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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Gutzkow ist ein Meister des Stiles. Leichtigkeit, Verständlichkeit und edle Gewandung weiß er mit einem Gedankenreichthume zu verbinden, der die Lectüre seiner Schriften ebenso anziehend wie bildend macht. Vorzüglich zeichnen sich seine Dramen durch classische Form der Darstellung aus. Da, wo es ihm galt, nicht blos für ein lesendes, sondern auch für ein hörendes Publicum zu schreiben, hat er einen Rhythmus, einen Wohlklang, eine Geschmeidigkeit in der Sprache entwickelt, daß das Ohr nicht geringeren Genuß davon hat, als der Geist und das Gemüth. Daher eignen sich Gutzkow’s Dramen ganz vorzüglich zum Vorlesen im Kreise der Familie.

Was aber Gutzkow noch mehr als seine Vielseitigkeit, seine Geistesrichtung und sein Stil zu einem deutschen Classiker der Gegenwart erhebt, ist sein sittlicher Charakter; denn erst durch diesen erhalten jene Vorzüge ihren vollen Werth.

Gutzkow hat ein an bitteren Erfahrungen sehr reiches Leben hinter sich. Er gehört zu den geprüftesten, aber auch bewährtesten Schriftstellern unserer Zeit. Wer es nicht glaubt, daß auch unsere Civilisation ihre besten Kinder kreuzige, der vergegenwärtige sich Gutzkow’s Lebensgang! Er selbst hat uns die anziehendsten und lehrreichsten Mittheilungen gemacht, sowohl über die Bildung seines Talents, die ihm im elterlichen Hause und den Schulen Berlins zu Theil wurde, wie über die ununterbrochene Reihe von Kämpfen, Fatalitäten und Sorgen welche ihm seine schriftstellerische Laufbahn bereitete. Der Theil des Weltstromes, der ihn auf seinem Rücken getragen, war voller Felsblöcke und Katarakten, sodaß er bald unsanft niedergeworfen, bald bis zum Ertrinken untergetaucht wurde.

Unter seinen Zeitgenossen hat ihm geistig keiner näher gestanden als Ludwig Börne. Persönlich hat er ihn nicht gekannt, aber seine Sympathie für ihn war so innig, daß er, als Heine sich erlaubt hatte, diesen edlen Charakter, den er gar nicht zu würdigen verstand, in den Staub zu treten, zu seiner Rettung mit einer Biographie auf den Kampfplatz trat, in welcher er zugleich den Unmuth seines eigenen Herzens über die Mißgunst, mit der jeder selbstständige Charakter zu kämpfen habe, ausschüttete.

Unsere Civilisation hat die menschlichen Verhältnisse so nivellirt, daß es für die Meisten weder besonderer Begabung noch größerer Kraftanstrengung bedarf, um zu Würden und Ehren zu gelangen und, wie man sagt, sein Glück zu machen. Gutzkow und Börne haben die Behaglichkeit, mit der die meisten Glückskinder auf ihren Lebenslauf zurückblicken, öfters in das grelle Licht ihrer geistvollen Ironie gestellt. „Nichts leichter,“ sagt der Erstere, „als von achtbaren Eltern geboren werden, einen guten Schulunterricht genießen, mit guten Zeugnissen die Hochschule beziehen, mit Anmaßung sie verlassen, im schwarzen Frack die Runde bei den Staatsmännern machen, die ein Amt zu vergeben haben, es glücklich erhalten, den Eid der Treue schwören, wirklich treu sein, treu dem Fürsten, treu den Grundsätzen unserer Vorgesetzten, treu dem Geiste, in welchem der Gehalt vierteljährlich aus der Staatscasse ausgezahlt wird, fünfzig Jahre in diesem Geiste verharren, steigen bis zum wirklichen Geheimen Rath und mit Orden bedeckt, von Kindern und Enkeln umringt, ein ehrlich erworbenes kleines Vermögen hinterlassend, endlich das Zeitliche segnen. Daß unsere Civilisation die große Masse unserer Zeitgenossen dahin gebracht hat, einen solchen Lebenslauf für den weisesten und glücklichsten zu halten, sollte doch die Denkenden zu der Einsicht bringen, daß in ihr nicht alles Bildung ist, was sich so nennt.

Wenn kein Genius unter uns mehr aufkommen könnte, der, auf den behaglichen Genuß der conventionellen Würden und Ehren verzichtend, seinen eigenen Weg geht, der es wagt, die Kehrseite dieser Zustände aufzudecken und die Geister zur Selbstbesinnung aufzurütteln, was könnte dann anders eintreten, als eine Stagnation, die die Lebenswurzeln in Fäulniß versetzt! Wahrhaftig menschlich leben heißt noch mehr als guter Vater, glücklicher Gatte, treuer Staatsdiener sein. Menschlich leben heißt ein Engel sein, der vom Himmel kommt, sich in die Welt verfliegt, irrend, nicht wissend, wo er ein Thor findet, um in seine Heimath zurückzukehren. Es heißt vor Allem unglücklich sein, verkannt werden, in seinem heiligsten Glauben mißverstanden, in seinen Hoffnungen von einer schadenfrohen Wirklichkeit verspottet werden, geäfft vom Echo unserer Ohnmacht, wenn wir stolze und erhabene Wünsche mit donnernder Stimme in die Welt hinausgerufen haben, betrogen vom Nächsten und Entferntesten, verfolgt vom Feinde, und noch mehr, sogar belächelt und bemitleidet vom Freunde, der uns nicht versteht.“

Das ist der Charakter von Gutzkow’s Lebenslauf. Er hat sich nicht mit zusammengedrückten Schultern, gebogenem Rücken, gesenktem Kopfe durch alles hindurch gezwängt, was das Leben an guter Ordnung, friedlicher Sicherheit und Netto-Ertrag darbietet, sondern er hat gerade die Widersprüche unseres Daseins aufgesucht, um sie zu versöhnen, und ist dadurch oft zwischen die Räder einer Bewegung gekommen, die er zum Wohle des Ganzen hemmen wollte.

Die große, edle, preiswürdige Aufgabe, welche sich Gutzkow gestellt und mit charaktervollster Ausdauer durch seine Dichtungen, Kritiken, historischen Schriften und seine gesammte Wirksamkeit zu verwirklichen gestrebt hat, ist die Verbreitung wahrer Bildung, wahrer Humanität. Seinen Beruf zur Lösung dieser ebenso schwierigen wie großen Aufgabe erkennen wir aus dem Begriffe, mit dem er das Wesen der Bildung beschreibt. Sie ist ihm weder ein Wissen noch ein Können, sondern der Glanz einer höheren Weihe, die den ganzen Menschen umgiebt. „Bildung heißt, sich zu jedem Menschen so stellen, daß das Aneinanderklingen seines und unseres Wesens Wohllaut giebt.“ Bildung ist nicht möglich ohne Sinn für Poesie. Ein Volk, das seine Dichter nicht mehr achtet, weil es sie und das Wesen der Dichtkunst nicht mehr versteht, hört nothwendig auf, ein gebildetes zu sein. Seine Civilisation ist ein eitler Schein. Denn die Poesie ist es, welche die Harmonie in’s Leben bringt, welche die Gegensätze versöhnt und die Materie den Wirkungen des Geistes zugänglich macht.

Es geschieht daher weniger um Gutzkow’s, als um unsertwillen, wenn wir den Werth dieses Mannes schildern.

„Es soll der Dichter mit dem Könige gehen, denn Beide wohnen auf der Menschheit Höhen.“ An Gutzkow wird sich der erste Theil dieses Spruches nicht wie an Schiller und Goethe erfüllen, denn er hat nie die Gunst der Mächtigen gesucht und hat zu einem Hofmanne keine Anlage. Aber ein treuer Freund seines Vaterlandes, ein weiser Berather seines Volkes, ein tiefer Kenner der deutschen Geschichte, ein geniales Werkzeug des deutschen Geistes, ein ausgezeichneter Bildner deutscher Gesinnung ist er von Anfang an gewesen und wird es bis an sein Ende bleiben. Die landläufige Phrase, daß die Geistlichkeit die sicherste Stütze der Throne sei, hat sich gerade in den letzten Jahren wieder so sehr in ihrer Hohlheit gezeigt, daß der abermals bemerklich werdende Zug dieser schwarzen Vögel nach weltlicher Macht und staatlichem Einfluß die Staatslenker zur größten Wachsamkeit ermahnt. Fest stehen die Throne nur, wenn das Vertrauen und die Liebe der Völker sie trägt. Vertrauen und Liebe lassen sich aber nicht erzwingen durch kirchliche Disciplin, sondern nur erwecken durch den Geist der Wahrheit und Gerechtigkeit, der Fürsten und Völker durchdringt. Wer aber bringt diese in die Staaten? Es sind die Dichter, die, im Volke stehend, des Volkes heiligste Sehnsucht zu deuten und dem Volke ein lebendiges Bewußtsein von sich selbst zu geben wissen. Je größer der Einfluß der nationalen Dichtkunst auf des Volkes Bildung und geistiges Leben ist, desto fester stehen auch seine gesetzlichen Ordnungen; je unabhängiger von den wechselnden Strömungen der Dienst der Musen geübt wird, desto sicherer bewahrt der gemeinsame Lebensstrom sein ihm angewiesenes Bett. Nichts schützt den Geist des Volkes mehr vor den Ausschreitungen der Parteileidenschaft, als die Liebe zur Poesie, und lieben läßt sich nur die Poesie, die aus der Freiheit geboren ist und weder um die Gunst der Fürsten noch der Massen buhlt. Eine solche ist zugleich in ihrem innersten Wesen immer religiös, selbst wenn sie von kirchlichen Formen noch so wenig an sich trägt, und darum der Friedensengel, der Staat, Kirche und Gesellschaft in lebensfroher Harmonie erhält.

In seinen Dramen und Romanen hat uns Gutzkow solche Poesie in reicher, schöner Fülle gegeben.

Der edelste Patriotismus redet in Gutzkow’s Werken, ein Patriotismus, der nur das Gesammtwohl des Vaterlandes im Auge hat und keinerlei Partei-Egoismus huldigt. Auch seine prosaischen Schriften wirken in diesem Geiste, vor Allem sein großer classischer Roman „Die Ritter vom Geiste“. Patriotischer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_534.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)