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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


gewährt äußerlich mit seinen Erkern, Giebeln, Thürmchen und dem stattlichen Treppenthurm ein ebenso freundliches Bild, wie seine inneren Räume von der großartigen Anlage und Festigkeit der damaligen Baukunst Zeugniß ablegen. – Wollen wir schließlich das Saalfeld der Zukunft vorahnend im Geiste sehen, so gehen wir über die alte Saalbrücke zum neuen Bahnhof hinaus. Hier pulsiren die Adern des modernen Lebens. Schon münden hier zwei Eisenbahnen, die Saalfeld durch das Saalthal und über Gera mit dem großen Weltverkehr verbinden, und nur kurze Zeit wird vergehen, so dehnen diese Eisenstränge sich nach Hof und Coburg im Süden, nach Arnstadt und Erfurt im Norden aus. Schon jetzt, und später erst recht, werden unsere Leser uns verzeihen, daß wir sie mit Bild und Wort schon wieder hinein nach Thüringen geführt haben.

E. Greiner.




Erinnerungen aus dem akademischen Leben.
Nr. 1. Im Frack.


In der alten Musenstadt Tübingen, an dem freundlichen Neckarstrome, war in den zwanziger Jahren, in Folge der bekannten Karlsbader Beschlüsse, die frühere akademische Freiheit aufgehoben worden und an deren Stelle ein strenges Polizeiregiment getreten. Die oberste Gewalt lag in den Händen eines Mannes, der die Oberaufsicht über die ganze Universität mit einer pedantischen Strenge handhabte, die wohl weit über die Absichten der Regierung hinausging. Nicht nur die Studirenden, sondern auch die Lehrer selber ertrugen diesen brutalen Gewaltherrscher nur mit Widerwillen.

Insbesondere wandte sich die väterliche Fürsorge des Schreckensregimentes der Hebung des sehr mangelhaften Collegienbesuches zu und fand die Ursache hiervon in jener schon von den Vätern ererbten Sitte des „Frühmesselns“. Es wurde daher streng verboten, Vormittags eine Kneipe zu besuchen. Das war eine wohlgemeinte Maßregel, aber zugleich ein empfindlicher Schlag für die jugendlichen Gemüther, und gar manchem „alten Hause“, das mit Ehren beim Frühschoppen bemoost und grau geworden war, fiel es sehr schwer, die Frühmesse einzustecken.

So sehen wir denn den Rechtscandidaten Kohlmops in einer kleinen, tief im Herzen der „Gogerei“ versteckten Weinkneipe, hinter einem Schoppen Heurigen und in intimster Beschäftigung mit einem Schweineknöchle begriffen, schon um die zehnte Vormittagsstunde. In der Gogerei aber, dem von Weingärtnern und anderen Handwerksphilistern bewohnten Stadttheile Tübingens, behauptete die Wirthschaft des Metzgers Spath einen gewissen Rang durch die Feinheit oder wenigstens Reinheit des Tranks, sowie durch die urwüchsige Grobheit und den derben Humor des Schweine metzelnden Gastwirths. Zu ihm, dem riesigen Spender des angenehm säuerlichen Frühtrunks und des Schweinernen, welchen beiden Elementen in ihrer Verbindung unfehlbare mageneinrichtende Wirkungen zugeschrieben wurden, hatte sich Kohlmops in ziemlich düsterer, steifbroschirter Stimmung begeben, um den unangenehmen Folgen des gestrigen Trinkgelages mit Energie zu begegnen.

Schon war die anfänglich trübe Weltanschauung desselben durch das Zusammenwirken magenstützenden Vespers und Heiterkeit weckenden Frühtrunks lichter und freundlicher geworden. Bereits brach sich durch die Nebel, die das Hirn anfänglich noch belasteten, ein siegreicher Humor Bahn, der sich nicht ohne Glück an der herculischen Gestalt des weinschenkenden Schweinemetzgers versuchte. Da – im besten Zuge beginnender Heiterkeit – glitt ein Schatten schnell an dem Fenster der ebenerdig gelegenen Trinkstube vorüber: es war ein sogenannter „Hatschier“, mit langem Wurfstocke bewaffnet. Ein scharfer Blick musterte die leere Weinstube und blieb endlich schadenfroh aufleuchtend an der untersetzten Gestalt des ahnungslosen Candidaten hängen.

Der Schatten war vorüber. Kohlmops saß bereits am zweiten Schoppen. Da trat der Hatschier, der inzwischen seine Entdeckung auf dem Polizeiamte gemeldet hatte, unvermuthet zur Thür herein und überreichte unter hämischem Lachen eine Vorladung zu augenblicklichem Erscheinen vor dem königlichen Commissär. Wehmüthig trennte sich Kohlmops von seinem Schoppen. Langsam stieg er die Treppe zum Amtszimmer herauf. Endlich steht er vor dem Gestrengen; sein Herz schlägt lebhaft unter dem Sammetrocke, und ist er auch sonst beherzt und ein heiterer Bursche, so steht ihm doch sein Schicksal in reizloser, beunruhigender Gestalt vor der Seele.

„Herr Studiosus Kohlmops,“ beginnt die pathetische Stimme des Commissärs hinter einem Amtspulte hervor, „Sie sind angezeigt, das Verbot, betreffend den vormittäglichen Besuch von Schenk- und Gastkocalen, übertreten zu haben. Ist dem so?“

„Ja, Euer Gestrengen,“ erwiderte der Student.

„Treten Sie näher! So, nun gut! Aber was seh’ ich? Sie wagen es, in diesem mir so verhaßten Studentencostüme vor meine Augen zu treten, in diesem Sammetrocke, der ein Zeichen demagogischer Gesinnungen ist, hinter welchem eine leichtfertige Jugend Thron und Altar umstürzende Tendenzen birgt und nährt? Wissen Sie nicht, daß man vor mir nur im Fracke zu erscheinen hat?“

Schüchtern wagte Kohlmops die auf Wahrheit beruhende Einwendung, daß er derzeit noch keinen Frack im Vermögen habe. Aufbrausend über den auch in bescheidenen Tone vorgebrachten Einwand donnerte der Polizeigewaltige: „Nehmen Sie einen Frack, woher Sie wollen! Gehen Sie jetzt auf der Stelle und binnen einer halben Stunde haben Sie sich wieder vor mir einzufinden, aber, wohlverstanden! im Fracke, bei Carcer- und Hungerarrest. Wo Sie einen herbekommen, ist mir gleichgültig.“

Ein sehr ungnädiger Wink verabschiedete den verblüfften Musensohn. Niedergeschlagen verließ er die Kanzlei, da er sich sagen mußte: nun hab’ ich auch noch den Zorn des Tyrannen herausgefordert.

Aber nicht lange vermochte diese traurige Vorstellung seinen gesunden, heiteren Sinn zu beherrschen. Schon überlegte er in Gedanken, welcher von den Tanzkränzchen besuchenden Patentfüchsen ihm wohl mit dem ihm unnütz dünkenden Möbel eines Frackes, dieses urwelschen Bekleidungsstückes, aushelfen könne. Da kam ihm eine andere Idee. Ein schelmisches Lächeln zuckte um seinen Mund; sein bemoostes Haupt hob sich und mit elastischem Schritt eilte er dahin. Aber was ist das? „Der geht auf bösen Wegen,“ denkt mancher Vorübergehende, denn Kohlmops strebt unverkennbar auf die vor Kurzem unter so trüben Aussichten verlassene Weinkneipe zu. Hier angekommen, ergreift er mit beiden Händen den Meister Spath an der breiten Brust, und indem er an der Stelle, wo er das Herz des biederen Schweineschlächters vermuthet, einige Male ganz vernehmlich anpocht, ruft er: „Stephan, Du mußt mir helfen. Der Herr Polizeicommissarius können mich nur im Frack brauchen, und ich habe keinen. Fühle doch ein christliches Mitleid mit mir, der ich so manches Knöchle und so manches ‚Tröpfle‘ in Deiner muffigen Gogenwirthschaft zu mir genommen und – unglaublich, aber wahr! – stets baar bezahlt habe. Alte treue Seele, sei mein Freund und leih mir nur auf eine halbe Stunde – Deinen Hochzeitsfrack.“

Sinnend und bedächtig das monumentale Haupt mit dem brutalen und doch eigentlich heimlicherweise gutmüthigen Gesichtsausdruck wiegend, verglich Spath die kurze gedrungene Gestalt des vor ihm stehenden Studiosen mit seiner eigenen respectabeln Körperlänge; er wollte nicht recht daran, so sehr er sonst einen Spaß liebte. Aber ein Scherz mit der hohen Obrigkeit, das ging ihm doch etwas gegen den Mann, wie er sagte. Endlich aber ließ er sich doch erbitten, holte den Hochzeitsfrack aus der Kammer hervor und legte ihn dem Studenten an, dessen untersetzte Figur in dem vorweltlichen Frackungethüm nahezu verschwand. Er war nicht mehr modern nach Schnitt und Façon: denn schon des Schweinemetzgers Vater hatte ihn an seinem Ehrentag getragen. Es war noch eine ehrwürdige Reliquie aus der „guten“ alten Zeit, wo der Zunftzwang und die herrschende Kleiderordnung der guten Stadt Tübingen ihren ehrsamen Metzgermeistern als Fest- und Hochzeitskleid einen Frack

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_625.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)