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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


sich einmal merken. Sie können nicht tanzen? Schöne Ausrede! Jeder kann tanzen, der gesunde Füße hat und Lust und Musik dazu. Wollen wir nachher einmal?“

„Wahrhaftig, ich kann nicht,“ betheuerte er, „ich würde Ihnen nur auf die Füße treten, und dann werden Sie böse. Wenn Sie aber statt dessen –“

Er stockte.

„Wenn ich aber –?“

Er richtete die ehrlichen Augen klar auf ihr Gesicht. „Wenn Sie mir statt dem Tanzen die Ehre anthun und zu einem Schoppen mit mir niedersitzen mögen, dann würde ich Ihnen das viel höher anrechnen, Monika,“ sagte er treuherzig. „Ich weiß freilich nicht, ob Sie dazu Lust haben. Bei mir daheim ist so der Brauch; meinen Sie vielleicht, daß es hierorts auffällig wäre, dann will ich nichts gesagt haben – Sie thäten mir aber einen großen Gefallen.“

„Alles, was mit Ehren geschieht, ist überall der Brauch,“ sagte das Mädchen freundlich; „ich tanze nur gerade noch einmal herum, dann komme ich hinein und bringe Ihnen selbst den Schoppen, Herr Wilhelm.“

Sie saßen einander gegenüber, des Tisches Breite zwischen sich. Nur wenige vereinzelte Gäste waren im Zimmer zurückgeblieben. Die Wirthin schlief auf einem Stuhle und nickte wie im Tact mit dem Kopfe. Ohne die vom Gange hereintönende Musik wäre es drinnen ganz stille gewesen. Auch das junge Paar verhielt sich schweigsam.

Monika, hatte, nachdem sie das Bier herbeigebracht und sich niedergesetzt, eine muntere Rede begonnen, war aber mitten im Satze stecken geblieben, als sie dem stillen Blick begegnete, womit ihr Gegenüber sie ansah. Ihr wurde plötzlich zu Muthe, als striche eine weiche Hand über ihr Haar. Sie mußte an ihre todte Mutter denken, und doch war ihr so vogelleicht um das Herz, als könnte sie geradezu in den Himmel fliegen. Sie verstummte und sah vor sich hin. Zum ersten Mal in ihrem Leben wagte sie es nicht, ihr offenes Auge zu dem eines Anderen zu erheben.

„Monika!“

„Herr Wilhelm?“

„Haben Sie gehört, daß wir übermorgen oder spätestens am Mittwoch abreisen?“

Sie machte eine rasche Bewegung und schlug plötzlich die Augen zu ihm auf. Der lachende Schelm, welcher meist darin blitzte, war weit entwichen; ein dringender, feuriger Blick schien ihre Antwort auf seine Frage zu sein. Sie schüttelte den Kopf, ohne ein Wort zu erwidern.

„Der Herr General will nach Hause, und früher hatte ich mich auf die Zeit gefreut, weil ich dann loskomme. Jetzt freue ich mich aber nicht. Wissen Sie, warum?“

„Wie könnte ich das wissen, Herr Wilhelm?“ antwortete sie zögernd, während ihr ein verrätherisches Feuer heiß auf den Wangen brannte.

„Ich glaube doch, Sie wissen es, Monika,“ sagte er beherzter und beugte sich über den Tisch hinweg ihr näher zu. „Monika, ich habe Sie gern. Eigentlich wollte ich fort und nichts sagen, denn was kann ein armer Schlucker meiner Art Ihnen anbieten? Aber, Gott weiß, wie es zugeht – Sie haben es mir angethan; es muß heraus. Mit einem Wort, Monika, mein Hab’ und Gut ist nur gering, aber mir gehören wenigstens ein paar gesunde Arme und eigenes Dach und Fach, und möchten Sie mit dem einfachen Haus und dem einfachen Mann vorlieb nehmen – dann, Monika, wär’ ich glücklicher als alle Kaiser und Könige auf der ganzen Welt.“

Er streckte ihr seine Hand entgegen. Sie saß einige Augenblicke wie verzaubert, ohne sich zu rühren, und schien immer noch zuzuhorchen, als er schon eine ganze Weile aufgehört hatte zu sprechen. Als er mit einem schweren Seufzer seine Hand zurückziehen wollte, kam aber Leben in des Mädchens Gestalt. Sie schlug mit ihrer Rechten ein, und legte, wie zur Bekräftigung, noch ihre Linke auf die festverschlungenen Hände.

„Du willst –“ rief er mir gedämpftem Freudenlaut, dessen warmer Klang Monika bis in das Herz traf.

Ein sonniges Lächeln ging in ihrem jungen Gesicht auf; ihre Augen blitzten durch große Thränen, und die sonst so muthwilligen, heute so stummen Lippen öffneten sich endlich zu einem Worte: „Wilhelm – Wilhelm, ich hab’ Dich lebensgern.“

Da schlug es an der großen Wanduhr Elf. Wie mit einem Ruck wachte die Wirthin auf, rieb sich die Augen, zählte die Schläge und erhob ihre füllreiche Gestalt. Mit kräftiger, wenn auch durch das Schlummerstündchen etwas belegter Stimme rief sie zur Thür hinaus: „Basta! Trollt Euch Alle heim – es ist Schlafenszeit.“


Dem regnerischen Sonntage folgte ein klarer Morgen. Es wurde um die Mittagszeit sehr heiß. Monika war beschäftigt, mit Lisi die Eßtische im Freien zu decken; letztere drehte alle Augenblicke den Kopf nach ihr um; sie kannte doch die Monika, seit Beide mit einander in die Schule gelaufen waren, so wie heute hatte sie aber das Mädel nie gesehen. Sie sprang wie ein Reh zwischen Haus und Terrasse hin und wieder und war dabei wunderlich ungeschickt; erst ließ sie die Bestecke aus den Händen fallen, dann gar einen Teller, was ihr noch nie passirt war. Wundern konnte man sich darüber freilich nicht, denn statt vor sich hinzuschauen, wandte sie die Augen immerfort nach links, dem Wege in’s Dorf zu.

„Was ist denn heut’ mit Dir?“ sagte Lisi neugierig, als Beide im Wirthszimmer neuen Vorrath von Geschirr holten und Monika wie ein steinernes Bild am Schenktische stehen blieb und zum Fenster hinausspähte. „Du bist ja wie verhext.“

Monika fuhr herum und lachte. Auf einmal stellte sie ihren Stoß von Tellern nieder, fiel ihrer Camerädin um den Hals und fing an zu schluchzen.

„Um Gotteswillen, was ist denn?“

„Lisi, es drückt mir das Herz ab, wenn ich es nicht sagen darf. Ich und der Wilhelm, der Herr Wilhelm, wir sind seit gestern Abend ein Paar.“

„Was?!“ rief Lisi verblüfft. „Das ist doch nur Spaß, Mädel. Den steifen Ladstecken hast Du Dir ausgesucht, nachdem Dir allfort Keiner recht war? Geh weg – das kann nicht sein. Wie? Ist’s am Ende doch wahr? Jetzt sag’ ich aber nichts mehr – da hätt’ ich doch eher gemeint, der Himmel fällt ein. Was Dir an Dem gefallen kann, das find’ ich nicht aus.“

„Er hat so gute Augen,“ sagte Monika und lächelte in sich hinein; „ich hab’ ihn gern.“

„Sieh nur zu, daß er Dich auch gern hat,“ meinte Lisi. „Gute Augen? Na, dann hat er Dich besonders angeschaut. Ich weiß freilich nichts davon, denn wenn er nicht seinen Herrgott, den General anguckt – und auch das thut er, als wär’ er dazu commandirt – dann weiß man nie recht, wo er hinschaut. Er macht ja immerfort dasselbige Gesicht, als wär’ ihm Alles einerlei, und will man ein Bischen Spaß mit ihm machen, dann steht er da, wie eine geschnitzte Figur. Den möcht’ ich nicht geschenkt.“

„Er Dich auch nicht,“ sagte Monika, roth vor Verdruß; „und jetzt sei still! Ich hab’ ihn einmal gern, und er wird mein Mann, ob es Dir recht ist oder nicht.“

„Aergere Dich nicht, Monika!“ sagte Lisi gutmüthig; „es ist ja nicht bös gemeint, ich wundere mich nur. Aber jetzt sag’, hat er denn etwas, worauf Ihr heirathen könnt?“

„Freilich; er hat ein Häusle und ein Stückel Feld, ganz schuldenfrei, d’rin im Oberland. Jetzt weißt Du’s und jetzt laß mich in Ruh, und halt’ vorläufig reinen Mund, denn ich hab’ noch nicht einmal mit meinen Leuten davon geredet. Der Wilhelm ist gerad’ jetzt bei meinem Vater und setzt dem die Sach’ auseinander. Nachmittag, wenn Zeit ist, geh’ ich selbst hinunter. Bis dahin darf Keiner was erfahren –“ sie brach ab und trat hastig vom Fenster zurück. Draußen war hinter den Scheiben Wilhelm Huber’s stattliche Figur sichtbar geworden. Er nickte herein; im nächsten Augenblicke war Monika aus dem Zimmer verschwunden. Lisi sah die Beiden eifrig mit einander reden. „Curios!“ sagte sie vor sich hin und schüttelte den Kopf.

Sobald abgegessen war, lief Monika zu ihrem Vater. Des Wendelfischers Haus stand hart am Strande; es war niedrig, seiner Tiefe nach aber ziemlich geräumig. Das graue Schindeldach war mit großen Steinen beschwert; neben der Hausthür lehnte ein in Ruhestand versetzter Heiliger von Stein, dem die Nase abhanden gekommen war und der es sich gefallen lassen mußte, daß sein segnend ausgestreckter Arm jetzt als Träger von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_680.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)