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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Schlosse ist ein rings wie in ein Geheimniß eingeschlossenes Plätzchen, still, wie eine befriedigte Seele, und poetisch, als wäre es aus einem tiefen Frauengemüth entstanden: eine Ruhebank von Stein und Moos und zur Seite auf einer Marmorsäule die Erzbüste desjenigen, dem die Schloßherrin das Plätzchen geweiht hat. Die Büste stellt den Kaiser Wilhelm dar, den Vater der Großherzogin.

Von der einstigen prächtigen inneren Einrichtung des Schlosses ist nicht viel mehr übrig. Nach dem Todte des letzten Comthurs (1819) hatte sich Alles zerstreut. Man weiß in solchen Fällen nie recht, wie das geschieht; man sieht nur endlich, daß nichts mehr da ist. Die ganze Einrichtung des Schlosses ist neu. Es befinden sich, namentlich auf den weiten Corridoren des ersten und zweiten Stockwerkes, recht viele alterthümliche Gegenstände, alte Wandteppiche aus dem neuen Schlosse von Meersburg, Bilder, Uhren, Schränke, Waffen, Geschirr in jeder Form und aus jedem Stoffe, aber das war Alles erst, wie man mir sagte, durch die Großherzogin zusammengebracht worden. Derartige Sachen sind ihre Passion, und sie ist unablässig bemüht, diese Sammlung zu vervollständigen und ihr Inselschloß damit zu schmücken. Der Räume, welche das großherzogliche Paar bewohnt, sind sehr wenige, etwa vier oder fünf, darunter zwei größere Salons, welche der Großherzog mit der Großherzogin theilt; die Schreib- und Arbeitstische des fürstlichen Paares befinden sich in einem derselben hart nebeneinander. Man sieht daraus, daß dasselbe in wahrhaft bürgerlicher Weise zusammenwohnt. Dem entspricht auch die Einrichtung; sie ist bequem, elegant, aber ohne jeden Luxus; man sieht viele Bücher und Zeitungen. Für Verhandlungen in Landessachen und für Geschäftsvorträge hat der Großherzog einen abgesonderten Raum, der an diese Zimmer stößt. Für gesellige Vereinigung dient des Abend die in englischem Geschmacke eingerichtete Halle; diese nimmt einen Theil des Erdgeschosses des Mittelgebäudes ein; aus ihr tritt man unmittelbar hinaus in das Freie.

In den letzten Jahren sind für Frühstück und Thee einige Zimmer im Geschmacke des vorigen Jahrhunderts restaurirt und eingerichtet worden; die Wände sind in weißem Lack mit Arabesken und Füllungen von stumpfen, gebrochenen Farben gehalten, Vorhänge und Möbel von elsässischem Kattun; an den Wänden sieht man Figurengruppen von altem Porcellan. Zur fürstlichen Repräsentation ist der hohe, weite Ordenssaal gemacht, in welchem einst der Ordenscomthur den Hochmeister oder seine Gäste empfing und in welchem die Wittwe Napoleon’s des Dritten die Erfrischungen einnahm. Der Saal ist ebenfalls vor einigen Jahren im Geschmacke der Zeit seiner Erbauung wieder hergestellt worden. Die Wände sind weiß, die Verzierungen in Gold; mitten in dieser Einfachheit sind die leuchtenden Farben der Möbel und zweier lichtblauen Blumentruhen von englischem Porcellan von brillantem Effecte. Dieser Raum dient als Speisesaal. An ihn reihen sich die Zimmer für die fürstlichen Gäste an; rechts davon liegen die Gemächer, die der Kaiser alljährlich zu bewohnen pflegt, über denen der Großherzogin. Der Kaiser pflegt zwischen der vollendeten Cur in Ems und der beginnenden von Gastein hier in der Mitte der Seinigen einen Ruhepunkt zu machen. Er kommt nur mit kleiner Umgebung; einige Flügeladjutanten, der Geheime Cabinetsrath, der Arzt und die Leibbedienung machen das ganze Gefolge aus. Frau Etiquette wird nicht mit nach der Insel genommen. Des Kaisers Schreibtisch steht am Fenster, und wenn er das Schreibzeug in der Stellung, wenn er das Papier, alle Utensilien in der Ordnung vorfindet, wie er das gewöhnt ist, dann weiß er schon, welche Hand hier sorgend, liebend gewaltet hat.

Wenn der Kaiser, vom Arbeiten vielleicht ermüdet, den Blick hinaus wendet, dann gleitet derselbe über die weite, von Schiffen und Fahrzeugen belebte, blaue Fläche des Sees hinweg. Links legt sich behaglich wie eine alte Reichsstadt die Stadt Ueberlingen aus. Dort am Ende des Ueberlingersees lag die königliche Pfalz Bodman; weiter steigen die Mauern von Montfort aus dem Wasser; dahinter kommen die altersgrauen Ueberreste der alten Königsresidenz der Meersburg zum Vorschein – überall bieten sich dem Blicke Städte, Dörfer, Wald und Flur zum köstlichsten Bilde, und im Hintergrunde steigt die Alpenwelt in ihrer ganzen wunderbaren Kette schnee- und eisbeglänzt in den Himmel empor. Wo kann es ein herrlicheres Plätzchen deutscher Erde geben, als hier an des deutschen Reiches Grenze? Keine andere Empfindung kann ein Herrscher über dasselbe in dessen Anschauen und Fühlen haben, als sie an einer Stelle im Parke durch den Spruch ausgedrückt ist:

Deutsches Haus, deutsches Land
Schirme Gott mit starker Hand!




Die Mainau hat, als geweihte Heimstätte fürstlicher Familienliebe, in jüngster Zeit ein Fest erlebt, das eine schmückende Erinnerung der Insel bleiben wird und über das deshalb dem vorstehenden Artikel eine Kunde angefügt werden muß.

Auch in diesem Jahre flog das Schifflein von Mainau über den See, um den Enkeln ihren Großvater herüberzutragen. Während Kaiser Wilhelm die schönen Tage seines stillen Glücks genoß, war es eine eifrige Sorge der Officiere der in Constanz garnisonirenden Bataillone, ihren Kriegsherrn mit einer militärischen Huldigung zu überraschen. Da es dem Kaiser galt, so waltete auch über ihrem Wunsche – das „Kaiserglück“. Zwei Dichter am Bodensee, Scheffel und Gustav von Meyern-Hohenberg, jener in Radolfzell, dieser in Constanz, entwarfen den Plan zu einer dramatischen Scene, welche der Letztere (jahrelang Intendant des Hoftheaters von Coburg-Gotha und selbst trefflicher Dramendichter, dessen geschichtliche Schauspiele „Heinrich von Schwerin“, „Das Haus der Posa“ und „Die Malteser“ gerechte Anerkennung theils gefunden haben, theils verdienen) poetisch und praktisch aus- und durchführte. Wir erzählen nun, was am Spätabende des 14. Juli dieses Jahres auf der Mainau sich ereignete, ohne vorher den üblichen Inhalt eines Theaterzettels zu verrathen.

Es wollte eben Nacht werden, als dem Großherzog von seinem Adjutanten gemeldet wurde: die Dienerschaft sei beunruhigt durch geisterhafte Erscheinungen, man wolle gesehen haben, daß die alten todten Ordensritter an ihrer ehemaligen Lieblingsstätte in dem Dunkel der Bäume umgingen. Der Großherzog benachrichtigte seinen kaiserlichen Gast von dieser seltsamen Meldung, und beide hohen Herren beschlossen, zur Beruhigung der Leute der Sache auf den Grund zu gehen. Wirklich gewahrten sie unter der großen Linde unweit des Schlosses Gestalten in weißen Mänteln um eine Tafel sitzen, die plötzlich in heller Beleuchtung vor ihnen stand. Die Fürsten und ihr Gefolge erkannten, bei ihrer Kenntniß der Geschichte der Insel, auf den ersten Blick an dem schwarzen Kreuz auf den Mänteln, daß sie eine Versammlung der Ordens-Comthure und zwar vom ersten bis zum letzten (1272 bis 1805) vor sich sahen. Bald sollte dies zur Gewißheit werden. Hatten bis jetzt alle Ritter um die schwarzbehangene und mit Crucifixen geschmückte Tafel und auf schwarzen Bänken mit gesenkten und gestützten Häuptern wie schlafend gesessen, so erhob sich nun der älteste der Comthure, Arnold von Langenstein, und wendete sein Wort in tiefem, vollem, geisterhaftem Tone an die Genossen. Er stellte ihnen vor die Seele, wie Großes der Orden „seit dem ruhmvoll bösen Tag von Akkon“ geleistet, aber auch wie schwer er gesündigt habe und daß sie darum von der göttlichen Gerechtigkeit alljährlich zu einem Bußconvent verdammt seien, bis ein neuer höherer deutscher Orden sie erlöse. „Diese Erlösung,“ verkündete er ihnen, „ist vollbracht.“

„Ja, hört und staunt! Die Welt ist anders worden,
Der Arbeit Segen hat mit Gold gewuchert.
Der freie Geist trug Riesenfrucht; er trug sie,
Seit weise Schulung ihm die Kraft gestählt
Und feste Zucht an’s Vaterland ihn bannte – –
Ein Vaterland, das war’s was Euch gefehlt – – –
– Ein Vaterland! Als dieser Ruf erscholl,
Da strömte neues Blut in’s Herz des Reiches,
Da sah die Welt, wie nie zuvor ein Gleiches,
Sah ‚deutsche Ritter‘, wie sie nie gezogen,
Sah deutschen Adler, wie er nie geflogen,
Einköpfig wieder, wie er weiland war,
Doch mächt’ger noch, als einst der Staufenaar.“

Und wie nun Alle beglückt die Hände erhoben und Einer fragte, wie der neue Orden sich nenne, rief Langenstein begeistert aus:

     „Er heißt: ein Volk in Waffen!
Ein Volk, das tüchtig, weil es Tücht’ges lernte,
Erstarkt in Kriegerzucht, regiert vom Geist,
Das ganze Volk ein einz’ger großer Orden,
Sein Ordens-Kreuz ein schwarz-weiß-eisernes –:
So flog’s von Sieg zu Sieg, so trug’s den Namen
‚Deutschland‘ zu ew’gem Ruhm – ein Volk des Friedens,
Und doch ein Heldenbund, denn wißt, des Bundes
Hochmeister ist sein Kaiser.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_555.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)