die Aufgabe dieses Photographen ist, ganz abgesehen von dem Publicum, mit dem er zu verkehren hat, keine angenehme, indem die meisten Verbrecher einen heftigen Widerwillen gegen die Erzeugung ihres Lichtbildes äußern und eine gelungene Reproduction ihrer Physiognomie zu hindern versuchen. Manche dieser Individuen können nur durch Gewalt bewogen werden, gegenüber der Camera ruhig zu sitzen oder zu stehen; Andere schneiden Grimassen, verzerren das Gesicht und versuchen auf mancherlei Art eine getreue Wiedergabe ihrer Züge zu hindern. Trotz der Androhung von Strafen hat es sich häufig genug ereignet, daß einzelne Verbrecher fünf- bis sechsmal aufgenommen werden mußten, ehe man eine den Sicherheitszwecken entsprechende Photographie erhalten konnte. Im Allgemeinen äußern die Frauenspersonen einen heftigeren Widerwillen gegen die photographische Aufnahme als die Männer.

In den sechs Jahren, die seit der Anlage des Verbrecher-Albums verstrichen sind, hat sich der Vortheil dieser Einrichtung vielfach erwiesen, und man darf ohne Uebertreibung hinzufügen, daß in einzelnen Criminalfällen die Photographie die wesentlichsten Dienste leistete. Es muß aber auch bemerkt werden, daß der Vortheil dieser Einrichtung illusorisch wird, wenn bei der praktischen Verwendung nicht mit großer Aufmerksamkeit und Behutsamkeit vorgegangen wird. Diese Mahnung richtet sich weniger gegen die Organe der Behörde, als gegen das Publicum, das von Fall zu Fall durch die Photographiensammlungen von Verbrechern, die gegenwärtig in fast allen Hauptstädten bestehen, der Sicherheitsbehörde wichtige Fingerzeige zu geben vermag. Ein lehrreicher Fall, wie gefährlich jede Uebereilung in dieser Beziehung ist, möge hier mitgetheilt werden.

Im Jahre 1871 wurde in einer österreichischen Provinzstadt eine französische Sprachlehrerin, die als ehrbar galt, in ihrer Wohnung ermordet aufgefunden. Die polizeiliche Thatbestandserhebung und die Section der Leiche förderten widersprechende Umstände zu Tage, so daß es unmöglich war, positiv zu bestimmen, ob hier ein Mord oder Selbstmord vorlag. Die Untersuchung erhielt erst durch die Aussagen einer in dem Hause der Sprachlehrerin wohnhaften Frau neue Anhaltspunkte, welche das genaue Signalement eines Mannes gab, den sie zur Stunde, als das Verbrechen schon verübt sein mußte, aus der Wohnung der Demoiselle treten sah. Das Signalement paßte vollkommen auf einen vor kurzer Zeit aus dem Gefängnisse entlassenen Fleischergehülfen, der seiner Zeit wegen eines im Raufhandel ertheilten Messerstichs verurtheilt und im Strafhause für das Verbrecher-Album photographirt worden war. Auf Ersuchen sendete die Wiener Polizei das Bild an die Provinzbehörde; dasselbe wurde der Frau vorgewiesen, und sie erklärte bestimmt den Mörder zu erkennen. Der Fleischergehülfe wurde in Triest ausgeforscht und verhaftet, leugnete entschieden die That, konnte jedoch leider kein vollständiges Alibi nachweisen. Durch eine unglückliche Verkettung von Umständen befand sich der Mann zur Zeit, als die That geschah, auf der Reise nach Triest, und es war die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß von ihm die That verübt worden sei. Der Bedauernswerthe wurde in Haft behalten und wäre vielleicht vor das Gericht gestellt worden, hätte ihn nicht die Entdeckung des wahren Thäters befreit. Die Sicherheitsbehörde war durch fortgesetzte Nachforschungen zur Kenntniß der Thatsache gekommen, daß die ermordete Demoiselle früher im Geheimen ein ausschweifendes Leben geführt, ein Factum, welches zur Entdeckung des Verbrechers den Weg wies. Dieser, ein Geschäftsagent, konnte trotz der höchst gründlichen Untersuchung nicht des Mordes überwiesen werden; der Schleier des Geheimnisses, der über der blutigen That lag, blieb nach wie vor ungelüftet. Der Fleischergehülfe wurde nach Möglichkeit entschädigt, doch welchen Ersatz bietet eine Summe Geldes für die Qualen einer monatelangen Untersuchungshaft unter dem Verdachte des Mordes! Die Schwere der Verantwortung fiel auf jene Frau, die unbedacht und leichtsinnig den Verdacht auf den Unschuldigen gelenkt hatte. Die Lehre aus diesem Justizfalle ist für Jedermann einleuchtend: wer in die Lage kommen sollte, aus vorliegenden Photographien den Thäter eines begangenen Verbrechens der Behörde zu bezeichnen, hüte sich, das entscheidende Wort zu sprechen, wenn er seiner Sache nicht ganz sicher ist!


Liebe, Haß und Eifersucht der Fische.

Wer hätte nicht schon oft die Behauptung gehört, daß die Fische keinerlei zartere Zuneigung zu einander fühlen, weder zu ihrem Laich noch zu ihren Jungen, wer nicht die stereotypen Redensarten: kalt wie ein Fisch, herz- und lieblos wie die Fische und derartige unzählige andere Meinungsäußerungen. Daß diese Anschauungen, welche leider fast überall gehegt werden, theils auf grober Unwissenheit, theils auf sinn- und gedankenlosem Nachplappern beruhen, wird sich für jeden Unbefangenen sonnenklar aus dem Folgenden ergeben.

Die zuverlässigsten Beobachtungen in dieser Angelegenheit lassen sich in einer geschlossenen Forellen-Laich-Anstalt machen, welche als ein Theil einer mittelmäßigen Brut- und Zuchtanstalt einen Wasserbehälter von etwa zehn bis fünfzehn Fuß Breite, fünfzehn bis fünfundzwanzig Fuß Länge und zwei bis drei Fuß Tiefe erfordert. Rings an den Wänden dieses mit stets fließendem Quellwasser versehenen und meist überdachten Behälters befinden sich die hölzernen, steinernen oder thönernen Laichkästen, ähnlich unsern Staarkästen in der Größe von anderthalb bis zwei Quadratfuß. Diese Laichapparate haben an der Vorderseite unten eine ovale Oeffnung und einen doppelten Boden. Der obere, aus grobem Drahtnetze bestehende befindet sich ein bis anderthalb Fuß unter Wasser, ist mit Kieselsteinen von Hasel- bis Wallnußgröße anderthalb bis zwei Zoll hoch bedeckt und zum eigentlichen Laichen sowohl, wie auch zum Durchpassiren des Laichs bestimmt. Der untere Boden, welcher aus einem feinen Drahtnetze besteht, ist bestimmt, den durch den oberen hindurchgefallenen Laich aufzunehmen, und kann mit demselben wie mittels einer Schieblade aus dem Kasten herausgezogen werden. In einer solchen oder ähnlichen Laichanstalt kann jeder einigermaßen aufmerksame Beobachter von October bis Ende Januar zu jeder Tageszeit auf das Unzweideutigste wahrnehmen, wie gerade die Forellen mit äußerster Leidenschaftlichkeit lieben und hassen und mit welch’ aufopfernder Anstrengung und Sorgfalt sie ihren Laich zu beschützen und zu verbergen verstehen.

Das Weibchen umschwimmt mit eleganten Wendungen und Schwingungen, welche man zu keiner andern, als zur Laichzeit beobachten kann, bald auf dem Bauche, bald auf der Seite, oft genug sogar auf dem Rücken liegend und seine um diese Zeit ganz auffallend brillanten Farben zeigend, ein aus Hunderten erkorenes Männchen. In ganz ähnlicher Weise schießt letzteres in zierlich sich schlängelnden Linien unter und über seinem Weibchen her, indem es dasselbe auf das Behutsamste berührt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_494.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)