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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Waldemar trat unmittelbar neben die Fürstin, und seine Hand legte sich schwer auf ihren Arm.

„Meiner Mutter habe ich den Rückzug offen gelassen,“ sagte er bedeutsam. „Der Fürstin Baratowska verbiete ich die Parteiumtriebe auf meinen Gütern. Geschieht es dennoch, treibt Ihr mich zum Aeußersten, nun denn, so schreite ich auch dazu und müßte ich Euch Alle –“

Er hielt plötzlich inne. Die Mutter fühlte, wie er zusammenzuckte, wie seine Hand, die mit so eisernem Drucke die ihrige festhielt, sich auf einmal löste und machtlos niedersank; mit äußerster Befremdung folgte sie der Richtung seines Blickes, der wie gebannt an der Thür des Arbeitscabinetes hing – dort auf der Schwelle stand Wanda. Sie war, unfähig sich länger zurückzuhalten, hervorgetreten, und die heftige Bewegung, mit der dies geschah, hatte ihre Gegenwart verrathen.

Ein Blitz des Triumphes schoß aus den Augen der Fürstin. Endlich war die verwundbare Stelle im Herzen ihres Sohnes gefunden. Wenn er sich auch im nächsten Momente wieder zusammenraffte und starr und unzugänglich dastand wie vorhin, es war zu spät – der eine unbewachte Augenblick hatte ihn verrathen.

„Nun, Waldemar?“ fragte sie, und es vibrirte wie leiser Hohn in ihrer Stimme. „Es verletzt Dich doch nicht, daß Wanda Zeuge unseres Gespräches geworden ist? Es galt ja zum großen Theile auch ihr. Jedenfalls bist Du ihr und mir noch die Fortsetzung schuldig. Du wolltest uns Alle –?“

Waldemar war einen Schritt zurückgetreten. Er stand jetzt im Schatten, sodaß sein Gesicht sich jeder Beobachtung entzog.

„Da Gräfin Morynska Zeuge des Gesprächs war, bedarf es keiner Erklärung; ich habe nichts hinzuzufügen.“ Er wandte sich zu seiner Mutter. „Ich reise morgen in aller Frühe. Du hast acht Tage Zeit, Dich zu entscheiden. Es bleibt dabei.“ Damit verneigte er sich abgemessen wie gewöhnlich vor der jungen Gräfin und ging.

Wanda hatte während der ganzen Zeit auf der Schwelle gestanden, ohne den Salon zu betreten; erst jetzt trat sie vollends ein, und sich ihrer Tante nähernd, fragte sie leise, aber mit eigenthümlich bebendem Tone:

„Glaubst Du mir nun?“

Die Fürstin war in das Sopha zurückgesunken. Ihr Auge haftete noch am der Thür, durch die ihr Sohn sich entfernt hatte, als wolle und könne sie das eben Geschehene nicht fassen.

„Ich habe ihn immer nur nach seinem Vater beurtheilt,“ sagte sie, wie mit sich selber sprechend, „der Irrthum rächt sich schwer an uns Allen. Er hat mir gezeigt daß er – nicht wie sein Vater ist.“

„Er hat Dir wohl noch mehr gezeigt. Du warst stets so stolz darauf, Tante, daß Leo Deine Züge trägt; von Deinem Charakter hat er wenig geerbt – den mußt Du bei seinem Bruder suchen. Das war Deine Energie, die Dir vorhin so drohend gegenüberstand, Dein unbeugsamer Wille; das war sogar Dein Blick und Ton – Waldemar ist Dir ähnlicher, als es Leo je gewesen.“

Es lag etwas in der Stimme der jungen Gräfin, das die Fürstin aufmerksam machte. „Und wer lehrte denn gerade Dich diesen Charakter mit solcher Sicherheit enträthseln?“ fragte sie scharf. „War es Deine Feindseligkeit gegen ihn, die Dich so tief schauen ließ, wo wir Alle getäuscht wurden?“

„Ich weiß es nicht,“ versetzte Wanda, den Blick senkend, „es war wohl mehr Ahnung als Beobachtung, die mich leitete, aber ich wußte es vom ersten Tage an, daß wir in ihm einen Feind hatten.“

„Gleichviel!“ erklärte die Fürstin mit Entschiedenheit. „Er ist und bleibt mein Sohn. Du hast Recht, er hat mir heute zum ersten Male gezeigt, daß er es wirklich ist, aber eben darum wird seine Mutter ihm wohl gewachsen sein.“

„Was willst Du thun?“ fiel Wanda ein.

„Den Kampf aufnehmen, den er mir bietet. Denkst Du, ich werde seinen Drohungen weichen? Wir wollen doch abwarten, ob er wirklich zum Aeußersten schreitet.“

„Er schreitet dazu – verlaß Dich darauf! Rechne nicht auf irgend eine Weichheit oder Nachgiebigkeit bei diesem Manne! Er opfert Dich, Leo, uns Alle schonungslos dem, was ihm Recht heißt.“

Die Fürstin streifte mit einem langen forschenden Blicke das erregte Antlitz ihrer Nichte. „Mich und Leo vielleicht,“ entgegnete sie, „ich kenne aber jetzt die Stelle, wo seine Kraft erlahmt; ich weiß, was er nicht opfert, und es soll meine Sorge sein, ihm das im entscheidenden Augenblicke entgegenzustellen.“

Wanda sah ihre Tante an, ohne sie zu verstehen. Sie hatte nichts weiter bemerkt als Waldemar’s plötzliches Verstummen, das sich natürlich durch ihr unerwartetes Erscheinen genug erklärte, und dann wieder seine starre, abweisende Haltung ihr und der Mutter gegenüber; sie konnte also nicht errathen, wohin diese Worte zielten, und die Fürstin ließ ihr auch keine Zeit, darüber nachzudenken.

„Wir müssen einen Entschluß fassen,“ fuhr sie fort. „Vor allen Dingen muß mein Bruder benachrichtigt werden. Da Waldemar morgen früh abreist, fällt der Grund zu Deiner beschleunigten Rückkehr fort. Du bleibst also und rufst Deinen Vater und Leo unverzüglich nach Wilicza zurück. Was sie auch vorhaben mögen, es handelt sich hier um das Wichtigste. Ich lasse Deinen Brief noch heute durch einen Eilboten abgehen und morgen Abend können sie hier sein.“

Die junge Gräfin gehorchte. Sie kehrte in das Arbeitscabinet zurück und setzte sich wieder an den Schreibtisch, vorläufig noch ohne Ahnung, welche Rolle sie auf einmal in den Plänen ihrer Tante spielte. Die längst abgethane und vergessene „Kinderei“ gewann eine ganz andere Bedeutung, seit man wußte, daß sie eben nicht abgethan und vergessen war, hatte sie doch schon einmal geholfen, die Herrschaft über Wilicza zu erobern. Die Fürstin konnte es ihrem Sohne nicht vergessen, daß er sich so entschieden und beleidigend weigerte, das Blut der Morynski in seinen Adern anzuerkennen. Nun denn, so sollte er dafür an einer Morynska scheitern – wenn es auch nicht seine Mutter war.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


„Das dankbare Vaterland“. Eine Erscheinung, welche ehedem nach großen Kriegen Landstraßen und Marktplätze und die Ecken der Kreuzwege wie eine berechtigte Eigenthümlichkeit besetzt und belagert hielt, die der Kriegs-Krüppel und Invaliden mit der Drehorgel, ist unserem großen „letzten Krieg um den Rhein“ nicht nachgefolgt. Man muß anerkennen, daß im Vergleich mit früheren Zeiten sich auch bei uns in dieser Hinsicht Vieles gebessert hat. Die Mittel dazu waren allerdings vorhanden; der besiegte Gegner hat sie selbst beschaffen müssen, und zwar in noch nie dagewesener Ausgiebigkeit.

Wenn wir den der Zeit nach so kurzen, aber den Kämpfen, Anstrengungen, Opfern an Gesundheit und Leben und weltwichtigen Erfolgen nach so ungeheuren Krieg bedenken, so muß uns der Gedanke wohlthun, daß den unerhörten Leistungen des „Volkes in Waffen“ nun auch die Mittel entsprechen, um den Einzelnen, die Brod oder Gesundheit, und den Familien, die den Ernährer verloren haben, den für das Vaterland erlittenen Verlust nicht zu dauerndem Nachtheil oder gar zum Unglück werden zu lassen.

Im großen Ganzen ist dies gewiß nach Menschenmöglichkeit geschehen. Wenn dennoch Ausnahmen an den Tag treten, deren Klagen bis an die Presse herandringen, so darf man ja wohl wünschen, daß, dem Rechtsgefühle des Volkes zu Liebe, deren Erhörung und Beachtung an rechter Stelle stattfinden möge. Von den der Redaktion der „Gartenlaube“ in den letzten Jahren zugegangenen Hülferufen von Kriegs-Invaliden mögen nur die folgenden drei als Beispiele für alle übrigen Fälle hier dargelegt werden. Namen nennen wir öffentlich nicht, aber befugter Nachfrage stehen sie jeden Augenblick zu Gebote.

Ein Westpreuße war, als Dreijährig-Freiwilliger, 1864 in sein Regiment eingetreten, hatte 1866 als Unterofficier den Feldzug gegen Oesterreich mitgemacht und bei Trautenau, Königsgrätz und Tobitschau mitgekämpft. Er gehörte zu der Schaar, welche bei Trautenau noch am späten Abend, allein den Rückzug des ersten Armeecorps deckend, die wüthenden Bajonnettangriffe der siebenbürgischen Jäger auf die Capellenhöhe zurückschlug, sodaß die tapferen Siebenbürger nicht zu folgen wagten, als der kleine Haufe endlich, die zerschossene Fahne hoch und stolz in der Mitte, langsam den Rückzug über die Aupa antrat. – Unverwundet, nur an Uniform und Ausrüstung die deutlichsten Spuren der feindlichen Geschosse zeigend, war er aus all diesen Kämpfen hervorgegangen, aber im Bivouak vor Olmütz warfen Cholera und später Typhus ihn auf’s Krankenlager, von dem er erst nach Monaten wieder dienstfähig erstand.

Derselbe Mann focht auch 1870 mit, erwarb sich am 14. August vor

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_676.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)