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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


„Es ist eine echte Havanna,“ sagt der Genossenschafts-Revolver, „dreißig Pfennige gebe ich selbst dafür. Wer bietet mehr?“

„Zwanzig Pfennige will ich geben,“ sagt der Heldenvater, der ein starker Raucher ist, „aber mehr nicht.“

„Schön, lieber Freund! Geben Sie zwanzig Pfennige!“

Der Käufer zahlt. Der Genossenschafts-Revolver zieht mit verbindlichem Lächeln die zwanzig Pfennige ein und sagt: „Im Namen der Genossenschaft besten Dank!“ Die Cigarre ist fünf Pfennige werth und von ihm eigenhändig präparirt.

Man schlägt ein Spielchen vor. Der Genossenschafts-Revolver ruht und rastet nicht, bis Alle versprechen, zehn Procent des Gewinnes für die Genossenschaft zu geben. Er zieht Karten hervor, die er stets bei sich trägt.

„Hier sind Karten, meine Herrschaften. Das Kartengeld ist an mich zu entrichten, nicht an den Wirth, es ist zum Besten der Pensionscasse.“ – Ehrenhalber müssen die Collegen auf die Offerte eingehen, da der Wirth sich damit einverstanden erklärt, und ein dreimal höheres Kartengeld zahlen, als gewöhnlich.

Zum Schluß, wenn das Spiel vorüber, macht der Genossenschafts-Revolver Kartenkunststücke, natürlich nur gegen ein entsprechendes Entgelt für die Pensionscasse. Läßt einer der Anwesenden aus Neugier sich verleiten, einige Pfennige zu zahlen, so schämen sich die Uebrigen zurückzustehen, und es fließt wieder ein Sümmchen zusammen. Dann erzählt er die neuesten pikanten Anekdoten aus der Stadt, die er, wer weiß wo, aufgefangen hat, selbstverständlich nicht umsonst, und hält beim schönen Geschlecht eine reiche Ernte. Er ist unwiderstehlich, keine Abweisung schreckt ihn. Er verschluckt glühende Kohlen und Spazierstöcke, sticht sich Nadeln durch die Backe, trinkt Bier mit Petroleum ohne eine Miene zu verziehen – Alles zu Gunsten der Genossenschaft. Er besitzt den Stoicismus des Spartaners und die Opferfreudigkeit eines Märtyrers.

In der That benutzt er jede freie Stunde zu Haus, um sich Taschenspielerkunststücke einzuüben, sowie neue Kniffe zu ersinnen, die den Dickfelligsten mürbe machen.

Macht einer der Collegen einen Kalauer, der die entsetzten „Ach“ und „Au“ der Beschädigten zur Folge hat, so ist er es, der energisch eine Geldstrafe beantragt, wobei ihn die Uebrigen gewöhnlich unterstützen, da ihre Geldbeutel ja diesmal verschont bleiben.

Genug – an Gemeingefährlichkeit kann sich keine noch so gefürchtete Species von Collegen mit ihm messen. Dies sind indessen noch die liebenswürdigeren Seiten des Genossenschafts-Revolvers, aber er hat auch unangenehme.

Einer Collegin, die von einem säumigen Schauspieler das geliehene Geld nicht zurückerhalten kann, bietet er sich als Commissionär unter der Bedingung an, die Hälfte der Summe an die Pensionscasse abführen zu dürfen. Die Gläubigerin, die schon längst auf ihr Geld verzichtet hat, geht den Handel ein, und richtig – sie erhält die Hälfte ihres Eigenthums zurück. Der eingefleischteste Schuldenmacher, der dem blutgierigsten Wucherer lachend ein Schnippchen schlägt, ist unfähig, dem Genossenschafts-Revolver zu widerstehen.

Geht es gar nicht anders, so macht der für seine Mission Begeisterte auch wohl selbst unter allerlei rührenden Vorwänden bei seinen Collegen Schulden, denkt aber nie an’s Bezahlen. Die energischsten Forderungen um Rückgabe des Geliehenen werden mit einem Lächeln, einem Achselzucken und der stereotypen Redensart: „Im Namen der Genossenschaft besten Dank!“ abgewiesen. Vorzüglich die Kunstnovizen beiderlei Geschlechts, die Anfänger, die man in der Theatersprache als „junge Vergnüglinge“ bezeichnet, fallen dieser Manipulation zum Opfer.

Auf diese und ähnliche Weise wirkt der Genossenschafts-Revolver zum Besten der Pensionscasse, der, wie gesagt, dadurch jährliche Tausende zufließen. Sind auch die Mittel, die er anwendet, nicht immer die besten und nobelsten, der Zweck ist gut. Der gutherzige Künstler sieht in dem Genossenschafts-Revolver ein nützliches Glied des großen Bühnenstaates. Wenn der unverdrossene Zahlungseintreiber ihm auch manchmal lästig wird, er zahlt ihm schließlich doch und murmelt: „Es muß auch solche Käuze geben!“

Friedrich Zimmermann.




Blätter und Blüthen.

Thymol. Auf den Thymian bringt mich eine Entdeckung der neueren Chemie. Ich möchte nur wissen, wie unsere Ur-Hausmütter herausgebracht haben, daß dieses würzige Pflänzchen ihnen so kräftig beistehen könnte, schädliche Gerüche zu vertreiben und alles, was man zu des Lebens Nothdurft und Nahrung gebraucht, vor schnellem Verderben zu schützen. Die Wissenschaft unserer Zeit hat den Scharfblick jener alten Hausmütter, die den Thymian zuerst in ihren Hausgarten aufnahmen und als vorzüglichstes Wurst- und Speisegewürz gepflegt haben, glänzend gerechtfertigt. Unsere Chemiker und Physiologen sind seit Jahren emsig bemüht, Stoffe auszumitteln, welche, wie Plutarch sich einmal ausdrückt, gleichsam die davongegangene Seele der organischen Körper ersetzen und sie, obgleich leblos, vor Verwesung schützen können. Wir wissen, daß diese Schutzstoffe, das „göttliche“ Salz Homer’s allzeit voran, vielmehr den Zweck haben, jenen mikroskopischen Thier- und Pflanzenwesen, welche Gährung und Fäulniß im todten und Krankheiten im lebenden Körper erregen, das Dasein zu verleiden, ja diese geschäftigen Diener des Zerstörer Schiwa geradezu zu vergiften. Die starken Mineralgifte sind nicht zu verwenden, wo es sich um Erhaltung von Nahrungsmitteln handelt; man würde mit ihnen wie jener Wächter der Fabel fahren, der die Fliege auf der Stirn des Schlafenden mit einem großen Steinschlage tödtete, und man hat deshalb vorzüglich nach weniger scharfen organischen Giften gesucht, die den kleinen Wesen, aber nicht dem Menschen tödtlich sind. Nachdem die Carbolsäure unsere Kriegslazarethe vor dem gefürchteten Hospitalbrande bewahrt und in der Wundenheilung wie für die Desinfection der Aborte ihre hohe Wirksamkeit bewiesen, erntete die Entdeckung des Professor Kolbe in Leipzig, daß die aus der Carbolsäure leicht darstellbare Salicylsäure dieselben guten Eigenschaften äußere, ohne so übelriechend und scharfgiftig zu sein, wie erstere, einen wohlverdienten Beifall. Nach neueren Untersuchungen, die L. Lewin im vergangenen Jahre angestellt und in Virchow’s „Archiv für pathologische Anatomie“ veröffentlicht hat, ist aber ein im Arom des Thymians enthaltener Stoff, das Thymol oder der Thymian-Kampher noch viel wirksamer als die genannten, sofern ein Theil Thymol eine größere gährungshemmende Wirkung ausübte, als vier Theile Carbol- oder Salicylsäure. Diese gährungs- und fäulnißwidrige Kraft des Thymols ist bereits im Jahre 1868 von dem Chemiker Paquet bemerkt worden, ohne daß vergleichende Untersuchungen damals angestellt wurden. Das Thymol hat den Vorzug, wohlriechend zu sein, während die Salicylsäure geruchlos, die Carbolsäure übelriechend ist. Allerdings scheint sie etwas stärker auf den Organismus einzuwirken, als die zweitgenannte, denn man kann durch starke Gaben auch größere Thiere tödten und bemerkt dann, wie der amerikanische Naturforscher Valverde zuerst beobachtete, daß ihre Cadaver selbst in der Tropensonne nur sehr langsam verwesen, aber in kleinen Mengen ist das Thymol vollkommen unschädlich. Sein gewürzhafter Geschmack wird es vorzugsweise zur Erhaltung der Fleischwaaren empfehlen, während die geschmacklose Salicylsäure für die Haltbarmachung der Getränke und des Eingemachten eine bedeutende Wichtigkeit erlangen dürfte. Die Heilmittellehre knüpft außerdem an beide vielfache, zum Theil bereits völlig bewährte Hoffnungen.

C. St.

Magyarische Willkür. Das Briefgeheimniß ist von den civilisirten Völkern der Erde von jeher als eine geheiligte Institution betrachtet worden, und so lange Menschen über Menschen richten, galt Derjenige für frivol und verfehmt, der dieses Geheimniß verletzte. Zufolge einer Mittheilung des kaiserlichen Postamts Leipzig sind von hier expedirte Briefe in Ungarn mit Beschlag belegt und von dortigen Postofficianten eröffnet worden, und zwar lediglich auf den Verdacht hin, dieselben könnten Exemplare unserer im Lande der Magyaren bekanntlich verbotenen Zeitschrift enthalten. Die eröffneten Briefe sind weder den Adressaten zugestellt, noch den Absendern zurückgesandt worden, sondern einfach den Weg alles Papiers gegangen. Wir stehen nicht an, ein solches Verfahren, abgesehen von der kleinlichen Art der Kriegführung, die es documentirt, als eine höchst unwürdige und gröbliche Verletzung des Briefgeheimnisses zu bezeichnen. Was den Absendern jener Briefe gestern passirt ist, das kann heute und morgen jedem Anderen in Ungarn begegnen; ist es doch nunmehr der Privat-Willkür jedes der dortigen Herren Postbeamten anheimgegeben, diese und jene Briefschaften unter dem sehr wohlfeilen Vorwande: „Ich bin auf Gartenlauben-Suche“ zu eröffnen. Die ungarische Post – und noch mehr vielleicht die Behörde, welche sie dazu veranlaßt – hat sich durch diese Maßnahmen in der öffentlichen Meinung des In- und Auslandes arg discreditirt. Wir haben diese Mittheilung nicht unterdrücken wollen, um die correspondirende Welt vor ähnlichen Gefahren im Königreiche Ungarn zu warnen.




Kleiner Briefkasten.

A. M. in R. Dank für die Sendung! Gegen Ihre Bezeichnung der Richard Wagner’schen Musikaufführungen in Bayreuth als eines „nationalen Unternehmens“ müssen wir indessen entschieden Verwahrung einlegen. Wenn auch Sie und Andere der Welt weiß machen möchten, daß ein solches Prädicat hier an seinem Platze sei, so wird doch jeder unbefangen Urtheilende sich der Erkenntniß nicht verschließen können, daß bei allem künstlerischen Werthe, den man der Wagner’schen Musik beimessen mag, die „Nation“ den Bayreuther Aufführungen absolut fern steht, und daß es nur das in Deutschland noch immer florirende Coterie- und Reclamewesen ist, welches dem Wagner-Feste einen Nimbus leihen möchte, den es in Wirklichkeit nicht hat noch haben kann.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_528.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)