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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


sich der junge Fürst. „Ich ehre und liebe Morynski gewiß als Deinen Bruder und mehr noch als den Vater Wanda’s, aber es kränkt mich, daß er mir so gar keine Selbstständigkeit zugestehen will. Du selbst wiederholst mir oft genug, daß mein Name, meine Abkunft mich zu der ersten Stelle berechtigen, und der Onkel verlangt von mir, mich mit einer untergeordneten zu begnügen.“

„Weil er es noch nicht wagen darf, einem einundzwanzigjährigen Feuerkopfe Entscheidendes anzuvertrauen. Du verkennst Deinen Oheim vollständig. Ihm ist der eigene Erbe versagt geblieben, und wie sehr auch Wanda sein Abgott sein mag, die Hoffnungen, die ihm nur ein Sohn verwirklichen kann, sie ruhen doch einzig in Dir, der ja auch seinem Blute entstammt und in Kurzem sein Sohn heißen wird. Wenn er es für den Augenblick noch für nothwendig hält, Dich zu zügeln, für die Zukunft rechnet er doch ganz auf Deine junge, frische Kraft, wo die seinige schon zu ermatten beginnt. Ich habe sein Wort, daß, wenn es zur Entscheidung kommt, Fürst Leo Baratowski die ihm gebührende Stellung einnehmen wird – wir hoffen Beide, Du werdest Dich dessen würdig zeigen.“

„Zweifelt Ihr daran?“ rief Leo aufspringend mit flammenden Augen.

Die Mutter legte beschwichtigend ihre Hand auf seinen Arm. „An Deinem Muthe gewiß nicht. Was Dir fehlt, ist die Besonnenheit, und ich fürchte, Du wirst sie nie lernen, denn Du hast das Temperament Deines Vaters. Auch Baratowski flammte stets so leidenschaftlich auf, ohne nach Schranken und Möglichkeiten zu fragen, und das brachte ihm und mir oft genug Unheil. Aber Du bist doch auch mein Sohn, Leo, und ich denke, etwas wirst Du doch auch von Deiner Mutter geerbt haben. Ich habe mich bei meinem Bruder dafür verbürgt – an Dir ist es, die Bürgschaft einzulösen.“

Es lag in den Worten, trotz ihres tiefen Ernstes, ein solcher Mutterstolz, daß Leo in aufwallender Empfindung sich an ihre Brust warf. Die Fürstin lächelte; sie war nur selten weichen Regungen zugänglich, in diesem Augenblicke aber sprach doch die ganze Zärtlichkeit der Mutter aus ihrem Blicke und ihrem Tone, als sie, die Umarmung des Sohnes erwidernd, sagte: „Was ich für Hoffnungen auf Deine Zukunft setze, mein Leo, das brauche ich Dir nicht erst zu wiederholen, Du hast es oft von mir gehört, bist Du doch von jeher mein Einziger, mein Alles gewesen.“

„Dein Einziger?“ mahnte der junge Fürst mit leisem Vorwurfe. „Und mein Bruder?“

„Waldemar!“ Die Fürstin richtete sich empor; bei dem Namen schwand auf einmal alle Weichheit aus ihren Zügen, alle Zärtlichkeit aus ihrer Stimme. Ihr Antlitz wurde wieder streng und ernst wie vorhin, und ihr Ton klang eisig kalt, als sie fortfuhr: „Ja freilich, ihn hatte ich vergessen. Das Schicksal hat ihn nun einmal zum Herrn von Wilicza gemacht – wir werden ihn ertragen müssen.“


In nicht allzu weiter Entfernung vom Schlosse lag die Wohnung des Administrator Frank. Schloß und Gutswirthschaft waren in Wilicza von jeher getrennt gewesen. Das erstere, mochte es nun bewohnt sein oder nicht, lag stets in vornehmer Abgeschlossenheit da, und die letztere befand sich ausschließlich in den Händen eines Beamten. Das stattliche Wohnhaus desselben, die umliegenden, fast durchweg neuen Wirthschaftsgebäude und die Ordnung, welche auf dem Hofe herrschte, wichen bedeutend von dem ab, was man auf den Gütern der Nachbarschaft zu sehen gewohnt war, und galten auch wirklich in der ganzen Umgegend für ein überall angestauntes, aber niemals nachgeahmtes Muster. Die Stellung des Administrators von Wilicza war allerdings eine solche, daß ihn mancher Gutsherr darum beneiden konnte, sowohl was das Einkommen wie was die Art zu leben betraf.

Der Abend dämmerte bereits. Drüben im Schlosse begann sich die ganze Fensterreihe des ersten Stockwerkes zu erleuchten; bei der Fürstin fand eine größere Festlichkeit statt. In dem Wohnzimmer des Administrators war noch kein Licht angezündet worden, und die beiden Herren, welche sich dort befanden, schienen so sehr in die Unterhaltung vertieft zu sein, daß sie die zunehmende Dunkelheit gar nicht bemerkten.

Der ältere der Beiden war eine stattliche Erscheinung im kräftigsten Mannesalter, mit offenen, von der Sonne stark gebräunten Zügen, der jüngere dagegen verrieth in seinem ganzen Aeußeren, daß er nicht auf dem Lande heimisch sei. Er konnte trotz seiner ziemlich kleinen Figur für einen recht hübschen Mann gelten; das sorgfältig gekräuselte Haar und der äußerst moderne Anzug gaben ihm etwas Stutzerhaftes, doch lag nichts eigentlich Geziertes in seinem Wesen, Sprache und Haltung zeigten im Gegentheil ein Uebermaß von Würde und Wichtigkeit, das mit seiner kleinen Gestalt bisweilen in etwas komischen Gegensatz gerieth.

„Es bleibt dabei – ich gehe,“ sagte der Aeltere. „Ich habe es vorgestern der Fürstin erklärt, daß ich ihr den Gefallen thun werde, Wilicza den Rücken zu kehren, da ihre Manöver seit Jahr und Tag darauf hinzielten. Weiter kam ich aber nicht mit meinen Eröffnungen, denn sie fiel mir mit ihrer vollen Majestät in die Rede. ‚Mein lieber Frank, ich bedauere aufrichtig, daß Sie uns verlassen wollen, kann Ihrem Wunsche aber kein Hinderniß in den Weg legen; seien Sie überzeugt, mein Sohn und ich werden Ihre langjährige Thätigkeit in Wilicza nicht vergessen!‘ – Das sagt sie mir, mir, den sie systematisch vertrieben hat. Glauben Sie denn, daß ich gegen diesen Blick und Ton aufkommen konnte? Ich hatte mir vorgenommen, endlich einmal meinem Herzen Luft zu machen und ihr zum Abschiede gründlich die Wahrheit zu sagen, und jetzt – machte ich eine Verbeugung und ging.“

Der jüngere Herr schüttelte den Kopf. „Eine merkwürdige Frau, aber auch eine höchst gefährliche Frau! Wir von der Regierung haben Proben davon. Ich sage Ihnen, Herr Frank, diese Fürstin Baratowska ist eine Gefahr für die ganze Provinz.“

„Warum nicht gar!“ rief der Administrator ärgerlich. „Aber eine Gefahr für Wilicza ist sie. Sie hat es nun richtig durchgesetzt, die ganze Herrschaft unter ihr Scepter zu bringen; ich war der letzte Stein des Anstoßes, und den räumt sie nun auch aus dem Wege. Glauben Sie mir, Herr Assessor, ich habe ausgehalten, so lange es nur irgend ging, nicht meiner Stellung wegen – ich bin Gott sei Dank so weit, daß ich jeden Tag auf eigenen Füßen stehen kann, aber es that mir weh, daß Alles, was ich in zwanzig Jahren gearbeitet und geschaffen habe, nun zu Grunde gehen soll, wenn die alte polnische Wirthschaft wieder anfängt. Als ich hierher kam, war Herr Nordeck seit ein paar Jahren todt, sein Sohn bei dem Vormunde in Altenhof, und Pächter, Förster und Administratoren wirthschafteten lustig darauf los. Hier in Wilicza ging es am ärgsten zu; mein Vorgänger hatte so offen und unverschämt gestohlen, daß es sogar Herrn Witold zu viel wurde und er ihn Knall und Fall entließ. Das Schloß, von dessen Prachteinrichtung man weit und breit fabelte, stand leer und verschlossen, wie es aber im Dorfe und nun vollends auf dem Gutshofe aussah, das kann ich Ihnen nicht beschreiben. Elende Holz- und Lehmschuppen, die Einem über dem Kopfe zusammenfielen, Schmutz und Unordnung, wohin man sich wandte. Das Dienstvolk kriechend, falsch und voll von echt nationalem Hasse gegen den ‚Deutschen‘, die Felder in einem Zustande, daß sich einem Landmanne das Herz im Leibe umkehrte. Es that wahrhaftig Noth, daß ein paar märkische Fäuste da zugriffen, und es dauerte ein halbes Jahr, ehe ich Frau und Kinder nachkommen lassen konnte, weil eine nach unseren Begriffen menschliche Wohnung außerhalb des Schlosses nicht aufzutreiben war. Wie hätte es denn auch anders sein sollen! Der verstorbene Nordeck hatte nichts weiter gethan als jagen und sich mit seiner Frau Gemahlin zanken, und Herr Witold that überhaupt gar nichts. Es setzte zwar regelmäßig einige Donnerwetter, wenn er herkam, aber im Uebrigen ließ er sich an der Nase herumführen, und das wußte man auf der ganzen Herrschaft nur zu gut. Wenn die Rechnung nur schwarz und weiß auf dem Papiere stand und die Zahlen stimmten, dann war die Sache in Ordnung, ob die Ausgaben auch wirklich gemacht waren, danach fragte er nicht. Was habe ich im Anfange für Summen fordern müssen, um nur einigermaßen Ordnung zu schaffen! Sie wurden mir anstandslos bewilligt; daß ich sie nun auch wirklich auf das Gut wandte, anstatt sie, wie meine Herren Collegen, in die eigene Tasche zu stecken, das war ein Ausnahmefall. Uebrigens hatte der alte Herr doch eine Ahnung davon, daß ich der einzig Ehrliche unter der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_563.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)