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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

4.

Einer der freundlichsten Sommerausflüge von Potsdam, obgleich von Fremden nur selten unternommen, ist derjenige nach der Pfaueninsel. An der Langen Brücke besteigen wir in der Morgenfrühe den Nachen. Zu unserer Linken – das ist am rechten Ufer der Havel – gleiten die Häuserreihen der Stadt mit ihren Kehrseiten in mannigfachen Bildern an uns vorüber: hier eine Waschbank, auf der lachende Mägde das Leinenzeug für den Hausbedarf ausspülen, dort ein in den Fluß vorspringender Pavillon, in dem die Familie des Hauseigenthümers ihren Morgenkaffee einnimmt.

Oberhalb Potsdams gelangen wir in die erste, seenartige Erweiterung der Havel. Zur Rechten schaut aus saftigem Waldesgrün, gleich einer Normannenfeste, die Burg Babelsberg hervor; jenseits der Glienicker Brücke begleitet der kunstsinnig gepflegte Park des Prinzen Karl das linke Ufer, während nach Norden hin, in der Richtung auf Spandau, die weite Aussicht über den Jungfernsee sich öffnet.

Auf einer Halbinsel zwischen dem Jungfernsee und der Havel liegt das stille Dörfchen Sacrow mit der säulenumgebenen Basilica am Flußufer, gegenüber die träumerische Bucht Moorlake, von dunkeln Fichten umrahmt, und vor uns taucht inmitten der stillen, weiten Wasserfläche, gleich einem schwimmenden Garten, die Pfaueninsel auf.

Es ist ein überaus lieblicher Aufenthalt, die Insel mit ihren frischen, blumengeschmückten Rasenplätzen, ihren alten, prächtigen Eichen und Buchen. Nichts stört den Frieden in dieser Weltabgeschiedenheit. Nur die Glocke der drüben aus dunkelm Fichtengebüsche hervorschauenden Petri- und Paulskirche in Nikolskoe erinnert uns daran, daß wir uns in der Nähe anderer menschlicher Wohnstätten befinden. Alles athmet eine heitere Ruhe und Sicherheit, die sich unwillkürlich auch dem Gemüthe mittheilt.

Das kleine Schloß auf der Insel ist im Stile eines verfallenen römischen Landhauses erbaut mit zwei ruinenartig abgebrochenen Thürmen, die durch eine freischwebende Brücke verbunden sind. Die innere Einrichtung mit den traulichen Gemächern, deren Fensternischen liebliche Aussichten auf Busch, Hügel und Wasser gewähren, bezeichnet seine Bestimmung für ein stilles, behagliches Familienleben.

Hier war es, auf diesem friedlichen grünen Eilande, wo König Friedrich Wilhelm der Dritte an der Seite seiner unvergeßlichen Gemahlin, der Königin Louise, das höchste Glück des Lebens genoß. Ein unaussprechlicher, poetischer Zauber ruht über der Landschaft, den breiten, duftigen Rasenflächen, den schattigen Ruheplätzen an den Buchten, gleichsam der Nachglanz jenes sonnigen Liebesglückes. Auch durch die großentheils unverändert gebliebene Einrichtung des Schlosses werden wir in Gedanken in jene Zeit zurückversetzt, in welcher die Königin Louise hier verweilte.

Als der Castellan unser lebhaftes Interesse für die zur Erinnerung an ihr Walten hier noch aufbewahrten Gegenstände bemerkte, schloß er in dem ehemaligen Schreibtische der Königin ein Schubfach auf und zeigte uns ein Blatt Papier mit ihrer Handschrift, welches vielleicht nur wenige Fremde gesehen haben. Es enthält nur zwei Worte, aber köstliche, inhaltsreiche Worte, welche einen Blick in das edle Herz der Königin gestatten. Dreimal ist die Feder angesetzt mit den Anfangsbuchstaben des Wortes „Vergessen“, gleichsam als prüfte die Hand, ob sie in Wahrheit niederschreiben dürfe, was das Herz ihr dictirte. Daneben steht mit deutlicher klarer Schrift:

„Vergessen und vergeben“

und das Datum: „Den 15 Juni 1804.“

Die Worte sprechen für sich selbst und bedürfen keiner Erklärung. –

Gern betrachten wir auch ein anderes hier aufbewahrtes Document aus viel späterer Zeit, als König Friedrich Wilhelm der Dritte bereits auf ein Leben, reich an Prüfungen und Kämpfen, auf eine „Zeit mit Unruhe“ zurückblickte. Von dem letzten Geburtstage, den er hier auf der Pfaueninsel verlebte, stammt ein kleines Glückwunschschreiben, dessen Verfasser kein Anderer ist, als der gegenwärtige Kronprinz des deutschen Reiches und von Preußen, Friedrich Wilhelm. Der Inhalt lautet:

„Je vous félicite, mon cher Grand-Papa, pour votre Fête et je souhaite de tout mon coeur que vous vous portiez toujours très-bien.      le 3. août 1838.

Fritz.“ 

Daß die Pfaueninsel auch jetzt noch bei der königlichen Familie beliebt ist, dafür spricht das wohlunterhaltene prächtige Palmenhaus (in Bau genommen 1829), welches Humboldt ein „Denkmal von dem einfachen Naturgefühle des edlen Fürsten“ nennt, sowie der seit wenigen Jahren unter Pflege des königlichen Gartendirectors Jühlke neu aufblühende Rosengarten, auch die Rutschbahn und die Spielplätze, welche öfters von den kronprinzlichen Kindern besucht werden.

An einem so idyllischen Orte überrascht die auf einem Rasenplatze vor dem Schlosse aufgestellte Marmorbüste der Schauspielerin Rachel Felix. Die berühmte Tragödin, welche im Sommer 1854 in Berlin gastirte, sah in der königlichen Einladung, hier in der freien Natur anstatt in dem geweihten Musentempel vor dem Hofe aufzutreten, anfänglich eine Kränkung ihres künstlerischen Stolzes, und der Geheime Hofrath Ludwig Schneider[WS 1] erhielt die schwierige, aber mit Erfolg gekrönte diplomatische Mission, den Widerstand der spröden Künstlerin zu überwinden. Zur Erinnerung an diese Vorstellung wurde die Marmorbüste errichtet.

Um die Mittagszeit fuhren wir nach Sacrow zurück, wo unter den hölzernen Arcaden beim „Doctor Faust“ ein ländliches Mittagsmahl unser wartete. Die landschaftliche Scenerie hatte sich seit den Vormittagsstunden bedeutend verändert. Der Fluß war jetzt von zahlreichen Fahrzeugen belebt, deren Insassen unter Gesang und Zuruf aneinander vorüberzogen. Bald näherte sich von Potsdam her das stark besetzte, mit Laub und Fahnen geschmückte Dampfboot unter Musik dem Ufer und lud eine große Schaar vergnügungslustiger Berliner in Sacrow aus, die nach allen Richtungen die Halbinsel durchstreiften. Wir aber flüchteten in unseren Nachen und traten die Rückfahrt an.

Je mehr wir uns Potsdam näherten, desto stiller ward es. Weiße Schwäne tauchten ihre Flügel in die vom Abendrothe sanft gefärbten Wellen, und über die leisbewegte Wasserfläche hin hallten die feierlichen Klänge des Glockenspiels.

(Schluß folgt.)



Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Im Wohnzimer des Administrators saßen Herr Doctor Fabian und Fräulein Margaretha Frank vor einem aufgeschlagenen Buche. Die französischen Lesestunden hatten nun wirklich ihren Anfang genommen, aber so ernst und gewissenhaft der Lehrer die Sache nahm, so unzuverlässig zeigte sich die Schülerin. Schon in der ersten Stunde, die vor einigen Tagen stattgefunden, hatte sie sich damit amüsirt, den Doctor über alles Mögliche auszufragen, über seine Vergangenheit, seine ehemalige Hauslehrerstellung bei Herrn Nordeck, über das Leben in Altenhof und dergleichen mehr; heute nun wollte sie durchaus wissen, was er eigentlich studire, und trieb den armen Gelehrten, der um keinen Preis seine „Geschichte des Germanenthums“ verrathen wollte, mit ihren Fragen immer mehr in die Enge.

„Aber wollen wir denn nicht endlich die Uebung beginnen, mein Fräulein?“ sagte er bittend. „Auf diese Weise kommen wir auch heute nicht dazu. Sie sprechen fortwährend deutsch.“

„Ach, wer kann jetzt an das Französische denken!“ rief Gretchen, ungeduldig eine Seite des Buches nach der anderen umschlagend. „Ich habe ganz andere Dinge im Kopfe; das Leben in Wilicza ist so aufregend.“


  1. Vorlage: Schneid r
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_692.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)