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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


thaten sich die Juristen noch immer vor allen Anderen durch ganz außerordentliche Sprachmengerei hervor. Der Grammatiker Moscherosch sieht sogar die Kanzleien als die Hauptquelle der Fremdwörterfluth an. Und dabei ist der gute alte Philander von Sittewald durchaus kein Eiferer, und höchst unparteiisch geht er mit der „Latein- und Griechischfresserei der neusüchtigen Deutschlinge“ in’s Gericht. Er darf also wohl als Gewährsmann gelten und hat sicher das Richtige getroffen.

Man müßte nun freilich blind sein, wenn man nicht sehen wollte, daß seit der Zeit, wo Philipp von Zesen[WS 1] die ganze deutsche Sprache in der festen Zuversicht durch die „hochdeutsche heliconische Hechel“ zog, daß alle Fremdworte darin hängen bleiben sollten, Vieles auch auf dem Gebiete der Rechtssprache besser geworden ist. Allein wir werden auch sehen, daß uns noch recht, recht viel zu thun erübrigt. Wir möchten daher unseren Gesetzgebern und Landesvertretern, welche sich in der Kürze mit einer Umgestaltung unseres Rechtswesens zu beschäftigen haben, die Berücksichtigung der Kanzleisprache nach der angedeuteten Richtung hin auf das Angelegentlichste empfehlen.

Sehen wir uns die Ausdrucksweise der namentlich im Verkehre mit dem Publicum gebräuchlichen Formulare über „Mandats-, Bagatell-, Civil-, Injurien-, Exmissions- oder andere Klagen“ einmal etwas genauer an. Verklagter erhält in der Vorladung zu einem Termine die Weisung: „entweder in Person, oder durch einen gehörig legitimirten zur Proceßpraxis bei dem unterzeichneten Gerichte berechtigten Bevollmächtigten zu erscheinen.“ Ist er nun in Person, oder „durch einen Andern erschienen“, so soll er unter Anderem „die etwa erforderlichen ‚Editions- oder Adcitationsgesuche‘ anbringen“, widrigenfalls mit dem „Contumacialverfahren“ gedroht wird. Dennoch stellt sich der Vorgeladene zuweilen nicht, ja selbst der „Comparent“ ist schon zuweilen nicht erschienen, wie es im Protokoll stets zu heißen pflegt, und was so viel bedeutet, als „der Erscheinende erscheint nicht“.

Ein Kläger muß beweisen, daß das „Forum“ für die Klage begründet, der Sitz der Obligation in seinem Departement anzunehmen ist; seine Klage muß substantiirt, sein Legitimationspunkt erwiesen sein. Er muß sich entscheiden, ob er dem Verklagten den Eid deferiren will; er kann argwöhnen, daß Jener den Diffessionseid oder den verschmitzten Eid de ignorantia leistet, wenn er ihn überhaupt acceptirt und nicht refüsirt oder referirt. Ist nun in der Klage eine Cumulation der Art vorhanden, daß die Ansprüche des Klägers auf Geld oder fungible Sachen mit Ansprüchen anderer Art verbunden sind, so wird es die höchste Zeit, sich nach einem Assistenten oder Mandatarius umzusehen, dem noch (falls er durch ein lohnenderes Geschäft abgehalten sein sollte) die Substitutionsbefugniß ertheilt wird. Hat dieser im Audienztermine, vor commissarischer Verhandlung etc. seine Vollmacht producirt und sich zur Proceßpraxis legitimirt, so ist er befugt, für seinen Clienten Restitutionen zu ertheilen, angebotene Interventionsprocesse einzugehen, Gelder aus Depositorien zu nehmen, Arreste zu extrahiren, des Mandanten Vermögen für alle aus Nichtjustification entstehen könnende Schäden als Caution zu bestellen, in allen Instanzen auf Execution, Subhastation, Sequestration, auf Concurs-, Liquidations- und Prioritätsverfahren anzutragen, und endlich – wie der Fuchs mit dem Schwanze die Spur verwischt – die Manualacten zu cassiren. In dem Letzteren hätten wir zugleich eine nette kleine Probe von dem redlichen Bemühen der Herren Justitiarien, den Laien das Verständniß des gerichtlichen Verfahrens zu vermitteln.

Um zu verstehen, was ideeller Antheil, was materielle Verfügung, liquider oder illiquider Klageanspruch, Executionsanträge ohne executorische Titel, eine Verweisung ad separatum, periculum in mora, Agnitions-Resolut und hundert andere Formeln bedeuten, die in der mündlichen und schriftlichen Gerichtspraxis gang und gäbe sind, muß man schon einige philologische oder juristische Bildung besitzen. Was denkt sich wohl ein Bauer oder Tagelöhner, ein Handwerksmann oder gar eine alleinstehende „Unverehelichte“, wenn ihnen notificirt wird, daß in ihrem sistirten Processe unter Vorbehalt der Reassumtion auf Reposition der Acten angetragen werden kann? Was verstehen diese Leute wohl unter inexigiblen Forderungen, unter Insinuations-Documenten und Instrumenten, unter einem concludenten Petitum, Diffamations-, Possessorien-, Spolien-Sachen, Conventions- und Regreßklage, Purifications-Resolutionen etc. etc.? Ein gerichtliches Schriftstück kann ein Mandat, ein Decret, ein Protokoll, ein Manifest, ein Document, Instrument, Recurs, Regreß, oder das Duplicat von dem Allen und der Himmel weiß was sonst noch sein.

Was kann erst aus dem Menschen durch seine Berührung mit dem Gerichte nicht Alles werden! Bald ist er Mandant, Implorant, Implorat, bald Impetrant, Recurrent, Provokant, Provokat, Petent, Legator, Assignat, bald gar Succumbent oder Inculpat, oft nur Expertent, Intervenient, Intervent oder Cointervent.

Ich habe im Vorstehenden nur ein ganz geringes Pröbchen von der Sprachmengerei der gerichtlichen Geschäftssprache zu geben versucht. Die mitgetheilten Beispiele ließen sich ohne große Mühe verzehnfachen, und wem nach mehr gelüstet, dem empfehle ich die etwa tausend Arten Justizformulare, welche in einem preußischen Appellbezirke gebraucht werden, als lohnende Fundgrube.

Was hilft solchen Dunkelheiten gegenüber, wie wir sie oben probeweise mitgetheilt haben, selbst dem Gebildeten sein Wissen? Er muß so gut zum Rechtsanwalte seine Zuflucht nehmen, wie der gemeine Mann, wenn er sicher gehen will. Oder er denkt: „Die Gebühren kannst du sparen“ und schlägt eins jener nützlichen Bücher auf, welche das allgemein gefühlte Bedürfniß nach Aufklärung in Gerichtssachen in’s Leben gerufen hat, etwa den „Rechtsbeistand für den X’schen Staatsbürger“. Schön! Da findet er eine reichliche Auswahl Muster und Beispiele von allerlei Klagen des Kaufmanns Nimmersatt, des Cigarrenhändlers Rauchstengel, des Branntweinbrenners Fusel, der Gastwirthe Kellermann, Kleinglas und Bratwurst und vieler Anderer contra Schuster Crispin Knieriem, Anton Pech und August Pfriem, contra Schneider Bock, Fingerhut und Nähseide, wider den Maler Pinsel, den Färber Sudelmann, den Major Haudegen etc., er erfährt, wie er in dem Concurse des Kaufmanns Hiob Garaus seine Ansprüche vorschriftsmäßig geltend machen muß, und hat er einen Injurienproceß, so kann ihm das Beispiel der Klage des Bengel contra Lümmel zum Vorbilde dienen.

Aber auch diese Bücher können bei aller Ausführlichkeit nur annähernd allen vorkommenden Fällen genügen, und da sie nach amtlichen Vorlagen gearbeitet sind und sein müssen, so können sie nie ganz volksthümlich oder auch nur einigermaßen gemeinverständlich sein. Für Gebildete mag also diese Literatur ganz nützlich sein, doch auch diesen geben sie wenig mehr, als das Muster zu einem Klageantrag.

Nun stelle man sich vor, daß Leute, wie die bei Fritz Reuter mit wunderbarer Naturtreue geschilderten Tagelöhner Krischan Däsel und Johann Päsel, oder selbst wie der Bauer Schwart und der Küster Sur eine solche mit Fremdwörtern gespickte Vorladung. wie wir sie vorhin erwähnt haben, zugesandt bekommen. Ist wohl anzunehmen, daß Verklagte aus den bezeichneten Bevölkerungsschichten, mit denen doch die „Abtheilung für Bagatellsachen“ vorzugsweise zu arbeiten hat, wirklich eine genügend klare Vorstellung von dem bekommen, was alles in der Zuschrift verlangt wird? Wer diese Frage bejaht, giebt sich das unwiderlegbare Zeugniß, daß er die niederen Volksschichten nur von Hörensagen kennt. Sollten nicht viele meiner Leser schon recht oft von ungebildeten um Aufklärung und Lösung derartiger Räthsel angegangen worden sein? Setzen wir nun einmal den Fall, der Empfänger eines gerichtlichen Schriftstückes wohnt auf einem abgelegenen Dörfchen. Der Schullehrer ist vielleicht der einzige Schriftgelehrte im Ort, und man wird zugeben, daß auch dieser, daß selbst ein Geistlicher oder Gutsherr nicht immer die gewünschte Auskunft zu geben im Stande ist oder Lust dazu hat. Und ferner: ist es im besten Falle für einen ohnehin schon bedrängten Verklagten wohl angenehm, einem Fremden einen Einblick in seine Verhältnisse gestatten zu müssen? Viele sonst hochgebildete Nichtjuristen würden wohl nicht im Stande sein, genügende Auskunft darüber zu geben, was Editions- und Adcitationsgesuche sind, von denen doch in einer ganz einfachen Vorladung zu einem Termin gesprochen wird. Sollte daher die Dunkelheit und Unverständlichkeit der Gerichtssprache nicht recht häufig zum mindesten etliche unnöthige Wege, z. B. in die meilenweit entfernte Stadt, in der das Gericht seinen Sitz hat, auch hin und wieder eine falsche Maßnahme, eine Versäumung nothwendiger Schritte und die sich daraus ergebenden Nachtheile zur Folge haben?

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Philander von Zesen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_649.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)