Seite:Die Gartenlaube (1876) 689.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


kein Vorgesetzter das Auge auf sie zu richten scheint; denn der Befehlshaber steht mit ausgestrecktem Esponton vor der Front, das Antlitz dem Schlosse zugewandt. Dort oben aber an einem Fenster des ersten Stockwerkes lüpft sich leise eine Gardine, und ein strenger, prüfender Königsblick gleitet über die Schaar. Einige Minuten später erscheint der König in der etwas abgetragenen Uniform seiner Potsdamer Garde in Begleitung seiner Officiere unten auf dem Paradeplatze und schreitet unter dem Rasseln der Trommeln, die von schwarzen Händen gerührt werden[1] musternd die Glieder entlang.

Das ist die Potsdamer Wachparade; das sind die reckenhaften Vorfahren des heutigen ersten Garde-Regiments zu Fuß,[2] welches seit seiner Stiftung den Hauptbestandtheil der Potsdamer Garnison bildet, und wer heutzutage einem Parademarsche dieses Regiments auf demselben Platze zuschaut, der wird an der stattlichen, sichern Haltung, der geraden Richtung, dem gleichen Schritt und Tritt der Grenadiere noch überlieferte Züge jener Ur-Wachparade erkennen, an deren eigenthümliche Kopftracht auch die bei großen Paraden anstatt der Helme getragene Grenadiermütze erinnert.

Wenn in der Bauart mancher Quartiere sich die seltsame Laune des „Soldatenkönigs“ spiegelt, so sind es zwei große Gebäude in Potsdam, die von seinem frommen Sinne und seiner landesväterlichen Fürsorge zeugen, die Garnisonkirche und das große Militär-Waisenhaus. In dem stattlichen Thurme der Garnisonkirche hängt das berühmte Glockenspiel, welches alle Stunden mit dem Choral (die halben und Viertelstunden mit Präludien und Anklängen) einleitet:

„Ueb’ immer Treu und Redlichkeit
Bis an Dein kühles Grab etc.“

Den Fremden, der aus einer geräuschvollen Großstadt in die fast dörfliche Stille von Potsdam eintritt, werden diese immer wiederkehrenden ernstfeierlichen Klänge vielleicht zur Schwermuth stimmen; der Einheimische möchte sie gewiß ungern missen, und es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß sie für Denjenigen, der sie von Kindheit auf vernommen, eine tiefe Bedeutung für das Leben gewinnen, ist es doch, als ob der Erbauer der Kirche mit jenen Glockenstimmen auch den nachfolgenden Geschlechtern das altpreußische Gefühl für Pflicht und Schuldigkeit in die Seele rufen wollte, das er seinen Unterthanen einzuprägen verstand. –

Während die Bauwerke Friedrich Wilhelm’s des Ersten das Gepräge seines hausväterlichen, auf das Praktische gerichteten Sinnes tragen, erscheinen uns die Schöpfungen seines großen Sohnes noch von dem Glorienscheine seines Genius umgeben. Er war es, der auch hier das Werk seines Vaters fortsetzte und zur Vollendung führte.

Als Friedrich der Zweite zur Regierung kam, schien er unentschieden, wo er seinen Sommersitz wählen solle. Rheinsberg, Neu-Ruppin und Charlottenburg erhoben Ansprüche darauf, die sich gegenseitig die Wage hielten. In der Zeit zwischen dem ersten und zweiten schlesischen Kriege besuchte der König wiederholentlich Potsdam. Die anmuthige Lage des Bornstädter Weinbergs im Westen der Stadt, nahe dem königlichen Küchengarten von Marly, gab endlich den Ausschlag für die Wahl. Mitten im Kriegsgetümmel studirte der König die Baupläne seines Architekten von Knobelsdorff, und von seinem Feldlager in Schlesien aus erließ er die auf den Bau bezüglichen Cabinetsordres und wies die nöthigen Zahlungen an. Am 2. Mai 1747 wurde das neue Sommerpalais eingeweiht und bald darauf bezogen.

Das war die Freistätte des Genius, das „Sanssouci“ des königlichen Weltweisen. Hier suchte König Friedrich im Umgange mit freisinnigen und geistvollen Männern sich über die Wirren und Kämpfe der Zeit, über den Druck der Regierungssorgen hinaus zu der heiteren Geistesfreiheit des Philosophen, Künstlers und Dichters zu erheben; hier veranstaltete er jene Concerte, bei denen er sich selbst als Meister auf der Flöte hören ließ, und hier schrieb er endlich in stiller Zurückgezogenheit die Memoiren zur Geschichte seiner Zeit.

Aber die heiteren Räume veränderten mit der Zeit ihr Aussehen. Das Freundschaftsverhältniß mit Voltaire löste sich frühzeitig; unter den anderen Gefährten der Tafelrunde Friedrich’s räumte der Tod auf. Auch die Flöte lag in seinen letzten Lebensjahren unberührt auf dem Notenpulte, da der Mangel an Zähnen ihm diese Lieblingsbeschäftigung nicht mehr gestattete. Von Schmerzen gequält, ließ der König sich in seinem Sessel hinaustragen auf die obere Terrasse von Sanssouci, sah hinweg über die sprühenden Wasser, die dunkeln Baumgruppen seines Parkes und sandte der untergehenden Sonne seinen Gruß: „Bald werde ich dir näher sein.“ –

Mit ehrfurchtsvoller Scheu betreten wir das Zimmer, in welchem der große König in der Nacht vom 16. zum 17. August 1786 seinen Geist aufgab. Noch ist die Einrichtung fast unverändert erhalten; noch stehen die Zeiger der großen, mit Schildpatt ausgelegten Wanduhr auf demselben Punkte, wo sie im Augenblicke seines Todes (?) stehen blieben (20 Minuten nach 2 Uhr), und es däucht uns selber, als wäre die Sterbestunde soeben erst verronnen und als spürten wir noch das Wehen des Geistes, der ihm bei den Schlußworten seines Testaments die Feder führte:

„Meine letzten Wünsche in dem Augenblicke, wo ich den letzten Hauch von mir gebe, werden für die Glückseligkeit meines Reiches sein. Möge es stets mit Gerechtigkeit, Weisheit und Nachdruck regiert werden, möge es durch die Milde seiner Gesetze der glücklichste, möge es durch ein Heer, das nur nach Ehre und edlem Ruhme strebt, der am tapfersten vertheidigte Staat sein!

O, möge es in höchster Blüthe bis an das Ende der Welt fortdauern!“ –

Beinahe ein Jahrhundert nach der Erbauung des königlichen Lustschlosses Sanssouci schienen die glänzenden Tage seiner ersten Zeit wiederkehren zu wollen. König Friedrich Wilhelm der Vierte, der schon als Kronprinz eine besondere Vorliebe für Sanssouci hatte, beabsichtigte, nach Plänen, die er mit Schinkel, Persius, Hesse und Lenné besprach, hier ein neues Palais im antiken Stil zu erbauen, das durch Großartigkeit und architektonischen Schmuck sich den ersten Bauwerken der Zeit gleichstellen sollte. Er berief Gelehrte und Dichter an seinen Hof, ja, er kaufte ein Haus an dem Ausgange des Parkes nahe dem Obelisken an, um dasselbe zu einem eigenen Dichterpalais einzurichten, in welchem Alexander von Humboldt, Ludwig Tieck, Friedrich Rückert einen heiteren Lebensabend genießen sollten – gleichsam zur Bewahrheitung des classischen Spruches:

„Es soll der Sänger mit dem König gehen;
Sie beide wohnen auf der Menschheit Höhen.“

Aber die großartigen Baupläne blieben größtentheils unausgeführt in der Mappe des Baumeisters; die idealen Bestrebungen des Königs scheiterten auch hier an dem Widerstande der wirklichen Verhältnisse, und in dem Dichterhause genoß allein Tieck während des letzten Jahrzehnts seines Lebens die Gastfreundschaft seines königlichen Gönners.

In Sanssouci, wo er die ersten sonnenhellen Tage seiner Regierungszeit zugebracht, verlebte Friedrich Wilhelm in freudloser Einsamkeit auch die letzten trüben Jahre seines Lebens. Im Herbste 1857 äußerte er bei einem Besuche des Hofpredigers Strauß, dessen Mutter kurz vorher gestorben war: „Ihr Mütterchen ist hinübergegangen – ach, ich sehne mich auch recht nach der Ruhe.“ Wenige Tage darauf ward er von jenem Schlaganfalle getroffen, von dem er sich nicht mehr erholte. Der Widerspruch zwischen der wirklichen Welt und der Welt, wie sie in seinen Ideen sich spiegelte, machte ihm das Leben zu einem unentwirrbaren Räthsel. In traumähnliches Hinbrüten versenkt, sah er die Tage dahinschwinden, während rings im Lande ein neues, frisches Leben sich regte, dem sein Geist bereits abgestorben war.

Am 2. Januar 1861 hauchte König Friedrich Wilhelm der Vierte im Schlosse zu Sanssouci seinen Geist aus. Im Schlaf- und Sterbezimmer Friedrich’s des Großen ward seine Leiche ausgestellt, und der lebhafte Andrang des Volkes zu seinem Sarkophage zeugte von der unveränderten Theilnahme, die es dem Könige bis zuletzt bewahrt hatte.


  1. Die Feldmusik des Leibregiments bestand aus Mohren.
  2. Allerdings nicht direct; denn das Königsregiment wurde bei der Thronbesteigung Friedrich’s des Zweiten aufgelöst und aus dem bisherigen Regimente „Kronprinz“ eine neue Garde gebildet. Auch diese erfuhr unter den nachfolgenden Königen noch manche Umbildungen. Nach dem unglücklichen Kriege von 1806 und 1807 wurde aus den Resten der früheren Garden ein „Regiment Garde zu Fuß (das jetzige „Erste Garde-Regiment zu Fuß“) errichtet.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_689.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)