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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Einflüssen. Er war nur etwas bleicher als sonst; wer ihn aber genauer ansah, der bemerkte doch die Veränderung. Es stand ein fremder Zug in seinem Gesichte, der etwas geradezu Beängstigendes hatte, eine eigenthümliche Starrheit lag darin, in der jede andere Regung erstorben zu sein schien. Vielleicht war es auch nur der Panzer, mit dem eine furchtbar aufgereizte Empfindung sich gegen die Außenwelt abschloß, aber auch die Stimme hatte nicht mehr den vollen kräftigen Klang; sie war matt und tonlos, als er erwiderte:

„Hören Sie doch nicht auf den Onkel! Mir ist ja nichts.“

Doctor Fabian ergriff mit beiden Händen die Rechte seines Zöglings, was dieser widerstandslos geschehen ließ.

„Herr Witold meint, Sie machten sich immer noch Vorwürfe wegen des Unfalls, der mich betroffen. Das können Sie aber doch jetzt nicht mehr, wo jede Gefahr beseitigt ist und die Schmerzen nur noch äußerst gering sind. – Ich fürchte, es handelt sich um etwas ganz Anderes.“

Die Hand des jungen Mannes zuckte in der seines Lehrers. Er wendete das Gesicht ab.

„Ich habe den Punkt noch nicht zu berühren gewagt,“ fuhr Fabian zaghaft fort. „Ich sehe, daß es Ihnen auch jetzt noch Pein verursacht. Soll ich schweigen?“

Ein tiefer Athemzug rang sich aus Waldemar’s Brust empor.

„Nein! Ich muß Ihnen ohnedies noch dafür danken, daß Sie dem Onkel die Wahrheit verschwiegen. Er hätte mich zu Tode gemartert mit seinen Fragen, und ihm hätte ich doch nicht Rede gestanden. Ihnen hat meine Stimmung an jenem Abende beinahe das Leben gekostet; Ihnen kann und will ich nicht ableugnen, was Sie ja doch schon wissen.“

„Ich weiß nichts,“ versetzte der Doctor mit bekümmerter Miene. „Ich hege nur Vermuthungen nach der Scene, die ich mit ansah. Waldemar, um Gotteswillen, was ist damals vorgefallen?“

„Eine Kinderei,“ sagte Waldemar bitter. „Eine bloße Thorheit, die es gar nicht verdient, daß man sie ernst nimmt – so schrieb mir meine Mutter wenigstens vorgestern. Ich habe es aber nun einmal ernst genommen, so furchtbar ernst, daß es mir ein Stück von meinem Leben gekostet hat, das beste vielleicht.“

„Sie lieben die Gräfin Morynska?“ fragte der Doctor leise.

„Ich habe sie geliebt. Das ist vorbei. Ich weiß jetzt, daß sie nur ein erbärmliches Spiel mit mir getrieben hat – jetzt bin ich fertig mit ihr und mit meiner Liebe.“

Fabian schüttelte den Kopf, während sein Blick mit tiefer Besorgniß auf den Zügen des jungen Mannes haftete. „Fertig? Sie sind es noch lange nicht. Ich sehe es nur zu gut, wie schwer Sie noch in diesem Augenblicke unter Ihrer Liebe leiden.“

Waldemar fuhr mit der Hand über die Stirn. „Das wird vorübergehen. Habe ich es ertragen, so werde ich es auch überwinden, und überwinden will ich’s um jede Preis. Nur noch eine Bitte: schweigen Sie auch ferner gegen den Onkel und – gegen mich. Ich werde die Schwäche niederkämpfen, das weiß ich, aber sprechen kann ich nicht darüber, auch mit Ihnen nicht. Lassen Sie mich das mit mir allein ausmachen – um so eher ist es begraben.“

Seine zuckenden Lippen verriethen, welche Qual ihm jede Berührung der Wunde schuf; der Doctor sah, daß er davon abstehen mußte.

„Ich schweige, wie Sie es wünschen,“ versicherte er. „Sie sollen auch in Zukunft nie wieder ein Wort darüber hören.“

„In Zukunft?“ wiederholte Waldemar. „Wollen Sie denn überhaupt noch bei mir bleiben? Ich habe angenommen, Sie würden uns gleich nach Ihrer Genesung verlassen. Ich kann Ihnen doch nicht zumuthen, bei einem Zöglinge auszuhalten, der Ihre Angst und Sorge um ihn damit vergalt, daß er Sie niederritt.“

Der Doctor faßte wieder beschwichtigend die Hände des jungen Mannes. „Als ob ich nicht wüßte, daß Sie an meinem Krankenbette weit mehr ausgestanden haben, als ich selber! Ein Gutes hat die Krankheit doch gehabt: sie hat mir eine Ueberzeugung gegeben, die ich – verzeihen Sie! – bisher nicht hegte. Ich weiß jetzt, daß Sie ein Herz haben.“

Waldemar schien die letzten Worte kaum zu hören; er blickte finster vor sich hin. „In Einem hat der Onkel Recht,“ sagte er plötzlich. „Wie kamen Sie dazu, dem Normann in die Zügel zu fallen, gerade Sie?“

Fabian lächelte. „Sie meinen, weil meine Furchtsamkeit allbekannt ist? Die Angst um Sie war es, die mich auch einmal muthig sein ließ. Ich hatte Sie freilich schon öfter ähnliche Tollkühnheiten ausführen sehen und es doch nie gewagt, einzugreifen, aber ich wußte dann stets, daß Sie der Gefahr gewachsen waren, die Sie bezwingen wollten. An jenem Abende galt es nicht der Gefahr – Sie wollten den Sturz erzwingen, Waldemar. Ich sah, daß Sie ihn herbeiwünschten, sah, daß er Ihnen den Tod bringen würde, wenn ich Sie nicht mit Gewalt zurückhielt – und da vergaß ich selbst meine Furcht und griff in die Zügel.“

Waldemar richtete das Auge groß und erstaunt auf den Sprechenden. „Es war also nicht bloße Unvorsichtigkeit, nicht ein unglücklicher Zufall, daß Sie niedergerissen wurden? Sie kannten die Gefahr, der Sie sich aussetzten? Liegt Ihnen denn überhaupt etwas an meinem Leben? Ich glaubte, es fragte Niemand danach.“

„Niemand! Und Ihr Pflegevater?“

„Onkel Witold – ja, der vielleicht! Er ist aber auch der Einzige.“

„Ich meine Ihnen doch bewiesen zu haben, daß er nicht der Einzige ist,“ sagte der Doctor mit leisem Vorwurfe.

Der junge Mann beugte sich über ihn. „Und ich habe es doch gerade um Sie am wenigsten verdient. Aber glauben Sie mir, Herr Doctor, ich habe eine harte Lehre erhalten, so hart, daß ich sie mein Leben lang nicht wieder vergessen werde. Seit der Stunde, in der ich Sie blutend nach Hause trug, seit den beiden ersten Tagen, in welchen der Arzt Sie verloren gab, weiß ich, wie einem Mörder zu Muthe ist. Wenn Sie wirklich bei mir bleiben wollen, jetzt können Sie es wagen. An Ihrem Schmerzenslager habe ich den wilden Jähzorn abgeschworen, der mich blind macht gegen Alles, was mir in den Weg tritt. Sie sollen nicht mehr über mich klagen.“

Die Worte hatten wohl wieder etwas von der alten Energie, aber Doctor Fabian schaute doch sorgenvoll in das Antlitz seines Zöglings, das sich über ihn neigte. „Ich wollte, Sie sagten mir das mit einem andern Gesichte,“ erwiderte er. „Es ist ja keine Frage, daß ich bei Ihnen bleibe, aber ich ertrüge viel lieber Ihr früheres ungestümes Wesen, als diese dumpfe unheimliche Ruhe. Ihr Auge gefällt mir gar nicht.“

Mit einer raschen Bewegung richtete sich Waldemar empor und entzog sich so der Beobachtung. „Wir wollen nicht immer und ewig nur von mir sprechen. Der Arzt hat Ihnen ja die frische Luft wieder erlaubt – soll ich das Fenster öffnen?“

Der Doctor seufzte; er sah, daß hier nichts auszurichten war; überdies wurde das Gespräch jetzt durch Herrn Witold unterbrochen.

„Da bin ich schon wieder,“ sagte er eintretend. „Waldemar, Du wirst wohl herunterkommen müssen, der junge Fürst Baratowski ist da.“

„Leo?“ fragte Waldemar in sichtlicher Ueberraschung.

„Jawohl, er verlangt Dich zu sprechen, und dabei werde ich wohl überflüssig sein. Geh nur! Ich leiste inzwischen unserem Doctor Gesellschaft.“

Der junge Mann verließ das Zimmer, während Witold seinen früheren Platz am Bette wieder einnahm.

„Die Baratowski haben gewaltige Eile, ihn wieder zu bekommen,“ sprach er mit Bezug auf seinen Pflegesohn. „Schon vor drei Tagen kam ein Brief der gnädigen Frau Mama an – Waldemar hat ihn meines Wissens nicht beantwortet; er war ja überhaupt nicht von Ihrem Krankenbette wegzubringen – und jetzt erscheint der Herr Bruder in eigener Person. Diese junge Polenpflanze ist übrigens ein ganz nettes Gewächs. Ein bildhübscher Junge! Nur leider seiner Mutter wie aus den Augen geschnitten, und das setzt ihn bei mir von vornherein in Mißcredit. Dabei fällt mir ein, ich habe Sie noch gar nicht einmal gefragt, wie es eigentlich mit Ihren Entdeckungen in C. steht. In der Angst um Sie hatte ich die Sache ganz und gar vergessen.“

Doctor Fabian sah vor sich nieder und zupfte verlegen an der Decke. „Ich kann Ihnen darüber leider gar nichts berichten, Herr Witold,“ erwiderte er, „Mein Aufenthalt in C. war doch zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_546.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)