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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


ertrug, mußte es dann nothwendig zu einem Zusammenstoße kommen – da störte der unerwartete und unpassende Besuch im Gutshofe den ganzen Plan. Indessen Waldemar’s Haltung bewies, daß es in der kurzen Zeit, die er drüben verweilte, zu keinen Erörterungen gekommen war; er legte augenscheinlich gar keinen Werth auf das Gehen oder Bleiben des Administrators und besaß Schicklichkeitsgefühl genug, sich von vorn herein und ohne jede Prüfung auf die Seite seiner Mutter zu stellen.

„Ich wußte, daß ich auf Dich rechnen konnte,“ erklärte sie, sehr befriedigt von dieser ersten Zusammenkunft. Es fügte sich ja Alles und Jedes nach ihren Wünschen. „Aber da gerathen wir gleich in den ersten Stunden auf dieses unerquickliche Beamtenthema, als ob uns nichts Besseres zu Gebote stände. Ich wollte – ah, da bist Du ja, Bronislaw!“ wandte sie sich an ihren Bruder, der mit seiner Tochter am Arme eintrat.

Waldemar hatte sich bei den letzten Worten gleichfalls umgewendet. Einen Moment schien er doch betroffen, so fremd war ihm die Erscheinung, die so hoch und stolz ihm gegenüberstand. Er hatte nur das sechszehnjährige Mädchen mit seinem frischen Jugendreize gekannt; diese Gestalt mochte ihm doch neu sein. „Sie verspricht dereinst schön zu werden,“ hatte die Fürstin Baratowska von ihrer Nichte gesagt. Wie sehr dieser Ausspruch sich bewähren würde, hatte sie wohl selbst nicht vorausgesehen. Freilich lag die Schönheit hier nicht in dem Begriffe der Regelmäßigkeit, denn dem entsprachen Wanda’s Züge durchaus nicht. Der slavische Charakter trat zu deutlich darin hervor, und sie entfernten sich ziemlich weit von dem griechischen oder römischen Ideale, aber trotzdem war dieses immer noch etwas bleiche Antlitz von einem hinreißenden Zauber, dem sich Niemand verschließen konnte. Das tiefschwarze Haar, im Widerspruche mit der herrschenden Mode ganz einfach geordnet, zeigte sich eben dadurch in seiner ganzen prächtigen Fülle; was aber der jungen Gräfin den mächtigsten Reiz lieh, das waren ihre dunklen feuchten Augen, die sich so groß und voll unter den langen Wimpern aufschlugen. Jetzt freilich stand etwas Anderes darin, als Kindesübermuth und Kinderscherze. Mochten diese dunklen, tiefen Augen sich nun in träumerischer Ruhe verschleiern oder in leidenschaftlicher Gluth aufstrahlen, räthselhaft und gefährlich blieben sie immer. Man fühlte bei ihrem Anblicke, daß sie rettungslos bestricken, unwiderstehlich festhalten konnten, und Gräfin Morynska hatte diese Macht zu oft erprobt, um sich ihrer nicht im vollsten Maße bewußt zu sein.

„Sie haben ganz Wilicza mit Ihrer Ankunft überrascht, Waldemar,“ sagte der Graf, „und finden nun gleich Gäste in Ihrem Hause. Wir wollten eigentlich schon heute früh abreisen, auf die Nachricht von Ihrem Eintreffen hin aber mußten wir uns doch noch Zeit zur Begrüßung nehmen.“

„Gewiß, Cousin Waldemar!“ bestätigte Wanda, indem sie ihm mit einem reizenden Lächeln und der graciösesten Unbefangenheit die Hand entgegenstreckte.

Nordeck verneigte sich sehr förmlich und abgemessen vor seiner schönen Cousine. Er schien die dargebotene Hand nicht zu sehen und die liebenswürdig vertrauliche Anrede nicht gehört zu haben, denn ohne auch nur eine Silbe darauf zu erwidern, wandte er sich zu Morynski.

„Ich will doch nicht hoffen, daß ich Sie vertreibe, Herr Graf? Da ich vorläufig ja auch nur der Gast meiner Mutter bin, so sind wir im gleichen Falle.“

Der Graf schien angenehm berührt von dieser Artigkeit, die er seinem Neffen gar nicht zugetraut hatte; er antwortete verbindlich, Wanda dagegen stand stumm mit fest zusammengepreßten Lippen da. Sie hatte für gut befunden, dem jungen Verwandten mit der ganzen Unbefangenheit der Weltdame entgegenzutreten, ihm großmüthig eine peinliche Erinnerung zu ersparen, indem sie dieselbe vollständig ignorirte, und nun mußte sie es erleben, daß die Unbefangenheit gar nicht angenommen, die Großmuth zurückgewiesen wurde. Der Blick, der mit so eisiger Gleichgültigkeit über sie hinglitt, zeigte ihr, daß Waldemar die einstige Neigung allerdings vergessen, die einstige Beleidigung aber nicht verziehen hatte und sich jetzt dafür rächte.

Das Gespräch wurde bald allgemein, da auch die Fürstin und Leo sich daran betheiligten. An Stoff fehlte es nicht. Man sprach von Waldemar’s Reisen, von seiner unvermutheten Ankunft, von Wilicza und der Umgegend, aber so belebt die Unterhaltung auch war, es blieb doch jede Vertraulichkeit ausgeschlossen; man sprach zu einem Fremden, mit dem man zufällig in verwandtschaftlichen Verhältnissen stand. Dieser Nordeck’sche Sprößling gehörte nun einmal nicht zu dem Kreise der Baratowski und Morynski – das wurde von beiden Seiten gefühlt und unwillkürlich regelte sich der Ton danach. Der Graf konnte es auch jetzt nicht über sich gewinnen, den ältesten Sohn seiner Schwester mit dem Du anzureden, das er dem jüngsten als selbstverständlich gab, und Waldemar hielt consequent das „Herr Graf“ gegen seinen Oheim fest. Er zeigte sich in der Unterhaltung nicht viel anders als sonst, schweigsam und zurückhaltend, aber nicht mehr unbeholfen.

Da es um die Herbstzeit war, so kam das Gespräch natürlich bald auf die Jagd, die überhaupt das bevorzugteste Vergnügen auf den Gütern der Umgegend bildete, und der auch die Damen nicht fremd waren; sie betheiligten sich lebhaft an den Erörterungen. Leo erwähnte schließlich der großen Nordeck’schen Waffensammlung und rühmte einige dort befindliche Büchsen ganz besonders. Graf Morynski widersprach und wollte die betreffenden, allerdings sehr kostbaren Stücke nur als Merkwürdigkeiten gelten lassen, während Waldemar sich entschieden auf die Seite seines Bruders schlug. Die Herren geriethen in’s Feuer und beschlossen, den Streit durch einen Gang nach dem Waffensaale und eine vorläufige Probe zu entscheiden, sie brachen auch ungesäumt dahin auf.

„Noch ganz der alte Waldemar!“ sagte die Fürstin, ihnen nachblickend. „Nur wenn es sich um Jagdgeschichten handelt, fängt er Feuer. Alles Uebrige ist ihm gleichgültig. Findest Du ihn verändert, Wanda?“

„Ja,“ entgegnete die junge Gräfin einsilbig. „Er ist eigenthümlich ruhig geworden.“

„Ja, Gott sei Dank! Einigermaßen scheint er die Schroffheit und Formlosigkeit abgelegt zu haben, wenigstens so lange er sich im Salon befindet. Man kann ihn jetzt präsentiren, ohne sich lächerlich zu machen und braucht nicht gleich bei der harmlosesten Unterhaltung einen Eclat zu fürchten. Seine nähere Umgebung freilich wird wohl nach wie vor zu leiden haben; bei dem ersten Versehen, das der Reitknecht bei den Pferden oder Hunden sich zu Schulden kommen läßt, ist der alte Berserker mit seinem ganzen Ungestüm wieder da.“

Wanda erwiderte nichts auf diese Bemerkung. Sie hatte sich in einen Sessel geworfen und spielte mit den Seidenquasten desselben.

„Gleich seine Ankunft war ein echt Nordeck’scher Streich,“ fuhr die Fürstin unwillig fort. „Es war schon arg, daß er die Extrapost auf der letzten Station fortschickte und zu Fuße ankam, wie der erste beste Abenteurer, aber daran hatte Waldemar natürlich noch nicht genug. Als er das Schloß erleuchtet sieht und von einer Festlichkeit hört, kehrt er schleunigst beim Administrator ein, aus bloßer Angst, man könne ihn zwingen, sogleich in die Gesellschaft zu treten. Spät Abends erst kommt er mit dem Doctor in’s Schloß, giebt sich Pawlick zu erkennen und läßt sich nach seinen Zimmern führen, verbietet aber auf das Bestimmteste, mich noch zu stören. Ich erfuhr natürlich seine Ankunft fünf Minuten darauf. Meine Dienerschaft ist doch besser geschult, als er voraussetzt, da er aber in dieser Hinsicht einen so entschiedenen Befehl gegeben hatte, so blieb mir nichts übrig, als sein Hiersein zu ignoriren und mich erst heute Morgen überraschen zu lassen.“

„Eine Ueberraschung, die auch uns zum Bleiben nöthigte,“ fiel Wanda ungeduldig ein. „Ich hoffe, Papa kommt bald zurück, damit wir endlich abreisen können.“

„Doch nicht sogleich? Ihr werdet doch wenigstens noch zu Tische hier bleiben?“

„Nein, liebe Tante, ich werde den Papa bitten, sofort anspannen zu lassen. Denkst Du, daß es mir Vergnügen macht, mich von Herrn Waldemar Nordeck fortgesetzt so ignoriren zu lassen, wie er es während dieser halben Stunde that? Er vermied es mit bewundernswürdiger Consequenz, mir zu antworten oder nur ein einziges Mal das Wort an mich zu richten.“

Die Fürstin lächelte. „Nun, diese kleine Rache kannst Du ihm bei der ersten Zusammenkunft immerhin gestatten. Du hast ihm ziemlich schonungslos mitgespielt und kannst Dich wirklich nicht wundern, wenn der Groll darüber sich noch hin und wieder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_595.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)