Seite:Die Gartenlaube (1876) 584.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


– als sie gewahrt hatte, daß sich solche Leute an der Trauerfeier betheiligt, und daß die Frau Bezirkshauptmännin vorgebetet, brach neuerdings ein Murren aus. „Die katholischen Pfaffen hätten der Leiche doch etwas mehr Ehre erweisen können, denn ein Protestant ist doch auch ein Christ, so zu sagen.“

Das marmorne Grabmal, das bald nachher aufgerichtet wurde, ist übrigens seitdem von fanatischen Händen schon öfter beschädigt worden. Dazu finden sich in diesen Kreisen immer Kräfte.

Solche seltsame Geschichten sind im Bisthum nicht selten zu erleben.

Der jetzige Fürstbischof von Brixen, H. Vincenz von Gasser, ist ein geistreicher Mann, der in aller Wissenschaft auf der Höhe des Jahrhunderts steht. Er lebt in seiner Burg fast ohne Fehl und Sünde, pflegt in seinem Haushalte ascetische Einfachheit und verwendet alle Einkünfte, die ihm nach seinem geringen Bedarfe übrig bleiben, auf Zwecke, die er für heilsam hält. Im Umgang beobachtet er eine Feinheit, welche seine Landsleute nur selten erreichen. Er hat selbst unter den Männern keinen persönlichen Gegner, und die Weiber bitten alle knieend um seinen Segen, wenn er würdevoll durch Brixens stille Gassen wandelt. Es geschieht zwar selten. Immer ist es schade, wenn ein solcher Mann jetzt Bischof wird. Je mehr Verstand er besitzt, desto mehr muß er ja opfern.

Wie schön ist der Vorsatz, einem blinden, verwahrlosten Volke die Augen zu öffnen, seine Erziehung und Aufklärung zu übernehmen, eine unwissende träge Clerisei für Wissenschaft und geistige Thätigkeit zu erwärmen, die gebildeten Männer und Frauen, die „den Pfaffen“ ausweichen, wieder mit ihnen zu versöhnen, alle für die Gemeinsamkeit des christlichen Zieles, die Veredlung der Menschheit, zu begeistern, auf diese Art den ganzen Sprengel umzuformen und ihn voll neuen erfreulichen Lebens dem Nachfolger zu hinterlassen; allein die Parabel von dem vergrabenen Pfunde scheint im Katholicismus gleichwohl den geistigen Fortschritt nicht zu verbieten. Oder soll die Kanzel immer nur zu politischen Hetzereien, nicht auch zu vernünftigen Zwecken verwendet werden? Wäre es nicht des Versuches werth, nach unzähligen Milliarden abgeleierter Vaterunser einmal auch eine neue Idee in diese verödeten Geister zu leiten? Der gestirnte Himmel, der Bau der Welt und der Erde, der Thiere, der Pflanzen, sie sind ja auch lauter Wunder, die von der Weisheit Gottes zeugen und das menschliche Herz nicht minder erheben, als die Wunden der Jungfer Lateau und andere Jesuitenschwänke; durch solche Bestrebungen würde der Stand der Priester allen Menschenfreunden theuer werden; er würde wieder wie vor Zeiten nicht nur der erste, sondern auch der geachtetste im Lande sein.

Zur Zeit wird freilich jeder neue Bischof, der aus dem stillen Bücherleben in die geistliche Praxis tritt, schon in den Flitterwochen wahrnehmen, daß das Christenthum in seinem Sprengel noch gar nicht angebrochen ist, Gottvater lebt bekanntlich „im Austrag“; der heilige Geist hat seine Functionen eingestellt (daß er beim Vaticanum mitgewirkt, wird ja allgemein als Fabel anerkannt); von dem Herrn Jesu Christ geht noch mitunter die Rede, aber er hat, gleichsam sich auch in’s Privatleben zurückzuziehen, in dem Herzen der Mamsell Alacoque eine Commandite auf Erden gegründet, deren Actionäre mehr himmlische Vortheile ziehen sollen, als er selbst zu gewähren im Stande wäre. Die Weltregierung hat die Mutter Gottes übernommen; wo ihre Fürsicht nicht ausreicht, treten die lieben Heiligen ein, welche durch Gelübde, Geschenke, Processionen und Wallfahrten bestochen werden müssen. Eine Andacht, eine Feierlichkeit folgt der andern; die beste Arbeitszeit geht in der Kirche auf, und das Volk wird trotz seiner Heiligkeit täglich ärmer und bedauernswerther.

„O du grundgütiger Himmel!“ sagt der neue Bischof nach solchen Betrachtungen seufzend zu sich selber. „Abgesehen von einigen Handgriffen, welche unsere Priester für specifisch christlich ausgeben, leben wir doch Alle noch mitten in der blödesten Vielgötterei, im blindesten Heidenthume. Aber es soll Licht werden. Herr Generalvicar, lassen Sie sofort einen aufgeweckten Hirtenbrief hinausgehen, sagen Sie, daß der bischöfliche Stuhl auf die bisherige Naivetät seiner Diöcesanen verzichte! Sie sollen lernen, aufgeklärt, gebildet werden. Nicht die Freimaurer sind das größte Uebel, sondern die Dummheit ist es. Fort mit dem heidnischen Trödel! Laßt uns endlich Christen werden!“

Aber der Generalvicar reist zuerst über die Berge nach Rom, wo der heilige Vater vor dem Bambino kniet, während der Vatican sein Medusenhaupt schüttelt und dann spricht: „Lassen wir’s lieber beim Alten! Jetzt pickt noch Alles zusammen, aber wenn wir z. B nur das Märlein von Adam und Eva wegblasen, so rumpelt das ganze künstliche Gerüst über einander. Wenn wir die Bauern so klug machen wollten, müßten wir zuerst selbst etwas lernen. Wir haben uns bisher mit Messelesen und Sündenvergeben kunstlos, aber anständig durchgeschlagen. Sollen wir nun selbst den Ast absägen, auf dem wir sitzen? Fort, ja fort, aber nicht mit dem süßen Heidenthume, das uns nie geschadet, sondern, wie die Honoratioren des Ober-Innthales schon längst begehrt, fort mit der infernalischen Intelligenz, die uns jenes nie ersetzen kann!“

So mag es seiner Zeit Herrn Vincenz Gasser ergangen sein. Auch er gedachte vielleicht, den schlummernden Geist seiner Herren und Ritter, seiner Bürger und Bauern zu wecken und im Brixener Bisthume ein geläutertes Christenthum einzuführen, aber auch er wurde von der römisch-heidnischen Strömung fortgerissen. Um volles Vertrauen zu gewinnen, schritt er aber im heidnischen Geiste bald ebenso energisch einher, wie er’s ursprünglich im christlichen gewollt. Am vollständigen Opfer seines Intellects sollte Niemand zweifeln.

So ließ er denn seine Bischofsjahre in lauter unnützen Bestrebungen verlaufen. Hauptsächlich lag ihm der Widerstand gegen jede Verbesserung im Schulwesen und die Glaubenseinheit am Herzen. So verlor er seine Zeit mit Hetzereien, welche bei den Denkenden nur Mitleid erregt hätten, wenn sie nicht dem Lande so schädlich geworden wären. Wie seine bairischen Kampfgenossen hat aber auch er nur eine Niederlage nach der andern zu verzeichnen. Auf seiner Seite ist seit zwanzig Jahren nicht der mindeste Fortschritt zu bemerken; Alles, was etwa bessere Zeiten verspricht, geht von den Liberalen aus. Von Allem, was er angestrebt, hat er nichts erreicht. „Qui nihil fecit!“ werden eines Tages selbst seine Verehrer von ihm sagen.




Bayreuther Festtagebuch.
Nr. 2 Vom 14.–17. August.


14. August.     

Die Bezeichnung „Sommerfrische“ klingt wie ein Spott, wenn man sie auf unsere Bayreuther Festtage anwenden will. Wenn der Regen in Strömen vom Himmel fiele, so könnte man nicht mehr aufgespannte Schirme erblicken, als sie auf den Straßen gegen die liebe Sonne gebraucht werden. Mein scherzhaftes Bonmot vom „artistischen Calvarienberg“ macht also mit Glück die Runde, und da ich zu den bestaccreditirten Verehrern des Meisters zähle, auch als solcher bekannt bin, so dürfen mich die Torquemadas und Peter Arbues der „Zukunftsmusik“ nicht einmal deshalb verbrennen. Es wäre auch zu heiß, um noch Scheiterhaufen anzuzünden. Ist aber ein „schlechter Witz“ einmal in die Welt gesetzt, so ist er fruchtbar und mehrt sich, und ein grimmiger Gegner Wagner’s will meinen „Calvarienberg“ bereits mit Erbsen pflastern und uns auf den Knieen zum Theater hinaufrutschen lassen. Der Vorschlag war eines Hanslick oder Bernuth oder Gumprecht würdig, aber von diesen Dreien hat ihn keiner gemacht, denn es wäre gefährlich ihn zu machen. In solchen Situationen darf es nur die Selbstironie wagen, die Wahrheit zu sagen, und mein Humor schützt mich vor allem Fanatismus der orthodoxen Wagner-Verehrer.

Das materielle Leben in Bayreuth wird mit jedem Tage schlechter. So weit ich gereist bin, nie habe ich miserabler gegessen und getrunken. Der Mensch, auch der enthusiastischste, lebt nicht allein von „Motiven“ aus Wagner’s Musikdramen. In der Theaterrestauration auf dem „Calvarienberg“ ist es besser. Sie könnten für fünf Mark eine leidlich civilisirte Table d’hôte finden, aber mit Hindernissen, bei welchen, meines Erachtens, die Qualität

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_584.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)