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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


sie doch zeitweilig versucht werden sollte, nur eine vorübergehende Modesache darin erblicken würde, so wird man mich nicht zu den Fanatikern zählen, die in Bayreuth bereits das Bethlehem der neuen Kunstreligion bejubeln. Das Werk imponirt und muß imponiren. Aber vom „Hosiannah!“ bis zum „Kreuzige!“ ist nur ein Schritt. Wie es in der Dichtung einen Sprung in die uralten Göttersagen zurück macht, so eilt es in seinen Anforderungen an die Darstellung in solche Zukunftsfernen, daß die alte culturgeschichtliche Erscheinung sich auch hier bewahrheiten wird – daß wie in der Politik, so auch in der Kunst die Revolutionen ihre Ideale nie verwirklichen. Es ergreift uns das unsichtbare vertiefte Orchester gewaltig, aber welcher Zeit bedarf es, die Sänger auf der Bühne mit dieser orchestralen Begleitung in den richtigen Rapport zu setzen! Der Sänger declamirt singend. Das Orchester geht seinen Weg nebenher, schließt sich dem Gesange zwar an, bleibt aber in einer größern Selbstständigkeit, als die Gewohnheit des Publicums es zuläßt. Man brauchte auf dem Festplatze nur die abgehärtetsten Wagner-Enthusiasten in der Erholungsstunde anzusehen; um zu begreifen, daß der Kampf des gesungenen Drama mit dem recitirenden noch weit, weit davon entfernt ist, – ein „nationaler“ zu sein. Das Wagner’sche Kunstwerk ist eine großartige Erscheinung, welche aus der Nation hervorgegangen ist wie ein Meteor. Ob sie aber in die Nation, diese national durchdringend, getragen wird, muß ich bezweifeln. Der Enthusiast sagt guten Glaubens: Ja. Der Culturhistoriker und – der Physiologe werden Nein sagen.

Ich persönlich und die meisten Wagnerianer können zwar die Behauptung nicht unterschreiben, daß Wagner „den Schwerpunkt in’s Orchester verlegt“. Aber wer mit der Theorie nicht vollständig vertraut ist, wird allerdings ein Recht zu dieser Behauptung haben, und in der That, die Instrumentation wird selbst von den Anhängern Wagner’s in ihren Schriften und Reden unwillkürlich am meisten betont. Von einzelnen kleinen Phantasiescherzen, wie der singende Drache, schweigt man lieber, oder sagt ganz ehrlich und gerade hinaus: Solche Kurz- und Spielwaaren-Buhmänner sind dem modernen Schönheitsgefühl nicht sympathisch. Wir „graueln“ uns bei ihrem Anblicke doch nicht, die wir uns kaum bei Delmonico’s fünf lebendigen Löwen im Circus „graueln“, und wir müssen in der That verstummen, wenn uns die Antiwagnerianer fragen: „Warum singen die Bäume, die Stühle und die Tischfüße nicht auch?“

Habe ich mich in meinen Tagebuchaufzeichnungen dem Zauber und den Eindrücken des Augenblicks willig überlassen, so darf ich in diesen Schlußworten dem deutschen Volke nicht die Zumuthung stellen, dieser großartigen Erscheinung bereits die nationale Bürgerkrone zu geben, denn wir stehen bis jetzt noch sehr vereinzelt da, und die Geschichte macht keine Riesensprünge. Es wird diese Erscheinung in Bayreuth ihr Gutes und Segensreiches in der Praxis haben. Sie wird dazu beitragen, die Trivialität aus der Oper immer mehr zu verbannen, ob sie aber Aussicht hat, das recitirende Drama zu verdrängen, das muß – ganz bescheiden ausgedrückt – abgewartet werden.

Und nun – Hand auf’s Herz! – hatten wir Alle in Bayreuth die nothwendige Sammlung, Muße und Stimmung, um wirklich zu prüfen? – Nein. Die ganze Erscheinung war eine zu exotische dazu. Wie sie mich und tausend Andere berauschte, machte sie Manche verbissen, und ich komme immer wieder darauf zurück: vor der Hand haben wir es mit einer kunstgeschichtlichen Erscheinung zu thun.

Eine solche sind auch die berühmten, alle zehn Jahre sich wiederholenden Oberammergauer Passionsspiele. In ähnlichem Sinne kann auch der „Ring der Nibelungen“ sich einbürgern und wird es, wenn ihm das nöthige Mäcenatenthum und die opferfreudigen mitwirkenden Kräfte, welche in Bayreuth sich eingefunden hatten, nicht fehlen.

In den Annalen der Kunstgeschichte werden die Tage von Bayreuth einen hervoragenden Platz finden. Der reale Erfolg für die Zukunft wird abzuwarten sein.

W. Marr.




Den Alamannen und Schwaben.
Abschied vom Bodensee.


Mit deinen dunkelgrünen Tannen an deiner stolzen Berge Fuß,
Du schönes Land der Alamannen: nimm meinen Dank und Scheidegruß!

Seit hier, in vorzeitgrauen Tagen, besiegt, der Römeradler sank,
Der Kaiserwall, vom Beil zerschlagen, der Schlacht-Cohorten Herzblut trank,

Seitdem, bald in der Speere Toben, bald in der Kunst, des Wissens Glanz,
Welch’ reiche Blüthen habt gewoben ihr Schwaben in den deutschen Kranz! –

Von hier aus stieg den Staufen-Kaisern ihr Stern bis nach Jerusalem,
Die dicht bekränzt mit Lorbeerreisern sich Harfe, Schwert und Diadem.

Von hier schritt Er, dem sich im Sange Ein Ebenbürt’ger nur gesellt,
Mit des Kothurnschritts Siegesgange von hier schritt Schiller durch die Welt.

Der Schwaben Geist mit muth’gem Segel, er sucht der Forschung letzten Rand:
Viel kühne Weisheit trugen Hegel und Schelling durch das deutsche Land.

Und sieh’, aus diesen Rebgeländen, so friedlich hold, entstammte sie,
Die standhaft starb, das Schwert in Händen, die Heldenschaar von Champigny.

Gedeihe fort, du Land der Schwaben, mit Wald und Seesfluth, Korn und Wein,
Mit deinen trotzgemuthen Knaben und blondgezöpften Mägdelein!

Und droht auf’s Neu’ der Feind dem Reiche, dann schlägt, im Vorstreit ruhmbewährt,
Dann schlägt die alten Schwabenstreiche – werth Meister Uhland’s – euer Schwert!

     Friedrichshafen, 22. August 1876.

Felix Dahn.     




Die steinerne Chronik an der Saale.


Kaum dürfte es eine zweite Stadt in Thüringen geben, die sich neben der Anmuth ihrer Lage in höherem Grade einer historischen Vergangenheit zu rühmen hätte, als die alte Kreis-, Münz- und Bergstadt Saalfeld im Herzogthume Sachsen-Meiningen. Umweht es uns doch inmitten ihrer Mauern wie beim Durchblättern eines alten Stammbuches, wenn verblaßte Schriftzüge die Erinnerung an längst heimgegangene Gestalten wecken, denn überall auf Straßen und Plätzen begegnen wir Zeugen vergangener Zeiten und Geschlechter, die eine gar seltsam ergreifende Sprache in das alltägliche Treiben der Gegenwart hinein reden.

Nicht immer trug Saalfeld den bescheidenen Charakter von heute; zu verschiedenen Malen hat es vielmehr Anlauf zur dauernden Kaiser- und Königsstadt, zur Pfalzgrafen- und Herzogsresidenz, zum Universitätssitz, selbst zu einer Bischofsmetropole genommen, aber zufolge unzureichender Bedingungen ist es stets wieder zu dem zurückgesunken, als was es heute erscheint: Saalfeld ist eine industrielle Provinzialstadt inmitten einer malerischen Umgebung.

Doch jene Zeiten, wo kaiserliche Hofhaltungen hier ihre strahlende Pracht entfalteten und die Stadt zur Metropole für Kunst und Wissenschaft machten, wo in Klöstern, Stiften und Abteien das Mönchthum blühte, oder wilder Kriegslärm in und vor den Mauern tobte, sie alle sind nicht vorübergegangen, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen, und wenn dereinst Dr. Luther beim Anblick der rings von Grün umgebenen Stadt mit ihren rothen Ziegeldächern in den bekannten, ebenso heitern wie treffenden Vergleich ausbrach: „da liegt Saalfeld wie ein gesottener Krebs in Petersilienbrühe,“ so können wir dagegen das Saalfeld von heute mit Fug und Recht einer lebenden Chronik vergleichen, in welcher die Weltgeschichte ihre Spuren mit manchen lesbaren Lettern verzeichnet hat.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_622.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)