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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


„In Wilicza selbst nichts,“ berichtete Pawlick. „Aber auf der Grenzförsterei –“

„Nun?“

„Es hat dort wieder Plänkeleien mit dem Militär gegeben, wie schon öfter in der letzten Zeit. Der Förster und seine Leute haben den Patrouillen alle möglichen Hindernisse in den Weg gelegt, sie schließlich insultirt – es wäre beinahe zum offenen Kampfe gekommen.“

Ein Ausruf des heftigsten Unwillens entfuhr den Lippen der Fürstin. „Daß der Unverstand dieser Untergebenen doch immer und ewig unsere Pläne durchkreuzen muß! Gerade jetzt, wo Alles daran liegt, die Aufmerksamkeit von der Försterei abzuwenden, fordern sie die Beobachtung förmlich heraus. Habe ich Osiecki nicht befohlen, sich ruhig zu verhalten und auch seine Leute im Zaume zu halten? Es soll sofort ein Bote hinüber und ihm den Befehl nochmals mit aller Strenge einschärfen.“

Wanda war gleichfalls näher getreten. Die Grenzförsterei, die allgemein so genannt wurde, weil sie die letzte auf den Nordeck’schen Gütern war und kaum eine halbe Stunde von der Grenze entfernt lag, schien auch sie lebhaft zu interessiren.

„Herr Nordeck ist uns leider schon zuvorgekommen,“ fuhr Pawlick zögernd fort. „Er hat den Förster schon zweimal warnen und ihm Strafe androhen lassen; auf diesen neuen Vorfall hin schickte er ihm die Weisung, mit seinem ganzen Personale das Forsthaus zu räumen und nach dem von Wilicza überzusiedeln. Vorläufig soll einer der deutschen Inspectoren des Administrators an die Grenze, bis erst Ersatz geschafft ist –“

„Und was that Osiecki?“ unterbrach ihn die Fürstin hastig.

„Er weigerte sich geradezu zu gehorchen und ließ dem Herrn sagen, er sei auf der Grenzförsterei angestellt, und da werde er bleiben – wer ihn daraus vertreiben wolle, der möge es versuchen.“

Die Tragweite des eben berichteten Vorfalls mußte wohl größer sein als es den Anschein hatte. Das verrieth das Gesicht der Fürstin, in dem sich ein unverkennbarer Schrecken ausprägte. Es vergingen einige Secunden, bevor sie antwortete.

„Und was hat mein Sohn beschlossen?“

„Herr Nordeck erklärte, er werde heute Nachmittag selbst hinüberreiten.“

„Allein?“ fiel Wanda ein.

Pawlick zuckte die Achseln. „Der Herr reitet ja stets allein.“

Die Fürstin schien die letzten Worte kaum zu hören – sie fuhr aus ihrem Nachsinnen empor.

„Sorge dafür, Pawlick, daß man sofort anspannt! Du begleitest mich nach Wilicza zurück. Ich muß zur Stelle sein, wenn sich da irgend etwas vorbereitet. Geh!“

Pawlick gehorchte. Kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, als auch schon Gräfin Morynska an der Seite ihrer Tante stand.

„Hast Du es gehört, Tante? Er will nach der Grenzförsterei.“

„Nun ja,“ erwiderte die Fürstin kalt. „Was weiter?“

„Was weiter? Meinst Du, daß Osiecki sich fügen wird?“

„Nein! Er darf es auch unter keiner Bedingung. Seine Försterei ist augenblicklich das Wichtigste für uns, doppelt wichtig für das, was in den nächsten Tagen bevorsteht. Wir müssen dort zuverlässige Leute haben. Die Unsinnigen, uns gerade jetzt diesen Posten zu gefährden!“

„Sie haben ihn uns verloren!“ rief Wanda hastig. „Waldemar wird sich den Gehorsam erzwingen.“

„Das wird er in diesem einen Falle wohl nicht thun,“ versetzte die Fürstin. „Er vermeidet jeden Gewaltact. Ich weiß, daß der Präsident ihn eigens darum gebeten und daß er sein Versprechen gegeben hat. Man fürchtet in L. nichts so sehr als eine Revolte auf diesseitigem Gebiet. Osiecki aber wird und darf nur der Gewalt weichen, und dazu schreitet Waldemar nicht. Du hörst es ja, er will allein hinüber.“

„Was Du doch nicht zugeben wirst?“ fiel die junge Gräfin ein. „Du willst doch nach Wilicza, um ihn zu warnen, ihn zurückzuhalten?“

Die Fürstin sah ihre Nichte groß an. „Was fällt Dir ein? Eine Warnung aus meinem Munde würde Waldemar ja Alles verrathen und ihm sofort die Ueberzeugung geben, daß man auf der Försterei mir gehorcht und nicht ihm. Er würde dann unerbittlich auf der Entfernung Osiecki’s bestehen, die jetzt vielleicht noch zu verhindern ist und die überhaupt verhindert werden muß, koste es was es wolle.“

„Und Du glaubst, Dein Sohn werde es dulden, daß man ihm offen den Gehorsam verweigert? Es ist das erste Mal, daß dergleichen in Wilicza geschieht. Tante, Du weißt es, dieser wilde Mensch, dieser Osiecki ist zu Allem fähig, und seine Leute sind nicht besser als er.“

„Auch Waldemar weiß das,“ versetzte die Fürstin mit vollkommener Ruhe, „und deshalb wird er sich hüten, sie zu reizen. Er hat die Besonnenheit ja jetzt so trefflich gelernt; er läßt sich nie mehr fortreißen, wo er sich wirklich beherrschen will, und seinen Untergebenen gegenüber will er das immer.“ „Sie hassen ihn,“ sagte Wanda mit bebenden Lippen. „Auf dem Wege nach der Grenzförsterei hat ihn schon einmal eine Kugel gefehlt. Die zweite könnte besser treffen.“

Die Fürstin stutzte. „Woher weißt Du das?“

„Einer von unseren Leuten brachte es von Wilicza mit herüber,“ entgegnete Wanda schnell gefaßt.

„Ein Märchen!“ meinte die Fürstin verächtlich. „Wahrscheinlich von dem ängstlichen Doctor Fabian erfunden. Er wird einen harmlosen Schuß im Walde, der irgend einem Wilde galt, für einen Mordanfall auf seinen geliebten Zögling gehalten haben. Er zittert so fortwährend für ihn. Waldemar ist mein Sohn, und das schützt ihn vor jedem Angriff.“

„Wenn die Leidenschaften erst einmal gereizt sind, schützt es ihn nicht mehr,“ rief Wanda, die sich wieder unvorsichtig genug fortreißen ließ. „Du hattest dem Förster auch befohlen, sich ruhig zu verhalten. Du siehst, wie das respectirt wird.“

Die Fürstin richtete das Auge drohend auf ihre Nichte.

„Wäre es nicht besser, Du spartest diese übertriebene Sorge für die Unsrigen auf? Ich dächte, da wäre sie eher am Platze. Du scheinst ganz zu vergessen, daß Leo sich täglich solchen Gefahren aussetzt.“

„Und wenn wir das wüßten, und es läge in unserer Macht, ihn zu retten, wir würden nicht einen Augenblick zögern, an seine Seite zu eilen,“ brach die junge Gräfin leidenschaftlich aus. „Und Leo ist, wo er auch sein mag, immer an der Spitze der Seinigen. Waldemar steht allein gegen jene wilde zügellose Bande, die Du selbst zum Haß gegen ihn gereizt hast und die sich nicht bedenken wird, die Waffen gegen ihren eigenen Herrn zu kehren, wenn er sie herausfordert.“

„Ganz recht, wenn er sie herausfordert. Er wird aber vernünftig genug sein, das nicht zu thun, denn er kennt die Gefahr, und in Zeiten wie die jetzigen spielt man nicht damit. Thut er es dennoch, wagt er trotz alledem einen Gewaltstreich, nun gut – auf sein Haupt die Folgen!“

Wanda bebte leise zusammen vor dem Blicke, der diese Worte begleitete. „Das sagt eine Mutter?“

„Das sagt eine tiefbeleidigte Mutter, die der Sohn auf’s Aeußerste getrieben hat. Zwischen Waldemar und mir giebt es nun einmal keinen Frieden, so lange wir beide auf dem gleichen Boden stehen. Wo ich nur den Fuß hinsetze, da finde ich ihn auf meinem Wege; wo ich einzugreifen versuche, da steht er und wehrt mir. Welche Pläne hat er uns schon durchkreuzt! Was haben wir schon opfern und aufgeben müssen um seinetwillen! Er hat es dahin gebracht, daß wir uns gegenüber stehen wie zwei Todfeinde, er allein – so mag er allein tragen, was diese Feindschaft auf ihn herabzieht.“

Ihre Stimme hatte einen eisigen Klang. Es war auch nicht ein Hauch mehr von Muttergefühl darin, von jener Weichheit, die sich vorhin einen Moment lang geregt hatte. Jetzt sprach nur die Fürstin Baratowska, die nie eine Beleidigung verzieh oder vergaß und die man nicht tödtlicher beleidigen konnte, als wenn man ihr die Herrschaft aus den Händen wand. Waldemar hatte sich dessen schuldig gemacht, und ihm vergab das die Mutter am wenigsten.

Sie war im Begriffe zu gehen, um sich für die Abreise fertig zu machen, als ihr Blick auf Wanda fiel. Diese hatte keine einzige Silbe geantwortet. Sie stand regungslos da, aber ihr Auge begegnete mit so düsterer Entschlossenheit dem der Fürstin, daß die letztere inne hielt.

„Eins möchte ich Dir doch noch in’s Gedächtniß rufen, ehe ich gehe,“ sagte sie, und ihre Hand legte sich schwer auf den Arm ihrer Nichte. „Wenn ich Waldemar nicht warne, so darf es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 733. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_733.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)