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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


hat, aber man wird ihm das Nöthige wohl drüben auf dem Gutshofe eingeflüstert haben, wo er mehr verkehrt, als mir lieb ist. Er weiß eben, was der Administrator weiß, und was auch in L. kein Geheimniß mehr ist, daß wir zu den Unseren halten. Ein tieferer Einblick ist ihm so wenig möglich wie den Anderen; danach haben wir unsere Maßregeln genommen. Uebrigens beweist seine ganze bisherige Haltung, daß ihm die Sache vollkommen gleichgültig ist, und sie kann es ihm auch sein, da sie ihn persönlich nicht im Mindesten berührt, in jedem Falle aber besitzt er Anstandsgefühl genug, seine nächsten Blutsverwandten nicht zu compromittiren. Ich habe das erprobt, als es sich um die Entlassung Frank’s handelte; sie war ihm unangenehm – das weiß ich, und doch zögerte er nicht, sich auf meine Seite zu stellen, weil ich bereits zu weit gegangen war, als daß er noch hätte widerrufen können, ohne mich preiszugeben. Ich werde sorgen, daß ihm auch in ernsteren Fällen keine Wahl bleibt, wenn er wirklich einmal Lust zeigen sollte, den Schloßherrn oder den Deutschen herauszukehren.“

„Du willst nicht hören,“ sagte Wanda resignirt. „So mag denn die Zukunft entscheiden, wer von uns Beiden Recht hat. – Jetzt noch eine Bitte, liebe Tante! Du hast wohl nichts dagegen, wenn ich morgen früh nach Hause zurückkehre?“

„So bald schon? Es war ja ausgemacht, daß Dein Vater Dich hier abholen sollte.“

„Ich bin einzig hier geblieben, um eine ungestörte Unterredung mit Dir über diesen Punkt zu haben; sonst hätte mich nichts in Wilicza zurückgehalten. Es war umsonst, wie ich sehe, – also laß mich fort!“

Die Fürstin zuckte die Achseln. „Du weißt, mein Kind, wie gern ich Dich um mich sehe, aber ich gestehe Dir offen, nach dem heutigen Zusammensein bei Tische habe ich nichts gegen Deine beschleunigte Abreise einzuwenden. Du und Waldemar, Ihr wechseltet ja auch nicht eine Silbe miteinander; ich mußte fortwährend den Doctor Fabian in’s Gespräch ziehen, um nur einigermaßen die Pein dieser Stunde zu überwinden; wenn Du Dich bei den doch nun einmal unvermeidlichen Begegnungen nicht mehr beherrschen kannst, so ist es wirklich besser, Du gehst.“

Trotz des sehr ungnädigen Tones, in welchem die Erlaubniß ertheilt wurde, athmete die junge Gräfin doch auf, als sei damit eine Last von ihr genommen.

„So werde ich den Papa benachrichtigen, daß er mich bereits in Rakowicz findet und nicht erst den Umweg über Wilicza zu nehmen braucht,“ sagte sie rasch. „Du erlaubst mir wohl auf einige Minuten Deinen Schreibtisch?“

Die Fürstin machte eine zustimmende Bewegung; diesmal hatte sie in der That nichts gegen die Abreise ihrer Nichte einzuwenden, denn sie war es müde, fortwährend zwischen ihr und Waldemar stehen zu müssen, um eine Scene oder gar einen vollständigen Bruch zu verhüten, mit dem Eigensinn der Beiden ließ sich nun einmal nichts anfangen. Wanda ging in das anstoßende Arbeitscabinet ihrer Tante, das nur eine halbgeöffnete Portière von dem Salon trennte, und setzte sich an den Schreibtisch. Sie hatte jedoch kaum die ersten Worte geschrieben, als ein rasches Oeffnen der Salonthür und ein fester, sicherer Schritt, der sogar auf dem weichen Teppich hörbar wurde, sie innehalten ließ. Gleich darauf ertöne Waldemar’s Stimme nebenan. Langsam legte die Gräfin die Feder nieder; man konnte sie hier im Cabinet unmöglich bemerken, und sie fühlte keine Veranlassung, ihre Gegenwart kund zu thun, sondern verharrte unbeweglich, den Kopf auf den Arm gestützt; es entging ihr kein Wort von dem, was im Salon gesprochen wurde.

Auch die Fürstin sah beim Eintritt ihres Sohnes überrascht auf. Er pflegte sie um diese Zeit niemals aufzusuchen. Waldemar brachte die Abende stets auf seinen eigenen Zimmern zu, in der ausschließlichen Gesellschaft des Doctor Fabian. Heute aber schien ein Ausnahmefall stattzufinden, denn er nahm nach kurzer Begrüßung an der Seite seiner Mutter Platz und begann von der gestrigen Jagd zu sprechen.

Einige Minuten lang drehte sich die Unterhaltung um gleichgültige Dinge. Waldemar hatte ein auf dem Tische liegendes Album mit Aquarellzeichnungen ergriffen und blätterte darin, während die Fürstin sich in die Sophakissen zurücklehnte.

„Hast Du schon gehört, daß Dein Administrator beabsichtigt, selbst Gutsherr zu werden?“ warf sie im Laufe des Gespräches hin. „Er geht ernstlich damit um, sich in der Nachbarschaft anzukaufen. Die Stellung in Wilicza muß doch sehr einträglich gewesen sein, denn so viel ich weiß, besaß Frank kein Vermögen als er hierher kam.“

„Er hat aber zwanzig Jahre lang ein sehr bedeutendes Einkommen gehabt,“ meinte Waldemar, ohne von den Blättern aufzusehen. „Nach der Art, wie sein Haushalt eingerichtet ist, kann er kaum die Hälfte davon verbraucht haben.“

„Und nebenbei wird er auch wohl seinen Vortheil wahrgenommen haben, wo und wie es nur anging. Doch das bei Seite – ich wollte Dich fragen, ob Du schon an einen Ersatz für ihn gedacht hast?“

„Nein.“

„So möchte ich Dir einen Vorschlag machen. Der Pächter von Janowo vermag das Gut nicht mehr zu halten; er ist durch unverschuldete Unglücksfälle zurückgekommen und genöthigt, sich wieder in Abhängigkeit zu begeben. Ich glaube, daß er sich für die Stellung in Wilicza ganz außerordentlich eignen würde.“

„Ich glaube es nicht,“ sagte Waldemar sehr ruhig. „Der Mann ist den ganzen Tag betrunken und hat seine Pachtung durch eigene Schuld und in der unverantwortlichsten Weise zu Grunde gerichtet.“

Die Fürstin biß sich auf die Lippen. „Wer hat Dir das gesagt? Der Administrator jedenfalls.“

Der junge Gutsherr schwieg, während seine Mutter in etwas gereiztem Tone fortfuhr:

„Ich denke begreiflicher Weise nicht daran, Dich in der Wahl Deiner Beamten zu beeinflussen, aber in Deinem eigenen Interesse möchte ich Dich doch warnen, den Verleumdungen Frank’s so unbedingten Glauben zu schenken. Der Pächter ist ihm als Nachfolger unbequem und deshalb intriguirt er gegen ihn.“

„Schwerlich,“ versetzte Waldemar mit derselben Gelassenheit wie vorhin, „denn er weiß bereits, daß ich ihm keinen Nachfolger zu geben gedenke. Für die Details der Wirthschaft genügen die beiden deutschen Inspectoren vollkommen, und was die Oberleitung betrifft, so werde ich sie selbst in die Hand nehmen.“

Die Fürstin stutzte. Es war, als ob ihr etwas plötzlich den Athem raube. „Du selbst?“ wiederholte sie. „Das ist mir neu.“

„Das sollte es doch nicht sein. Es ist ja stets die Rede davon gewesen, daß ich meine Güter einmal selbst übernehmen würde. Der Universitätsbesuch und die Reisen haben das wohl verzögert, aber doch nicht aufgehoben. Die Land- und Forstwirthschaft kenne ich genügend, dafür hat mein Vormund als mein Erzieher gesorgt. Ich werde allerdings einige Mühe haben, mich in die hiesigen Verhältnisse hineinzufinden, aber bis zum Frühjahre bleibt mir ja noch Frank zur Seite.“

Er warf das Alles mit einer Gleichgültigkeit hin, als sage er ganz selbstverständliche Dinge, und schien dabei so vollständig in die Betrachtung einer Aquarellzeichnung vertieft zu sein, daß er die Bestürzung seiner Mutter gar nicht gewahrte. Diese hatte sich aus ihrer nachlässigen Stellung aufgerichtet und sah ihn forschend und unverwandt an, aber sie machte dieselbe Erfahrung wie gestern ihre Nichte – aus diesem Antlitze ließ sich nichts herauslesen.

„Es ist doch seltsam, daß Du nie ein Wort über diesen Entschluß hast fallen lassen,“ bemerkte sie. „Du ließest uns Alle nur an einen kurzen Besuch glauben.“

„Er war auch anfangs beabsichtigt, aber ich sehe, daß den Gütern die Hand des Herrn fehlt. Uebrigens,“ fuhr er nach einer Pause fort, „habe ich mit Dir zu reden, Mutter.“

Er schloß das Buch und warf es auf den Tisch. Jetzt zum ersten Mal kam der Fürstin der Gedanke, der „Instinct“ Wanda’s könne doch richtiger gesehen haben als ihr eigener sonst so untrüglicher Blick; sie sah den Sturm kommen, aber sie war auch sofort bereit, ihm zu begegnen, und der Ausdruck von Entschlossenheit in ihrem Gesichte ließ keinen Zweifel darüber, daß es ein schwerer Kampf sein werde, den der Sohn mit ihr zu bestehen hatte.

„So sprich!“ sagte sie kalt. „Ich höre Dir zu.“

(Fortsetzung folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_646.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)