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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


sich bewegte, den Kopf wandte und die feinen Hände ruhen ließ, lag große Anmuth. Die sinnenden, etwas müden Augen verweilten einen Moment auf der sonnbeglänzten Wasserfläche, und senkten sich dann zu der Lindengruppe, welche den Platz nächst dem Hause beschattete. Leiser Lufthauch bewegte die Zweige und ließ die Blätterschatten auf dem hellen Boden tanzen.

Die Einsame wandte sich mit schwachem Seufzer von der Landschaft ab, ließ sich im Sessel nieder und blickte in das Zimmer, wo das junge Mädchen aufräumte und das Bett ordnete – eine voll erblühte, stattliche Gestalt mit lebensfrischen Zügen, herrlichem Blondhaar und lachenden Augen. Ihrer Geschäftigkeit zuzuschauen, war ein Vergnügen; jede Bewegung gelang der flinken Sicherheit, welche vollkommene Gesundheit des Körpers und Geistes zu begleiten pflegt.

„Monika!“

„Gnädiges Fräulein?“

„Reichen Sie mir den Arbeitskorb heraus – danke! Sagen Sie doch, könnte man nachher ein Schiffchen bekommen, um nach Gstad hinüberzurudern? Der Tag ist so schön!“

„Wenn es dem Fräulein gefällig ist, selbst zu rudern, dann schon. So viel ich weiß, ist das Wirthshausschiff nicht bestellt.“

Sie schüttelte den Kopf. „Heute nicht, Papa wird mitfahren.“

„Ei, dann könnte ja der Herr Wilhelm rudern.“

Das Fräulein lachte. „Nicht sein Fall, Monika. Der ist wohl auf dem festen Lande überall zu Hause, auf das Wasser versteht er sich aber schlecht. Wir müssen uns schon nach einem richtigen Schiffer umsehen.“

„Das wird schwer halten,“ sagte das junge Mädchen kopfschüttelnd. „Es ist Markttag in Prien; da haben die Leute drüben zu thun. Wenn das Fräulein Geduld haben mögen, bis ich mit den Zimmern fertig bin, könnte ich nachher laufen und den Vater fragen, ob er Zeit hat, glaub’ es aber schwerlich. Vielleicht kann der Bub’ fahren.“

„Sind Sie von hier zu Hause?“ fragte das Fräulein überrascht.

„Freilich,“ entgegnete Monika, indem sie, das Staubtuch in der Hand, mit ihrer Beschäftigung fortfuhr; „mein Vater ist ja der Wendelfischer, bei dem der Herr Wilhelm immer das Geräucherte für den Herrn General holt. Dort unten steht unser Haus.“

Des Fräuleins Auge kehrte von der malerischen Häusergruppe des Strandes zur Sprecherin zurück. „Aber Sie waren nicht immer auf der Insel? oder doch? Ich meine, Ihre Sprache klingt anders, als die der hiesigen Leute.“

Monika lachte. „Ja, wissen Sie, Fräulein, das hat seine Ursachen. Als ich zwölf Jahre alt war und meine heilige Communion und die Firmung empfangen hatte, kam ich natürlich aus der Schule und sollte etwas verdienen helfen, denn wir sind eher arm als reich. Da hat es meine Mutter, die damals noch lebte, fertig gebracht, daß ich als Spülmädel im Kloster angenommen worden bin, für das Institut, wissen Sie, denn in das eigentliche Kloster darf keine Seele hinein, und kommt auch Niemand heraus, außer den Nonnen, die im Institute Stunden geben. Die haben auf mich Acht gehabt und mich gefragt, ob ich etwas Ordenliches lernen wollte, und weil mir das recht war und auch meinen Leuten, nahmen sie mich alle Nachmittage in die Classe. Sie haben es gar gut mit mir vorgehabt und gemeint, ich konnte selbst eine Klosterfrau und eine Lehrerin werden, wenn ich groß würde. Das gefiel mir prächtig.“

„Es ist aber Nichts daraus geworden?“ sagte das Fräulein lächelnd.

„Nein!“ entgegnete Monika mit offenem Aufblicke, während ihre herrlichen Zähne zwischen den getrennten Lippen blitzten. „Es ist ja keine Sünde, wenn ich es sage – wissen Sie, Fräulein, ich taugte nicht recht dazu, nicht zum Lernen und auch nicht zur Klosterfrau. Wie ich größer wurde, schauerte mich’s bei dem Gedanken, lebenslang immer in dem alten grauen Gemäuer bleiben zu müssen und nie, aber auch gar nie heraus zu dürfen, und dann hab’ ich für die Bücher und die Schreiberei auch kein rechtes Sitzfleisch gehabt. Wenn ich mich nicht rühren darf und springen und singen, dann plustere ich mich auf wie ein Spatz bei Regenwetter. Trotzdem bin ich aber froh, daß ich dort in die Classen gekommen bin; im Winter, wenn wir hier zwischen Schnee und Eis sitzen, freut’s mich und meine Leute, daß ich ihnen Sonntags schöne Geschichten vorlesen und auch daraus mancherlei expliciren kann, so von fremden Ländern und allerlei Sachen, die man nicht weiß, wenn man sie nicht gelernt hat.“

„Und jetzt sind Sie also Zimmermädchen in der Gastwirthschaft?“

„Nicht für gewöhnlich, Fräulein. Nur zur Aushülfe, weil die Gustel, die sonst da ist, zu ihrer kranken Mutter fortgemußt hat. Sie war noch nicht lange fort, als Sie mit dem Herrn General herkamen, und bleibt länger aus, als der Wirthin lieb ist. Kommt so etwas vor, dann helfe ich immer aus, und die Wirthin säh’ es gern, wenn ich ganz da bliebe. Mein Vater will aber nicht, und es ginge auch schwer, denn seit vor zwei Jahren die Mutter gestorben ist, giebt es daheim vollauf für mich zu thun.“

„Nun, wenn Sie heirathen, Monika – und das bleibt wohl nicht lange aus? – dann muß der Vater doch auch zusehen, wie er fertig wird.“

„Heirathen!“ Sie lachte. „Das hat gute Wege. Wer nimmt ein armes Mädchen? Ich kriege nichts mit, als Leinewand und ein bissel Hausrath. Das langt nicht. Jetzt sind ja von den ledigen Burschen ein ganz Theil im Kriege todtgeschossen worden. Und dann mag ich auch nicht Jeden, der allenfalls anfragt.“

„Angefragt wurde also doch?“

Die blauen Augen drückten sich halb zu. „Kein noch so geringes Häfele, es findet doch sein Deckele,“ sagte das Mädchen schelmisch, während sie bereits die Thürklinke erfaßte; „paßt aber der Deckel nicht, dann giebt es Scherben. – Haben das gnädige Fräulein noch etwas zu befehlen?“

Noch vor der Antwort erklang draußen behutsames Klopfen und auf das Zeichen zum Einlasse schritt ein stattlicher Mann durch die Thür, der, als er sich unerwartet Auge in Auge mit Monika sah, welche an ihm vorüber hinausschlüpfte, vor ihr zurückprallte, während über sein gebräuntes Gesicht jähe Röthe fuhr. Er drückte die Thür hinter sich zu, ohne sich weiter nach dem Mädchen umzusehen, und blieb in strammer, beinahe steifer Haltung im Zimmer stehen. Es bedurfte nicht der Uniformsbeinkleider, die er zu einem schlichten grauen Rocke trug, um ihn als Militär zu kennzeichnen; die Art, wie er den Kopf hielt, seine muskelkräftigen Hände und Arme unbeweglich an die Seiten lehne und den dichten Schnurrbart trug, war militärisch durch und durch. Gut geschnittene, aber gewöhnliche Züge, deren bestimmtester Ausdruck Kraft war, ließen nicht erkennen, ob diese Kraft mehr sei, als das Bewußtsein körperlicher Stärke. Er richtete seine ruhigen grauen Augen auf das Fräulein und sagte mit langsamer, sehr deutlicher Betonung: „Der Herr General lassen anfragen, ob Fräulein Valentine einverstanden ist, den Kaffee im Freien zu trinken?“

„Gern,“ antwortete Valentine und erhob sich, indem sie einen Blick auf den Platz hinab warf. „Lassen Sie uns an dem Tische serviren, wo wir zu Mittag speisen! Im Schatten möchte es für Papa zu kühl sein. Ich komme gleich.“

Sie trat in das Zimmer, ihre Schreib-Schatulle zu schließen und eine leichte Hülle über die Schultern zu werfen; dann ging sie hinab. Da noch etwas Zeit vergehen mußte, bis ihr Vater erschien, schritt sie dem Dampfschiffstege zu, um den erweiterten Ausblick auf die Berge zu genießen. Als sie die schmale Brücke betrat, so leichten Fußes, daß ein scharfes Ohr dazu gehörte, ihren Schritt zu vernehmen, wandte ein hochgewachsener Mann, der am äußersten Ende des Steggeländers lehnte, den Kopf, und kam ihr entgegen.

„Guten Morgen, gnädiges Fräulein!“ sagte er, und lüftete den breitkrämpigen Filz. „Sie kommen zur rechten Zeit, um zu schauen, was unsere jungen Leute ‚Stimmung‘ nennen.“

Sie legte ihre Hand in die breite, schöngeformte Rechte, welche sich mit leichtem Drucke um ihre Finger schloß, und sah zu dem Manne auf. Er war alt; das weiße Haar, die Linien, welche das Leben in manche Gesichter so scharf einzeichnet, daß man sich auf den ersten Blick versucht fühlt, dem Räthsel ihres Entstehens nachzusinnen, wurden zum Zeugniß seiner Jahre. In dem feingeschnittenen Profil, dem feurigen Auge, den beredt geschwungenen Lippen des Mannes lag aber so viel Leben, daß es Keinem zum Bewußtsein kam, einem Sechsziger gegenüber zu stehen.

Mit leiser Bewegung der starken, noch dunklen Brauen lenkte er die Aufmerksamkeit seiner Gefährtin auf das Gebirge. Die mächtigen Bergriesen, über welchen die Sonne stand, ruhten in voller Klarheit; nur gleichsam zu ihrem Schmuck hingen zerflatternde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_660.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)