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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


um die Herrschaft gälte, so hätte sie mich längst schon verlassen; mir galt ihr Bleiben gewiß nicht.“

Wanda gab keine Antwort. Sie wußte, daß er Recht hatte, aber es drängte sich ihr unwillkürlich die Gewißheit auf, daß gerade dieser Mann, der allgemein für so kalt und unempfindlich galt, das Verhältniß zu seiner Mutter mit einer grenzenlos tiefen und schmerzlichen Bitterkeit empfand. In den seltenen Momenten, wo er überhaupt sein Inneres aufschloß, kam er immer wieder darauf zurück. Die Gleichgültigkeit der Mutter gegen ihn und ihre unbegrenzte Liebe zu dem jüngeren Sohne war der Stachel gewesen, der sich schon in die Seele des Knaben gesenkt hatte – der Mann konnte das noch heute nicht verwinden.

Die kurze Waldstrecke lag bereits hinter ihnen, und jetzt, wo die Pferde ihre Schnelligkeit zurückgewannen, tauchte auch bald Rakowicz auf. Waldemar wollte in den Hauptweg einlenken, der dorthin führt, aber Wanda wies nach einer anderen Richtung.

„Ich bitte Sie, mich am Eingange des Dorfes aussteigen zu lassen. Ich gehe die kurze Strecke gern zu Fuß, und Sie bleiben auf dem Wege nach Wilicza.“

Nordeck sah sie einen Moment schweigend an. „Das heißt, Sie wagen es nicht, in meiner Begleitung in Rakowicz zu erscheinen. Freilich, ich vergaß, daß man Ihnen das nie verzeihen würde. Wir sind ja Feinde.“

„Wir sind es durch Ihre Schuld allein,“ erklärte Wanda. „Es zwang Sie Niemand, uns den Gegner zu zeigen. Unser Kampf gilt nicht Ihrem Vaterlande; er wird drüben auf fremdem Boden gekämpft.“

„Und wenn die Ihrigen siegen auf diesem Boden?“ fragte Waldemar langsam und scharf. „Wer kommt dann zunächst an die Reihe?“

Die junge Gräfin schwieg.

(Fortsetzung folgt.)




An den Stätten der Frithjofsage.
Norwegische Landschaftsskizze.


Was bei einem Besuche Norwegens in der Regel unsere Bewunderung zuerst wach ruft, das sind seine ungeheueren Raumverhältnisse. Der Westsaum der schroff in’s Meer abfallenden


Der „Baldersten“ im Sognefjord.
Nach einer Skizze auf Holz übertragen von R. Püttner.


Gebirgsmasse Skandinaviens ist hundert Meilen länger als der äußere Bogen des mitteleuropäischen Alpenlandes von der Riviera di Ponente am Mittelmeere bis hinüber zur Donauniederung bei Wien. Thäler und Höhen, der tief in’s Land eindringende Fjord (Meerbusen), Seen und Flüsse verbreiten sich über Räume, die an Längenausdehnung die im mittleren und südlichen Theile unseres Continentes herrschenden Maße oft weit überbieten. Die Vorstellung hiervon ist bei uns zu Lande noch lange nicht allgemein geläufig. Norwegische Binnenseen, welche dem Genfer- oder Bodensee an Ausdehnung gleichkommen oder sie übertreffen, sind bei uns Vielen kaum dem Namen nach bekannt.

Ueber dreißig Meilen, also in einem Umfange wie etwa von München bis Heidelberg oder von Berlin bis an Rügens Nordküste, schneidet der Sognefjord in die hochaufgerichteten Felsmassen des westlichen Norwegens ein. Das Gulbrandsthal, von Anfang bis zu Ende ein reines Gebirgsthal, erstreckt sich über drei und einen halben Breitengrad in seiner Hauptrichtung von Nordwest nach Südost. Man vergleiche einmal damit das Inn- oder Rhonethal, soweit sie dem Alpenbereiche angehören! Das Bergrevier, welches auf der Süd- und Nordseite dem Sognefjord zugekehrt ist und mit seinen steilen Thalschluchten in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_719.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)