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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

des Feindes beschloß der überkühne General den Angriff. Es war am Morgen des 25. Juni, also zwei Tage vor der verabredeten Vereinigung mit Terry und Gibbons. Custer selbst wollte mit fünf Compagnien drei Meilen stromabwärts am Ende des Dorfes dasselbe in der rechten Flanke fassen, während Major Reno mit drei Compagnien den Fluß überschreiten und auf dem linken Ufer den Feind angreifen sollte. Die übrigen vier Compagnien hatten sich letzterem bei ihrer Ankunft anzuschließen. Reno setzte durch das seichte Wasser und begann mit seinen tapfern Reitern den blutigen Gang. Im Galopp sprengten die Reiter in’s Lager hinein, und bald hatten sie, was sie suchten.

Wie Ameisen aus ihrem aufgewühlten Baue hervorstürzen, so wimmelte es im Nu von wilden rothen Gestalten, meist zu Pferd und gut bewaffnet, um das dem Verderben geweihte Häuflein. Löwenmuthig fechtend, häuften die Tapferen Leichen und Verwundete um sich her, aber auch die Kugeln der Wilden trafen nur zu gut. Es war nutzlose Arbeit. Einer nach dem andern sank todt oder verwundet nieder; die Zahl der Angreifer wuchs von Minute zu Minute; in kurzer Zeit mußten sie von der Uebermacht erdrückt werden. Da befahl Reno den Rückzug. Fechtend wurde das Buschwerk am Ufer des Flusses erreicht und der Uebergang begonnen. In diesem Momente trafen die drei Reservecompagnien auf dem Kampfplatze ein, und wohl sehend, daß jede Erneuerung des Angriffes Wahnsinn sein würde, schlossen sie sich Reno an und deckten seinen Rückzug. Am rechten Ufer, welches, hoch und steil abfallend, das linke weit überragt, wieder angelangt, befahl Reno Halt zu machen und ließ die Truppen absitzen, um in aller Eile eine nothdürftige Verschanzung auf einer der höchsten Stellen aufzuwerfen. Hier stieß die letzte noch zurückgebliebene Compagnie mit der Bagage zu ihm. Diese sieben schon arg decimirten Compagnien waren bald von einer zwischen ein- bis zweitausend Krieger zählenden Feindesschaar umgeben, die mehrere Punkte besetzt hatten, welche die von den Weißen eingenommene Stellung völlig beherrschten. Vor halb zwei Uhr Nachmittags des 25. bis zum Abend des 26. wurde der ungleiche Kampf fortgesetzt, der mit der totalen Vernichtung der Truppen geendet haben würde, wenn nicht noch rechtzeitig Hülfe eingetroffen wäre, durch welche die Indianer zum Abzuge bewogen wurden.

Wo war unterdeß Custer geblieben? Reno wußte nichts von ihm, die Entsatztruppen ebenso wenig. – Ehe sein Schicksal berichtet wird, mögen die Leser einige Tage zurückgehen, um den Bewegungen der Generale Terry und Gibbons zu folgen. – Am Abend des 24. Juni befand sich Gibbons’ Commando, aus fünf Compagnien Infanterie, vier Compagnien Cavallerie und drei Geschützen bestehend, auf der Südseite des Yellow-Stone-Flusses, nicht weit von der Mündung des Big-Horn in denselben. Terry, der dieses Commando selbst begleitete, befahl sofort den Marsch, der, bis die Nacht anbrach, fortgesetzt wurde. Am 25. marschirte die Colonne fünfundzwanzig Meilen den Big-Horn aufwärts über ein überaus schwieriges, ermüdendes Terrain, sodaß sie am Abend völlig erschöpft ein Lager bezog. Obwohl erst der 27. als Angriffstag bestimmt war, ließ es Terry keine Ruhe im Lager; er stellte sich selbst an die Spitze der Cavallerie und Artillerie und ritt noch in der Nacht mit seinen Getreuen dreizehn Meilen weiter bis an die Mündung des Kleinen Big-Horn, in dessen Nähe man die Indianer vermuthete. Hier wurde um Mitternacht Halt gemacht. Bei Tagesgrauen brachten die Kundschafter drei Indianer in’s Lager, die sich indessen als freundlich gesinnte Crows erwiesen; durch diese erhielt Terry die erste Nachricht von der unglücklichen Schlacht, ohne ihr jedoch rechten Glauben zu schenken; man konnte und wollte das Entsetzliche nicht glauben. Sobald die Infanterie, welche sehr früh aufbrach, eingetroffen war, setzte sich die ganze Colonne wieder in Bewegung, indem sie am linken oder südlichen Ufer des Kleinen Big-Horn hinaufmarschirte. Ohne Rast zogen die Soldaten den ganzen Tag durch das zerrissene, unwegsame Terrain; die Sorge um die Cameraden ließ ihnen keine Ruhe und machte sie die eigene Erschöpfung vergessen. Am südöstlichen Horizonte lag eine Rauchwolke; jedes Auge war unverwandt auf dieselbe gerichtet; man hoffte, sie sei ein Zeichen, daß Custer doch noch erfolgreich gewesen sei und das Dorf in Brand gesteckt habe. Kundschafter wurden vorausgeschickt, um sich mit Custer in Verbindung zu setzen, aber Indianerhaufen, die sich in immer größerer Anzahl vor der Front der anrückenden Colonne herumtrieben, zwangen sie zur Umkehr.

Von Custer und seinen Leuten zeigte sich keine Spur; die Unruhe Terry’s und der Seinen stieg von Stunde zu Stunde. Und abermals senkte die Nacht sich auf die todmüden Truppen herab, und nochmals mußten sie sich nach einem Tagesmarsche von dreißig Meilen durch die pfadlose Wildniß mit den Waffen in der Hand zu kurzer Rast niederlegen. Das Tageslicht mußte erwartet werden; wußte man doch nicht, wie nahe und in welcher Anzahl der tückische Feind sie bedrohte. Als am frühen Morgen des 27. der Marsch wieder aufgenommen wurde, begannen die Zeichen des stattgefundenen Kampfes sich zu zeigen und bei jedem Schritte sich zu mehren. Man erreichte eine Ebene, die sich etwa eine halbe Meile breit am linken Ufer des Kleinen Big-Horn hinzog. Hier hatte ein ungeheures Indianerdorf gestanden, mindestens drei Meilen lang; jetzt war es völlig verlassen. Mehrere Begräbnißplätze zeigten noch die Spuren der Ceremonie. Geschlachtete Pferde lagen um dieselben; in einer Loge wurden die Leichen von neun Häuptlingen gefunden. Der Boden war allenthalben mit Pferdecadavern, Monturstücken, Büffelhäuten und Provisionen, mit Waffen und Lagergeräthschaften aller Art bedeckt. Hier hatte der wilde Kampf getobt; man begann an die Nachrichten des vorigen Tages zu glauben. Bald stieß man auf mehrere Leichen, die trotz ihrer Verstümmelungen sofort als die von Officieren des Custer’schen Regiments erkannt wurden. Da sprengten Kundschafter auf schaumbedeckten Pferden mit der Meldung heran, daß Major Reno mit dem Reste des siebenten Cavallerie-Regimentes auf einer Höhe des rechten Ufers verschanzt sei und nach sechsunddreißigstündigem blutigem Kampfe auf Entsatz sehnlichst warte. Im Schnellschritte ging es vorwärts; bald war man der Stelle gegenüber, wo die kleine Heldenschaar erschöpft und blutend lag. Von Indianern war nichts mehr zu sehen; sie hatten sich schon am Abend des 26., wahrscheinlich durch Terry’s Anrücken erschreckt, mit Allem, was sie mitschleppen konnten, aus dem Staube gemacht. Terry sprengte sogleich mit einigen Officieren in den Fluß, und bald begrüßten sich Retter und Gerettete unter dem stürmischen Jubelgeschrei der Truppen. Vom Flusse bis zur Verschanzung waren alle Abhänge mit Menschenleichen und todten Pferden besäet; mitten unter ihnen fand man Reno mit zwölf Officieren und dem Reste von sieben Compagnien. Einige fünfzig Schwerverwundete hatte man in einer Vertiefung in der Mitte der Schanze, so gut es eben ging, gegen die Kugeln der Wilden und gegen die sengenden Sonnenstrahlen zu schützen gesucht.

Aber wo war Custer? Reno wußte nichts, und auch Terry und Gibbons hatten keine Spur außer einigen Leichen von seinen Cameraden gefunden. Man machte sich auf, ihn und seine Leute zu suchen. Sein Plan war gewesen, drei Meilen am nördlichen Ufer stromabwärts zu reiten, dann überzusetzen und das Dorf am westlichen Ende anzugreifen. Man zog also flußabwärts, und bald bot sich ein Anblick dar, der das Blut der an Gräuelscenen aller Art gewöhnten harten Grenzer fast gerinnen machte. Custer hatte offenbar versucht, den Uebergang über den Fluß zu erzwingen, war aber dabei von einer überwältigenden Macht angegriffen und auf die steilen Höhen des rechten Ufers zurückgedrängt worden. Zugleich mußte ihm der Rückzug und die Verbindung mit Reno abgeschnitten worden sein, sodaß den Umzingelten nichts übrig blieb, als ihr Leben so theuer wie möglich zu verkaufen, denn von einer Uebergabe im Sinne civilisirter Kriegsführung war hier selbstverständlich keine Rede. Die hart an’s Ufer herantretenden Höhen sind von tiefen Schluchten und Rissen durchfurcht, und hier lagen die Erschlagenen in Reih und Glied, wie sie gestanden und gefochten hatten, jede günstige Stelle zur Vertheidigung benutzend, bis kein Mann mehr übrig geblieben war, um Büchse und Säbel zu führen. In den engen Schluchten lagen Menschen und Pferde aufeinander geschichtet, die ersteren meist scalpirt und sonst gräßlich verstümmelt. Eine Compagnie nach der andern hatte sich vor den anstürmenden Feind geworfen und war bis auf den letzten Mann vernichtet worden. So hatte sich der Kampf immer höher hinaufgezogen, bis auf den höchsten Punkt des Ufers. Dort lag Custer selbst, umgeben von seinen zwei Brüdern, einem Neffen, den Obersten Yates und Cooke und Capitain Smith, Alle nur wenige Schritte voneinander, ihre todten Pferde an ihrer Seite.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_551.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)