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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


„Wie? Sein Kaiser?“ fragten nun Alle – aber schon leuchteten bengalische Flammen über der Scene, kriegerische Musik erscholl und heran marschirte „ein Fähnlein der neuen Ritter“; unter dem Klange der „Wacht am Rhein“ rückten die bis dahin verdeckt gestandenen Bataillone von Constanz vor; auf des Commandirenden Hochruf erbrauste ein dreimaliges Hurrah der Truppen für den Kaiser – und nachdem Langenstein feierlich gesprochen:

„Heil Ihm! Wir sind erlöst durch Ihn
Und ewig schlafen mag der alte Orden!“

sank ein schwarzer Vorhang über die Gruppe; die Musik spielte „Heil Dir im Siegerkranz“ und die Truppen schwenkten so, daß sie zwischen den Kaiser und die Comthure zu stehen kamen. Letztere warfen eiligst Rüstung und Mäntel ab und standen plötzlich als Officiercorps neben der Musik, während hinter ihnen Tafel und Bänke verschwanden. Und als nun unter bengalischer Beleuchtung der Insel und des Gestades, nach feierlicher Serenade die Truppen mit großem Zapfenstreich abzogen, erschien es wohl, als sei der ganze Geisterspuk in den Boden versunken. – In allen Herzen aber blieb ein schönes Bild zurück.

Das war das Kaiserfestspiel auf der Mainau. –




M-pungu.[1]
Von Dr. Falkenstein.


Wer hätte in den letzten Jahren nicht vielfach über Menschenaffen reden hören? Wer hätte nicht selbst vielfach darüber mitgesprochen? Wen hätte nicht die Nachricht, daß der König der Anthropoiden endlich lebenskräftig Europa erreicht, im höchsten Grade interessirt? Wem wäre nicht die Gewißheit erwünscht, daß bezüglich der Untersuchung der Natur dieses Affen der Boden der unbegrenzten Phantasie nunmehr verlassen und das Reich der exacten Beobachtung betreten werden muß?

Allen, auch Denjenigen, welche naturwissenschaftlichen Fragen sonst ferner stehen, dürfte es angemessen erscheinen, über Natur und Vergangenheit des zu uns übergesiedelten Fremdlings nunmehr nähere Aufschlüsse zu erhalten.

Im ehemaligen Königreiche Loanga geboren, verlebte M-pungu sein erstes Lebensjahr unter mütterlicher Obhut. Sorglos durfte er sich in den wilden Schluchten seiner bergigen Heimath unter fruchtbeladenen Riesen tummeln und die starren Ranken der Mansombe (einer wuchernden Blattpflanze) zum duftigen Lager zusammentragen, oder in erwachender Kraft spielend zerstören. Sorglos durfte er den Pfaden des Flußpferdes folgen und die Spur seiner Kinderhand neben die des fast vorweltlichen Unthiers dem lehmigen Grund des immer feuchten Urwaldes eindrücken. Ahnungslos beugte er sich nieder zu den trüben Wassern des schwellenden Bergbaches, um nach erhitzenden Spielen Erfrischung zu suchen, als das primitive Geschoß des geräuschlos schleichenden Negers die Mutter neben ihm traf und ihn so hülflos den Händen der Civilisation überlieferte. Nach Ponte Negra verkauft, empfand er hier bei unzureichender, ungewohnter Nahrung die ersten Leiden seiner bis dahin freudereichen Jugend. An die Brückenwage eines Magazins gefesselt, stellte er Vergleiche mit der schmerzlich verlorenen Freiheit an und schwand sichtlich dahin. –

Von einer erinnerungs- und erfolgreichen Reise in das Kuilu-Gebiet mit dem Herrn Dr. Pechuel-Loesche heimkehrend, fand ich M-pungu hier am 2. October 1875, von welchem Tage ab uns seine weitere Lebensgeschichte klar vorliegt, da sein damaliger Besitzer, der Portugiese Laurentino Antonio dos Santos, mit der allen Romanen angeborenen Liebenswürdigkeit ihn mir zum Geschenk bot.

M-pungu mochte damals ein und ein Viertel Jahr alt sein. In stummer Resignation den Kopf gegen mich hebend, machte er einen bedauernswerthen Eindruck. Aufleuchtend schien das kluge dunkle Auge sich bitter über die unwürdige Situation zu beklagen, dann glitt es matt und interesselos zu den umherliegenden Waldfrüchten. Mechanisch langten die kurzen schwarzen Finger danach, um sich, ohne ihr Ziel erreicht zu haben, wieder zurückzuziehen; müde legte er sich auf den harten Boden nieder, mit der linken Hand den Kopf stützend, während die rechte auf dem Herzen ruhte, und kraftlos fielen die Augen zu, doch ließen ihn sichtlich bange Träume nicht die Erholung finden, deren er so sehr bedurfte. Damals, wenige Tage nach seiner Ankunft in Chinchoxo, schrieb ich in einem kurzen Bericht, daß er theilnahmlos, faul und unliebenswürdig genannt werden müsse, daß seine Hauptbeschäftigung ein ruhiger ungestörter Schlaf sei, daß weder Musik ihn zu fesseln, noch sein Spiegelbild ihn aus dem träumerischen Zustande zu wecken vermöge, ebenso eine zur Gespielin beigegebene Meerkatze ihn mehr incommodire als erfreue.

Wer möchte in dem geistig so regen, ausgelassen tollen Burschen, der jetzt täglich immer übermüthigere Capriolen macht, den brütenden Hypochonder von damals wieder erkennen? Wer könnte glauben, daß im Februar dieses Jahres eine fünfwöchentliche schwere Krankheit uns jede Hoffnung an seinem Aufkommen nahm und uns in die tiefste Niedergeschlagenheit versetzte? Sorgenvoll umstanden wir damals sein Schmerzenslager. Wir pflegten ihn, wuschen ihn, rieben ihn mit Medicamenten ein und gaben innerlich die bei gleichen Symptomen bewährtesten Kindermittel. Ja, als er in der Nacht, die ich für seine letzte hielt, in zum Herzen sprechenden Jammertönen seinen Leiden Ausdruck gab, nahm ich ihn zu mir, um ihm wenigstens in diesen Stunden Ruhe vor den Mosquitos zu gewähren. Die unmittelbare menschliche Nähe wirkte Wunder. Als ob er mit den kühnsten Träumern der Vergangenheit und Gegenwart an eine mittheilbare magnetische Kraft glaubte, umklammerte er meinen Arm und erwachte bei dem geringsten Versuch meinerseits, eine bequemere Lage einzunehmen. Doch der anfangs leise Schlummer wurde tiefer, stärkender. Von Tag zu Tage fast konnte man den Einfluß des erquickenden Schlafes spüren. Wie groß war der Jubel, als er zum ersten Mal wieder nach Nahrung verlangte, zum ersten Mal nach Wochen banger Erwartung sichtbare Beweise einer regelrechten Verdauung gab! So rein war die innige Freude, daß selbst die bis zu uns dringenden Wolken des in Dresden aufgewirbelten Staubes sie nicht zu trüben vermochten. Schwarz und Weiß, Alt und Jung auf der Station und in entfernten Factoreien bewies lebhafte Theilnahme, als das liebenswürdige „Kind von Chinchoxo“ wieder gedieh und bei immer steigendem Appetite die geschwundenen Fettpolster unter dem faltigen Fell wieder ausfüllte.

Bald klatschte M-pungu wieder in fast menschlicher Empfindung wohligen Vergnügens in die Hände, nahm auch wohl, um dem Uebermaß Ausdruck zu geben, die Füße zur Hülfe, überkugelte sich, drehte sich um seine Längsachse, trommelte mit den Fäusten auf die Brust oder mit den flachen Händen gegen irgend welche tönende Gegenstände, spielte im Sande, baute mit drolligem Ernste und Eifer Nester von Gras, Stricken, Papier etc. um sich, haschte im Galopp nach Negerkindern, kurz, benahm sich in einer Weise, daß er manchmal in den Verdacht der Trunkenheit kam.

Er fand wieder Gefallen am Bade und suchte sich eventuell selbst zu helfen, wenn ich mit Schwamm und Seife nicht rechtzeitig zur Stelle war. Daß sich das Badewasser in wenigen Augenblicken außerhalb des Beckens befand, störte ihn nicht in seinem Eifer. Er patschte dann mit allen Vieren in der Nässe umher, wie unsere Negerjungen draußen während eines Tropengewitters. War der Kobold endlich rein und sauber abgetrocknet, so hielt er es für an der Zeit, seinem alten Gespielen, Mohr (Cercocebus fuliginosus), der leider hinter Lagos über Bord ging, nachdem ein Unbefugter seinen Käfig geöffnet, dem langschwänzigen schwarzen Gesellen, die erste Visite zu machen, wobei es allerdings wenig förmlich zuging und seine drollige Unbehülflichkeit der

  1. Nach einer Mittheilung des Verfassers dieses Artikels, der als Mitglied der afrikanischen Expedition wie als Eigenthümer und Pfleger des Gorilla bekannten Dr. Falkenstein, bedeutet M-pungu in der Sprache der Eingeborenen soviel wie Teufel.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_556.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)