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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


An den norwegischen Küsten wie an denen Großbritanniens, Hollands und Deutschlands erscheint er beinahe zu derselben Zeit in langen Zügen, nimmt jedoch in der Ostsee an Gewicht und innerem Werthe wesentlich ab, sodaß man mit Recht glauben darf, der höhere Salzgehalt und die nährende Kraft des Nordseewassers sage demselben mehr zu, als die geringeren Eigenschaften des von Ebbe und Fluth nicht berührten Wassers des baltischen Beckens.

Bei den Lofoden und in den Meeren des Nordlands wird er von seinen riesigen Treibern und zweifelhaften Schutzmännern, den Walen, in die Buchten gedrängt und festgehalten, während hier in der Ostsee der Seehund die Rolle des Zujägers übernommen. Mit dem eben Gesagten soll aber nicht ausgesprochen werden, daß der Mensch den obengenannten Seethieren die Möglichkeit des Fanges verdanke, denn jedenfalls treibt ein Naturbedürfniß, das mit dem Ablegen des Rogens verknüpft ist, fast alle Fische zu den weitesten Excursionen. Wir wollen dabei an den Salm, Stör und Wels erinnern, die sogar ihr Salzwasser verlassen, um in den Binnengewässern zu laichen. Schon im Monat März, wenn die Strahlen der Sonne die Eisdecke mürbe gemacht, liegt der Häring an unseren Küsten, aber noch weit ab vom Lande; sind aber die Eisgürtel geborsten und mit günstigem Winde abgetrieben, dann beginnt die Zeit des Frühjahrsfanges, der zuerst mit den sogenannten „großen Garnen“ und später mit den „Reusen“ ausgeführt wird. In den ersten Wochen hat ein „Wall“ (vierundachtzig Stück Häringe) noch einen recht ansehnlichen Werth, der sich auf circa drei Mark beziffert; dann geht der „grüne Häring“ auf den schnellen Verkehrsstraßen in die Hände der Kaufleute direct über und paradirt auf den Märkten großer, weit ab vom Wasser gelegener Städte als „Strömling“. Später sinkt der Werth für vierundachtzig Stück oft auf wenige Pfennige herab.

Ist der Tagesbogen, welchen die Sonne beschreibt, höher und länger geworden, dann sieht man den nie ruhenden Erwerbstrieb des Menschen in voller Arbeit. Nach einem von Alters her gebräuchlichen und durch örtliche Verhältnisse bedingten Verfahren werden in bestimmten, ziemlich nahen Entfernungen von einander viele Hunderte von Stangen in den Meeresboden getrieben, die eben erwähnten „Reusen“ (sackförmig zugespitzte Netze) an denselben befestigt, sodaß für den arglosen Schwimmer ein mehrere hundert Fuß breites Hinderniß entsteht, das täglich viele Tausende in sich aufnehmen kann, bis ihm der Mensch seine Last wieder abnimmt. Solch einen Reusenfang sich anzusehen, sollte der Binnenbewohner, wenn er an die Küste gelangt, niemals unterlassen. Hat er Trieb zur Belehrung, so wird er das travestirte Sprüchwort: „Morgenstunde hat Schlaf im Munde“ einmal wenigstens zu überwinden suchen, denn er muß sehr früh aufstehen und sich warm kleiden, wenn er an einem klaren und kalten Morgen seine Kenntnisse bereichern will, um später in der Großstadtkneipe sich damit groß zu thun, daß er oft beim Häringsfange zugegen gewesen, er muß aber auch, nach dem jedenfalls mangelhaften Genusse des Frühtrunks, seetüchtig genug sein, um eine frische Landbrise mit erregtem Wasser aushalten zu können. Hast du, mein Freund, dies überwunden und gelangst du im trefflich geführten Kutter in die Nähe der Reusen, welche schon weithin erkennbar sind, so wird dir zuerst auffallen, daß innerhalb der Pfähle, windabwärts, das Wasser nur eine Kräuselung zeigt, während leichte schaumgekrönte Wellen dein Boot umgeben. Beim Anblicke deiner Begleiter und ihrem Freudenrufe wirst du dann sofort erkennen, daß dieses „krause Wasser“ ein Zeichen von der reichlichen Füllung der Reusen ist.

Alle Hände sind aber auch sofort in voller Thätigkeit, um den von der eben aufgehenden Morgensonne goldig angehauchten Silberschatz zu heben. Von allen Seiten eilen die großen und kleinen Fahrzeuge der Interessenten und Händler herbei, und während die nur wenig zappelnden Häringe, an die Luft gebracht, sofort bewegungslos werden und sterben und sich wie Bäche flüssigen Metalls aus den langen Reusen in den Raum des größten Transportbootes ergießen, wird von den Menschen gefeilscht, gezählt, gejubelt und vor Allem dem „Gotteswort vom Lande“, dem „reinen Korn“, wie hier der vierunddreißig Procent haltende Kartoffelfusel genannt wird, sehr energisch zugesprochen, da ein tüchtiger Fischer nie allein von außen naß werden muß, sondern von Rechtswegen so lange trinken soll, bis er auch von innen nasse Füße bekommt.

Vom Klügsten in der Commune wird endlich der Abschluß mit den Händlern gemacht oder die Bestimmung getroffen, auf welchen Markt des Festlandes dieselbe gebracht werden sollen, um einen höheren als den gebotenen Preis zu erzielen. Unser Nordlandsfischer ist gewöhnlich ein guter Rechner; er traut dem Händler niemals und sagt es diesem mit naivster Offenheit in’s Gesicht. So vergeht eine Stunde nach der anderen. Der Wind springt zu einer frischen Brise um, und schneller, als man gedacht, erreicht man wieder den Strand.

Nun wäre auch ich mit der Darlegung meiner Beobachtungen zu Ende und könnte doch noch so viel von der weiteren Behandlung und Verwerthung des Härings berichten; wenn ich aber das eben Niedergeschriebene übersehe, so bin ich aufgebracht darüber, daß meine Worte so wenig im Stande sein werden, dem Leser die Gefühle zu schildern und den Genuß, der mich immer beseligte, wenn ich am schönen, frischen Morgen mit Peter, Matte, Magnus oder Michel hinaus in die See spritzen konnte; darum möchte ich dir, mein geduldiger Leser, nur zum Schlusse zurufen: Richte mich und dich nicht nach meinen Worten, sondern in diesem besonderen Falle nach meinen Werken, oder, da ich einmal als Bibelhusar herumreite: „Gehe hin und thue desgleichen!

H. N.




Bilder und Skizzen aus Potsdam.
Von Fedor von Köppen.
Mit Originalzeichnungen von Hermann Lüders.


Nie erschöpf’ ich diese Wege;
Nie ergründ’ ich dieses Thal,
Und die altbetretnen Stege
Rühren neu mich jedes Mal;
Oefters, wenn ich selbst mir sage,
Wie der Pfad doch einsam sei,
Streifen hier am lichten Tage
Theure Schatten mir vorbei.

1.

Von jeher ist Potsdam die Lieblingsstadt der preußische Könige und der hohenzollerischen Prinzen gewesen. Der Vorzug, zugleich die zweite Residenzstadt und der Lieblingssitz eines deutschen Kaisers zu sein, ist ihr indessen erst in unserer Zeit geworden, und mit erhöhtem Interesse wenden wir uns jetzt der Stadt und dem freundlichen Sommerschlosse in ihrer Nähe, dem Babelsberge, zu, in welchem der greise Kaiser Wilhelm nach den Anstregungen seines hohen Berufes Erholung und Ruhe findet.

Aehnlich wie das königliche Stadtschloß zu Potsdam uns die Zeit Friedrich Wilhelm’s des Ersten und seiner Wachparade in’s Gedächtniß ruft, Sanssouci durch die Erinnerung an den königlichen Philosophen und seine Tafelrunde verklärt wird, übt in unserer Zeit Schloß Babelsberg als Lieblingsaufenthalt Kaiser Wilhelm’s auf uns seine Anziehungskraft. Schon aus der Ferne winkt über den blauen Wasserspiegel der Havel das im Styl einer normannischen Burg erbaute Schloß mit seinen Erkern, Thürmchen und Zinnen, über denen bei Anwesenheit des Kaisers die Standarte des königlichen Hauses rauscht; weithin sichtbar ist die aus frischem Waldesgrün emporsteigende Warte des „Flatower Thurmes“, der castellartig mitten im künstlichen See gelegen ist, und von nahe und fern strömen die Besucher an den Ruhesitz des deutschen Kaisers. Kein Wachtposten schildert vor dem Eingange; kein Schutzmann wehrt uns die Wanderung und Umschau in den schattigen Gängen des anmuthigen Parkes, welchen der geniale Fürst Pückler-Muskau und der königliche Gartendirector Lenne nach den eigenen Angaben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_668.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)