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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Mosisstab hatte dem Boden einen bittern Quell entlockt, der an der Luft, wenn auch nicht zu Gold und Silber, so doch zu sehr schätzenswerthen Salzkrystallen erhärtete. Das war ein Fingerzeig für die Bewohner. Sie etablirten ein Soolbad, das im Vereine mit dem ausgezeichneten Renommée der Thüringer Luft sehr bald Hülfesuchende aus aller Herren Ländern heranzog.“ In der That ist die sonst so stille Physiognomie des Orts im Sommer eine sehr belebte. Badegäste, Sommerfrischler und Touristen ziehen ein und aus. Gar Manche von ihnen hat Arnstadt so sehr gefesselt, daß sie nicht wieder davon kamen und hier seßhaft wurden. Moderne Villen in den wunderlichsten Stilformen wachsen in stetig sich mehrender Anzahl und ziehen sich schon weit hinein in den Plaueschen Grund.

Die alte Thüringer Art will sich zwar noch nicht recht zu dem neuen Elemente finden, aber dem nivellirenden Drange der Zeit wird sie doch noch gehorchen müssen.

Fr. Helbig.




Weltausstellungsskizzen.
Von R. Elcho.
3. Die Maschinenhalle.


Wer am 16. Juni eine der Hauptstraßen der Stadt passiren wollte, hatte Mühe an den Telegraphen-Bureaux vorüber zu kommen; dieselben waren nämlich von einer drängenden Menschenmasse umstanden, welche mit emporgereckten Hälsen die ausgegebenen Bulletins über das Ballotement der republikanischen Convention zu Cincinnati las. Wer wird nominirt werden? fragte man sich allerorts, Blaine, Morton oder Hayes? Die Unruhe steigerte sich von Stunde zu Stunde, bis man die unerwartete Neuigkeit las: Hayes ist ernannt. Wer ist Hayes? fragte einer den andern und die lakonische Antwort lautete: Der Gouverneur von Ohio. Wenige nur wußten es, daß dieser Gouverneur im letzten Bürgerkriege sich mit großer Bravour, namentlich bei Winchester, geschlagen und den Rang eines Generalmajors erworben hatte.

Der Bewohner einer Republik nimmt an den öffentlichen Angelegenheiten stets mehr Antheil, als der eines monarchischen Staatswesens, denn hier herrschen nur die Gesetze, welche durch das Votum aller Bürger zu Stande kommen, und der Mann, welcher in ein Amt eingeführt wird, ist nur der Bevollmächtigte seiner Wähler. So ist es leicht begreiflich, daß die Zeit bis zur Präsidentenwahl für die Bürger dieses Landes eine Aufregung über die andere bringt. Als ich daher an der Independence-Halle vorüber ging und eine dichte Menschenmenge um jenes erhabene Marmordenkmal Washington’s versammelt sah, welches die Schulkinder Philadelphias dem Vater der Republik setzen ließen, mußte Jedermann glauben, es sei wieder eine politische Nachricht eingetroffen. Jene Voraussetzung war falsch. Die Neugierigen umdrängten eine neue Glocke von stattlicher Form und Größe. Ein ungenannter Bürger Philadelphias hatte diese Glocke seiner Vaterstadt zum Geschenke gemacht, damit dieselbe am 4. Juli an Stelle der zersprungenen Unabhängigkeitsglocke das Hundertjahresfest der Republik einläute.

Die alte zersprungene Unabhängigkeitsglocke ist eine der ehrwürdigsten Reliquien der Nordamerikanischen Republik; sie wurde im Jahre 1752 auf Bestellung der Provinzialversammlung von Pennsylvanien in England gegossen und erhielt auf Anordnung dieser Versammlung die nachstehende prophetische Inschrift: „Verkünde Freiheit durch alle Lande und allen Denen, die darinnen wohnen!“

Diesem Befehle kam die Glocke gewissenhaft nach, denn als am 4. Juli 1776 vom Congreß in Philadelphia die Unabhängigkeitserklärung angenommen war, wurde sofort die im Thurme der Halle befindliche Freiheitsverkündigerin geläutet, und Jedermann erfuhr durch ihre eherne Zunge, daß die Stunde der Unabhängigkeit und Freiheit geschlagen. Als diese alte Glocke einen gewaltigen Riß erhielt, gönnte man ihr später einen Ehrenplatz unter den Reliquien aus der Zeit der Freiheitskriege. Ihre Nachfolgerin im Thurme der Independence-Halle trägt auch die Umschrift: „Verkünde Freiheit durch alle Lande …“

Von den Thürmen der Maschinenhalle tönt allabendlich das „Heimath, süße Heimath“ über den Fairmount-Park hin. Ein amerikanischer Glockengießer hat nämlich da droben ein Glockenspiel aufgehängt, das mehrere volksthümliche Melodien zu spielen vermag. So silberhell und weich die Töne immer klingen, so hören wir doch auf den ersten Blick, daß der ferne Orient uns auch in der Glockengießerei noch immer überlegen ist. Wollen unsere Glockengießer bei dem Guß mehrerer Glocken hellere oder dunklere Klangfarben hervorbringen, so müssen sie den Glocken verschiedene Größen geben. Anders der Japaner! Dieses Volk besitzt im Tempelhain zu Niko ein Glockenspiel, dessen Glocken alle von gleicher Form und Größe, dagegen von verschiedener Tonstimmung sind.

Die Maschinenhalle der Centennial-Ausstellung ist nicht nur räumlich die großartigste, welche je eine Weltausstellung aufgewiesen hat, sondern auch dem Inhalte nach. In diesen Räumen beobachtet der Besucher eine überraschende Erscheinung. Es ist bekannt, daß bei allen früheren Weltausstellungen das Hauptinteresse der Besucher sich der bildenden Kunst und dem Kunstgewerbe zuwandte. Das Schöne eroberte sich den Beifall der Menge und überließ dem Nützlichen die Anerkennung der Sachverständigen. Hier in Amerika finde ich zum ersten Male die Räume der Maschinenhalle überfüllt, und zwar besteht die größere Hälfte der schaulustigen Menge aus Frauen.

Worin haben wir den Grund für diese gesteigerte Interessenahme des Publicums für das Maschinenwesen zu suchen? Nun, eine Maschine, und wenn sich ihre eisernen Arme auch noch so gewaltig emporrecken, ist in den Augen des Laien ein häßliches Ding und eine vollkommene Sphinx, sobald sie nicht ihren Zweck erfüllt und arbeitet. Haucht der Mensch aber durch die Kraft des Dampfes diesem räthselhaften Geschöpf Odem und Leben ein, so nimmt seine Geschäftigkeit unwillkürlich unser Interesse gefangen; bringt es aber gar noch Leistungen hervor, welche so sehr überraschen, daß wir ein wahres Taschenspielerkunststück vor uns zu haben vermeinen, so regt sich in uns die Bewunderung und wir empfinden die herzlichste Freude an der Macht menschlicher Erfindungsgabe, durch welche das ganze Menschengeschlecht von so manchen drückenden Arbeiten entlastet wird. Gerade auf dem Felde der modernen Industrie leisten die Amerikaner Staunenswerthes, und sie können von Glück sagen, daß die Ausstellungs-Commission es verstanden hat, die Halle so einzurichten, daß sich auch der Laie über die Tragweite der modernen Industrie zu unterrichten vermochte. Die Halle macht den Eindruck einer Riesenwerkstätte; wohin wir blicken, sprudelndes Leben, eine Fülle der Bewegung. Alles hastet und stöhnt in fieberhafter Bewegung.

Und doch fällt unser Blick beim Eintritt durch das Hauptportal auf eine majestätische Erscheinung, welche von hohem Sockel herab mit herrischer Miene Ruhe zu gebieten scheint. Der Beschauer hat die berühmte Krupp’sche Kanone vor sich, den Glanzpunkt der deutschen Abtheilung. Es hat keine geringe Mühe gekostet, das braune Ungethüm über die weite See zu schaffen, denn beim Ein- und Ausladen mußten ganz besondere Krahnen oder andere Aufzugapparate geschafft werden, denen man die schweren Stücke, ohne ein Zusammenbrechen befürchten zu müssen, anvertrauen konnte. Das Gewicht des Rohres beträgt nämlich 58,580 Kilo, das von Lafette und Wagen zusammen noch mehr. Bei diesem Geschütz ist es hauptsächlich die Länge des Rohres, welche Bewunderung verdient, denn die Bohrung oder Seele desselben hat nur einen Durchmesser von 35½ Centimeter. Das Geschoß wiegt 540 Kilo. Das Geschütz sollte eine bedeutende Tragweite entwickeln, und die Absicht ist erreicht worden, denn bei einer Entfernung von zwei englischen Meilen schlägt das Geschoß eine Panzerplatte von vierundzwanzig Zoll Dicke durch, und in einer Entfernung von zwei deutschen Meilen hat das geschleuderte Geschoß noch die Kraft eine sechszöllige Panzerplatte zu durchbohren.

Krupp hat ferner einige kleine Berggeschütze, selbstverständlich auch Hinterlader, ausgestellt, wie sie in einfacherer Construction Garibaldi beim Feldzug in Sicilien anwandte. Drei Pferde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_542.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)