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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


das Volk vertheilt worden, denn man wirft das dem Volke gebührende Trinkgeld seit zwei Jahren nicht mehr in die Fluth, weil dies jedes Jahr mehrere Menschenleben zu kosten pflegte.

Somit war die Feier zu Ende. Der Sultan von Zanzibar, sowie die Behörde kehrte nach der Stadt zurück, die Araber blieben aber noch lange am Fleck. Keiner von ihnen geht an diesem Tage davon, ohne sich in dem Canal gebadet oder zum Mindesten gewaschen und einen Trunk aus dem wunderthätigen Flusse gethan zu haben. Viele füllen das Wasser, welches an diesem Tage Glück bringen soll, in Gefäße und tragen es mit nach Hause. Ich sah auch, daß sie die Palmenwedel, welche den Damm schmückten, wie Reliquien fortschleppten.

Herzlich lachen mußte ich, als ich im Nachhausefahren einem pudelnassen sogenannten orientalischen Heiligen begegnete, der mit zerzausten Haaren, triefenden Gewändern und verzückten Mienen baarhäuptig durch die Straßen wandelte, hinter ihm eine Art Meßner, der einen hellgrünen Sonnenschirm über ihn hielt.

Der Nil steigt zur Stunde fortwährend, bis er seine höchste Höhe erreicht, was zwischen dem 20. und 30. September eintritt. Auf seinem höchsten Stande verweilt er etwa vierzehn Tage, wonach das Sinken beginnt, sodaß er Mitte November wieder auf die halbe Höhe seines Steigens gesunken ist und zwar auf die Höhe, die er jetzt hat.

Die dem Nil am nächsten liegenden Felder sind bereits überschwemmt, was dem Flusse eine wahrhaft imposante Breite verleiht. Bald werden auch die entfernteren Gründe mittels der Canäle von dem befruchtenden Wasser bedeckt sein. Das ganze Land wird aber nicht ein See sein; selbst wenn der Nil den höchsten Punkt seines Steigens erreicht hat, steht nicht, wie eine häufig gebrauchte Redensart lautet, ganz Aegypten unter Wasser; denn obgleich einzelne Landstriche ganz davon bedeckt sind, so sind doch die Fluthen überall durch Dämme eingeengt und zertheilt, sodaß selbst der Verkehr zwischen den Dörfern selten ganz gehemmt ist. Dies ist nur der Fall, wenn die segensreiche Ueberfluthung zur verheerenden Ueberschwemmung wird – was Gott verhüten möge!




Blätter und Blüthen.


Für Mütter. Mit welchem Unverstand die jugendlichen Mütter der Neuzeit vielfach das Leben ihres Kindes auf’s Spiel setzen, zeigt folgender Fall. Ich wurde zur Besichtigung eines dreivierteljährigen Kindes gerufen, welches innerhalb weniger Stunden dem Brechdurchfall zum Opfer gefallen war. Trotz des eingehendsten Examens ließ sich anfangs keine Ursache finden, welche dieses plötzliche Ende herbeigeführt haben konnte, bis endlich nach langem Zögern die achtzehnjährige Mutter gestand, sie habe einige Zeit zuvor dem Kinde etwas Wurst und Bier verabreicht. Schon der gesunde Menschenverstand lehrt, welche Folgen jeder Diätfehler bei einem Kinde nach sich zieht, und wenigstens zwei Drittel aller Brechdurchfälle, die im Sommer und Herbst die Kindersterblichkeit in einem so schrecklichen Grade vermehren, sind einzig und allein auf diese Ursache zurückzuführen; Zahnung und Erkältung bilden erst die zweitwichtigsten Momente. Jeder Erwachsene kennt die Grundregel für eine gute Verdauung, den Bissen so klein wie möglich zerkaut in den Magen hinunterzuschlucken, damit der Magensaft sofort von allen Seiten denselben durchdringen kann, die wenigsten Mütter aber überlegen, daß ihrem Kinde in dem ersten Jahre die Backzähne gänzlich fehlen, und selbst bei dem Vorhandensein derselben die Kleinen anfänglich die sorgfältige Nutzanwendung davon unterlassen. Die unmittelbare Folge ist, daß, wenn jede in Form von festeren Stückchen dem Kinde gereichte Nahrung nicht vollständig zerkleinert in den Magen gelangt, solche hier erst längere Zeit liegen bleiben muß, bis nach und nach die Säfte die Auflösung ermöglicht haben.

Diese längere Dauer der Verdauung bringt aber einestheils eine größere Reizung der Magendarmwände hervor, andererseits begünstigt sie die Zersetzungsvorgänge, besonders im Sommer, wo die Darmmuskulatur erschlafft und das hierdurch langsamer in den Därmen circulirende Blut die Verdauungssäfte an und für sich in geringerer Menge ausscheidet. Diese Vorgänge werden selbstverständlich noch mehr gesteigert, wenn das Kind sehr schwer oder nicht zu verdauende Stoffe, wie Kartoffeln, Obst, frische Schoten, zugeführt erhält. Eine in den Früchten vorzugsweise befindliche Substanz kann von dem Kindermagen absolut nicht verdaut werden; sie dient also nur dazu, den langen Darmweg, welcher durchschnittlich fünf Mal so lang ist wie das betreffende Kind, in einen entzündlichen Zustand zu versetzen. Der gereizte Verdauungscanal sucht sich so schnell wie möglich der aufgedrungenen Speisen zu entledigen; die regelmäßigen Darmbewegungen geschehen schneller; die verdaulichen Bestandtheile werden hierdurch nicht genügend verdaut; der wässerige Inhalt wird nicht aufgesogen, vielmehr später sogar Flüssigkeit aus dem Blute in den Darm ausgeschieden; es entsteht Diarrhöe, an welche sich bei stärkerer Erkrankung Magenkatarrh und Brechen anschließt. Kein Krankheitsproceß aber entkräftet den kindlichen Körper schneller als der Brechdurchfall. Die Haut verliert durch den starken Flüssigkeitsverlust ihre feste, straffe Spannung, wird welk; die Augen sinken mehr und mehr zurück; das Blut rinnt spärlicher in den Adern, bis endlich das Herz die vermehrte Arbeit nicht ferner zu leisten vermag und der Tod erfolgt. –

Wie aber soll die Mutter diesen ärgsten Kinderfeind bekämpfen? Die erste Pflicht ist die sorgfältige Verhütung jedes Diätfehlers in der Zeit des Sommers und des Herbstesanfanges. Man verbleibe bei der gewohnten Milchnahrung oder dem eingeführten Surrogat; höchstens kann etwas eingeweichter Zwieback unbedenklich verabreicht werden. Jede andere Substanz dagegen betrachte man für das Kind als nicht vorhanden. Auf die gleiche Weise müssen Erkältungsursachen vermieden werden, und sind besonders die Kindermädchen streng darauf anzuweisen, das Wechseln der Windeln nur an zugfreien Stellen sowohl zu Hause wie im Freien vorzunehmen. Beginnt aber das Kind dünn auszuleeren, so ist sofort energisch einzuschreiten; man begünstige nicht die beliebte Ammenmarotte, welche die Diarrhöe als ein erfreuliches Zeichen des Zahndurchbruches betrachtet! Um die in Gährung übergegangenen Massen aus den Verdauungsorganen des Kindes herauszubefördern, dient am besten im Anfange ein gewöhnliches lauwarmes Wasserklystir, an welches sich später einige laue Klystire von gekochter Stärke anschließen. Falls das Kind nicht gestillt wird, verdünne man die Milch zur Hälfte mit Hafergrützschleim! Bei Fortdauer der Diarrhöe muß die Milchnahrung dem Kinde gänzlich entzogen werden. An Stelle derselben trete dünner Hafergrützschleim oder dünne Kalbsbrühe mit Gries und mehrmals täglich ein Theelöffel Rothwein! Diese einfachen Regeln genügen fast ausnahmslos, um eine gewöhnliche Diarrhöe zum Stillstande zu bringen. Tritt aber eine stärkere Magenbetheiligung hinzu, so ist baldige ärztliche Hülfe erforderlich. Das Kind bleibt bis dahin am besten ohne jede Nahrung, erhält nur zweistündlich einen Löffel Rothwein, an die Füße eine Wärmflasche und jede Stunde ein in kaltes Wasser getauchtes, dann ausgerungenes Handtuch, welches man mit einem wollenen Tuche dicht bedeckt, rings um den Leib gelegt. Später beginnt man wieder dem kleinen Patienten nach und nach dünne Hafergrütze oder Griessuppe von Kalbsbrühe einzuflößen. Dringend aber rathen wir jeder jungen Mutter die Rathschläge guter Nachbarinnen auf das Sorgfältigste zu prüfen. Mit der größten Rücksichtslosigkeit pflegen derartige Sibyllen, auf angebliche Erfahrung pochend, ihren Rath aufzudringen, um durch verschiedene Theesorten und warme Umschläge nur eine größere Reizung des Magens hervorzurufen. Sie selbst haben allerdings nichts zu verlieren, aber mögen wohl überlegen, was für die Mütter auf dem Spiele steht – das Leben ihres Kindes!

Dr. – a –

Photographirte Musik. Daß man die Menschen im Laufschritte, den Vogel im Fluge, die schaumbedeckten Meereswellen im Sturme photographisch festhalten kann, davon können wir uns in jeder Kunsthandlung durch die sogenannten Augenblicksbilder überzeugen. Wir sehen die dahineilenden Time-is-money-Bekenner, die jagenden Fuhrwerke der Straßen und Plätze Londons, Mensch und Thier mit aufgehobenen Beinen, hutabziehend, schimpfend, drohend, feilschend, als hätte ein Medusenhaupt das ganze Gewimmel plötzlich versteinert. Aber auch um die Bewegung selbst zu fixiren, hat man die große Erfindung Daguerre’s benutzt; der Arzt läßt sich von ihr die Bewegung des Pulses, der Meteorologe die Schwankungen von Barometer, Thermometer, ja die Veränderungen aller seiner Instrumente, auf einem fortlaufenden Papierstreifen aufzeichnen. Warum sollte man nicht ebenso diejenigen Wellen der Luft photographiren können, die unser Ohr bald angenehm als classische Musik, bald Unwohlsein erregend als sogenannte Zukunftsmusik umspülen?

Als die sogenannten Klangfiguren entdeckt wurden, schlug man ihre eleganten Formen als sinnreiche Muster und Hieroglyphen für die Verzierung der Kleidersäume berühmter Virtuosen vor, allein diese „gefrorne Musik“ war doch eine allzu frostige Idee, um die Herzen zu erwärmen. So brodlos sie sein mag und so wenig „schöne“ Resultate sie verspricht, die Kunst, Klänge und Musik zu photographiren, bietet doch, schon der bloßen Idee nach, einen eigenthümlichen Reiz, und daß sie gar keinen besonderen Schwierigkeiten begegnen würde, hat kürzlich Professor H. Vogel in Berlin, die erste photographische Autorität Deutschlands, in seinem Fachjournale dargelegt. Wie man einerseits singende Gasflammen hat und Concerte mit solchen singenden Flammen veranstalten kann, – auf der Wiener Weltausstellung befand sich ein Clavier mit singenden Flammen, statt der Saiten – so werden die Gasflammen durch verschiedene Töne verschieden, unter Umständen bis zum augenblicklichen Erlöschen, beeinflußt, und man darf nur die eigenthümliche Form einer für Musik entbrannten Flamme photographiren, um in ihrer besonderen Bewegung und Zuspitzung den Ton selbst, wie durch eine Note zu fixiren.

Der Physiker Dr. König in Paris hat vor einigen Jahren gezeigt, daß man die Gasflamme am gefühlvollsten machen kann, wenn man eine offene Stelle des Gasleitungsrohres mit einem zarten Membran überspannt und, letzteres als Trommelfell benützend, der Flamme gleichsam die Töne in’s Ohr haucht. Die von diesem Rohre gespeiste Flamme tanzt nun sozusagen nach der mitgetheilten Musik, und ihre einzelnen Pas lassen sich am besten sondern, wenn man sie in einem gegenüberstehenden, schnell um seine Achse gedrehten Spiegel betrachtet, wobei zuweilen ein angenehmer Rhythmus hervortritt. Wenn man nun eine Flamme anwenden würde, die sehr reich ist an sogenannten chemischen Strahlen, z. B. die Flamme des Cyangases, so würde es keine besonderen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_575.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)