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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


alle schroffen Glückswechsel desselben durchkosten müssen. Er bestand diese Prüfungen mit dem herrlichen Muthe der ersten Jugendfrische, brachte aber natürlich weder Geld noch Ruhm heim, als er endlich von dem abenteuernden Umherschweifen wieder in die Vaterstadt Wien zurückgeworfen wurde. Beides jedoch sollte ihm hier bald reichlich zu Theil werden.

Es war im Jahre 1836, und die Wiener sahen sich in die schmerzlichste Trauer versetzt durch den plötzlich unter so tragischen Umständen erfolgten Tod ihres geliebten dramatischen Dichters und Darstellers Raimund. Wie sehr mußten sie daher überrascht und ergriffen sein, als ihnen unerwartet auf den Brettern der Geist des unvergeßlichen Todten in der anmuthigen Gestalt eines unbekannten jungen Schauspielers erschien, der sofort in der ganzen Art seiner Rollendurchführung bekundete, daß er keineswegs ein blos mechanischer Nachäffer des Meisters sei, nicht etwa blos ein paar äußerliche Handgriffe ihm abgelauscht, sondern verständnißvoll die Poesie seiner Schöpfungen in sich aufgenommen und mit selbstständiger Kraft aus sich wiedergeboren hatte. In den kleinen Städten und Marktflecken, die bisher seine künstlerischen Thaten gesehen, hatte Wallner, jedenfalls komisch genug, noch als Held und Liebhaber sich aufgespielt. Erst nach der Rückkehr auf heimischen Boden, unter den lebendig sich aufdrängenden Erinnerungen an begeisternde Jugendeindrücke war seine wahre Begabung zum Durchbruch gekommen; der naturwahre Humorist, der volksthümliche, empfindungs- und stimmungsvolle Komiker erwachte in ihm und fand seinen Weg in die Herzen des Publicums, zu dessen gefeiertem Liebling er binnen wenigen Monaten sich aufschwang.

Es erging ihm gut in Wien, aber es war das nicht die Lage, welche ihn zufrieden stimmte. Er fühlte sich gedrückt und beengt, als er in Wien schnell zu Ansehen, Ehre und guten Einnahmen gelangt war. Dieses undramatische Einerlei der Annehmlichkeiten trieb ihn als rechten theatralischen Zugvogel der nun entschwundenen Art von dannen, und Deutschland, namentlich das seiner ruhigen Verständigkeit zusagende nördliche Deutschland wurde und blieb nun der weite Tummelplatz seiner bewegungslustigen Persönlichkeit.

Durch alle Nationen Europas ging in jenen ersten vierziger Jahren eine vielfach noch ganz dunkle, aber schwungvolle Ahnung von dem allmählichen Emporsteigen des gedrückten und niedergetretenen Volkes auf die weltgeschichtliche Bühne. Neben anderen Erscheinungen der Literatur und Dichtung war auch das Wiener Volksstück durch dramatische Vergegenwärtigung der sogenannten niederen Volksclassen und ihrer Freuden und Leiden ein unbewußter Ausdruck der in den Gemüthern gährenden Ahnung, und Wallner ist auf den norddeutschen Bühnen ein edel gearteter und wahrhaft sympathisch begrüßter Repräsentant dieser volksthümlichen Richtung dramatischer Kunst gewesen. Dabei verkehrte er, namentlich auch in Berlin, wo er mit besonderer Vorliebe weilte, vorzugsweise mit den bewegten Kreisen der jungaufstrebenden Literatur. Zu diesen fühlte er sich hingezogen, weil in ihm selber von Jugend an ein starker literarischer Zug lebte. Schon in jenen Tagen war er ein gewandter schriftstellerischer Plauderer, und manche seiner interessanten, mit Eleganz und Empfindung geschriebenen Erinnerungen und Stimmungsbilder aus dem Theaterleben waren in Journalen mit Vergnügen gelesen worden. Schriftsteller und Dichter betrachteten ihn als einen Collegen und sahen ihn gern.

Nur Wenige leben noch von der großen Reihe älterer und jüngerer Berufsgenossen, die allabendlich damals in der „Goldenen Kugel“, einer Weinstube der Berliner Poststraße, noch in später Stunde sich zusammenfanden. In dieser geistig sehr erregten Gesellschaft, wo lebhaft debattirt wurde, hatte auch Wallner bei seinen Anwesenheiten in Berlin das volle Gastrecht, und dort sprach er sogar vor, wenn er auf der Durchreise nur ein paar Stunden in der Hauptstadt war. Ich erinnere mich, daß wir gern halbe Nächte hindurch den originellen Mittheilungen und mit Schwänken gemischten Erzählungen des rastlosen Touristen lauschten. Wo man ihm auch begegnen mochte, immer wehte aus seiner Erscheinung und seinen Mittheilungen der frische Duft des Reiselebens und der Landstraße, der anregende Hauch aus dem wechselreichen Verkehr mit interessanten, literarisch oder künstlerisch hervorragenden Persönlichkeiten der verschiedensten Länder, die er erst vorgestern oder in der vergangenen Woche oder vor einigen Monaten gesehen und gesprochen hatte. Und wie mit den Menschen, so blieb er auch mit den Erzeugnissen der auf das Belletristische gerichteten Literatur in einem lebendigen Zusammenhange. Bis zu seinem Ende las er gewohnheitsmäßig mit einer wahren Leidenschaft, und die Leihbibliotheken und Buchhändler zahlreicher Städte haben wohl selten einen so guten Kunden gehabt wie ihn.

Einmal hatte ich ihn wohl anderthalb Jahre nicht gesehen und auch nichts von ihm gehört. Da fand ich ihn eines Abends auf meinem Nachhauseweg gegen Mitternacht auf dem Alexanderplatze vor dem Königstädtischen Theater. Dort stand er und sah sich das Haus an, hatte mich aber von fern schon erkannt und wartete, bis ich näher gekommen war. Dann stieß er mich mit jener eigenthümlichen lebhaften Ellenbogenbewegung in die Seite, welche bei ihm stets die Ankündigung einer besonders zutraulichen oder wichtigen Eröffnung war, und sagte gleichzeitig: „Schofft mir dös Haus, Ihr Leut’! a Sünd’ un a Schand’ is es, daß da drinnen kei rechter Kerl regiert un aus dem Haus moacht, was es sein könnt’. Schofft mir dös Haus! Ihr hebbt den gepfefferten Witz; i gieß Euch wianerisch G’müth un G’spaß hinein, un es wird a Tränkl geb’n, daß ganz Berlin vor lauter Plaisir sich auf den Kopf stelle soll.“ Erst gegen Abend war er in Berlin angekommen, und erzählte mir nun im Weitergehen, daß er sich nächstens verheirathen werde. Die schöne Agnes Kretschmar, eine Pflegetochter Robert Blum’s, von diesem für die Kunst erzogen und damals schon eine namhafte Bühnenkünstlerin, war die verlobte Braut Wallner’s geworden. Es war rührend, mit welcher schwärmerischen Innigkeit der immerhin nicht mehr jugendliche Mann von dem Glücke seiner Liebe und von den liebenswürdigen Eigenschaften des hochbegabten jungen Weibes sprach, das er auf seinem unstäten Lebensgange sich erobert hatte.

Unstät war allerdings dieses Leben bisher in ausreichendem Maße gewesen, aber aus jenem nächtlichen Herzenserguß auf dem Alexanderplatze in Berlin sprach doch schon ein Gefühl des Ueberdrusses an der ruhelosen Beweglichkeit, die Sehnsucht nach einer consolidirten Existenz. Wallner trug sich bereits mit Wünschen und Plänen zur Gründung oder Leitung eines eigenen Theaters. Zwar ging er mit der jungen Gattin noch in ein Engagement nach Petersburg, aber schon nach einigen Jahren hörte man, daß er auf eigene Hand eine Wirksamkeit als Theaterdirector in kleineren Städten Süddeutschlands eröffnet habe und von dort sodann für dieselbe Stellung nach Posen berufen worden sei. Es gestalteten sich diese Anfänge mitunter ganz erträglich, aber zu einer Blüthe sind jene stets mit künstlerischer Sorgfalt und geschäftlicher Solidität geleiteten Unternehmungen niemals gediehen. Er selber erzählte mir später, daß nach pünktlicher Auszahlung der Gagen und nach Bestreitung der Kosten für glänzende Vorstellungen er oft genug mit den Seinigen sich habe einschränken müssen und eine sorgenreiche finanzielle Bedrängniß seinem Hause nicht fremd geblieben sei. Aber der nun einmal über der Bahn dieses leichtlebig-frischen und frohmuthigen Menschen einherziehende Glücksstern brach immer wieder aus zeitweiliger Verdunkelung hervor und winkte plötzlich aus Berlin, wenn auch mit einem sehr zweifelhaften Glanze. Wallner jedoch verstand den Wink und folgte ihm; ein seit lange gehegter Wunsch sollte ihm ja unerwartet in Erfüllung gehen.

Das altberühmte Königstädtische Theater war zwar von den Reactionsstürmen nach 1848 für immer hinweggeweht, die Concession aber war erblich in der Familie Cerf und auf geheimnißvollem Wege in den Besitz eines ungebildeten, unangenehmen und übel beleumundeten Sprossen dieser Familie gekommen. Dieser Mensch hatte das vielbeneidete und damals kaum zu erlangende Recht, in Berlin ein Theater zu errichten, aber es fehlten ihm dazu alle Geldmittel, und er machte nun den Berlinern in einer eben von Kunstreitern verlassenen Circusbude die lächerlichsten Bühnenexperimente vor, bis er einen mitleidigen Baumeister fand, der ihm in einem bedenklichen Winkel der abgelegenen und damals noch sehr uneleganten Blumenstraße, mitten im sogenannten „Gärtner- und Weberviertel“ ein Theaterchen herstellte, das durch seine schmucklose und zwerghafte Niedlichkeit unstreitig zu den wunderlichsten Theaterbauten gehörte, die es jemals gegeben hat. Auf diesen Brettern spielte nun ein aus dem Abhub der kleinen märkischen Reisetruppen zusammengerafftes Personal so erbärmlich, daß selbst die Schusterjungen der Umgebung ihre Sonntagsgroschen nicht dafür ausgeben wollten. Die Sache ging nicht; Cerf gerieth in so schwere Verlegenheiten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_566.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)