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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

den Sohn wohl lieb, aber das Mahnwort: „Geh’ fleißig um mit Deinem Kinde!“ war ihm fremd. Er ließ ihn mit den anderen Bauernkindern in der Schule sitzen, außerdem aber frei aufwachsen. Im Herbste hatte er des Vaters und der Großeltern Kühe auf die Weide zu treiben. Dort sind wir ihm bei seinem Kuhritt zuerst begegnet.

Für eine Dichtererziehung muß diese Kindheit eine glückliche genannt werden, und Schaumberger hat sie mit frischen, offenen Dichteraugen durchlebt. Das beweisen die Kinderscenen in allen seinen Dichtungen. Namentlich das „Hirtenhaus“ giebt von Leid und Lust des Kindesherzens ergreifende Bilder; sie schmücken goldene Seiten dieses Prachtbuchs. Er selbst hat später oft erzählt, daß er viele schöne Stunden besonders in seinem freien Hirtenleben genossen und in der wundervollen Natur auch Manches für den Geist gewonnen habe. Seine farbenreichen Naturschilderungen sind offenbar eine Frucht dieser Zeit. Im Selbststudium war er unermüdlich. Selbst Clavier- und Orgelspielen lernte er für sich, bei nur sehr geringer väterlicher Unterweisung. Diesem Allen drohte mit Heinrich’s Confirmation und dem Ende der Schulzeit ebenfalls ein Ende. Ohne jede Vorsorge für die Weiterbildung des begabten Knaben ließ sein Vater ihn von da an gewöhnliche Knechtsdienste leisten; er mußte jeden Morgen um zwei Uhr an die Arbeit, im Sommer Gras mähen, im Winter dreschen u. dgl. Für Lesen, Schreiben und Musik blieben ihm nur gestohlene Minuten, und doch fallen in diese harte Zeit seine ersten poetischen Versuche in Liedern und Erzählungen. So hatte er das siebenzehnte Jahr erreicht, als man endlich seinem flehenden Drängen nachgab, ihn das Schullehrer-Seminar in Coburg besuchen zu lassen. Er kam dahin mit keinen anderen Kenntnissen und Fertigkeiten, als die er sich selbst heimlich erworben; er konnte nicht einmal orthographisch schreiben. Da galt’s arbeiten. Seine Mitschüler von damals bewundern noch heute seinen Fleiß; seine Staatsprüfung fiel glänzend aus. Jetzt erfüllte ihn die Sehnsucht: wenigstens ein Jahr noch in Jena philosophischen Studien obliegen zu dürfen. Sein heller Geist hatte schon damals den wahren Werth „der unseligen Lehrer-Seminare“ erkannt, „dieser Amphibien unter den Lehranstalten“, wie er sie in seinem „Fritz Reinhardt“ nennt. Er hatte, in der Hoffnung auf die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches, schon mit einigen seiner Seminargenossen Wohnung in Jena bestellt. Aber vergeblich – all’ sein Bitten half nichts: er sollte und mußte fortan selbst sein Brod verdienen, und er that es.

Diesem Dichter durfte aber auch von den Lebensprüfungen keine erspart bleiben. Ostern 1864 erhielt er eine untere Lehrerstelle in Einberg, einem großen Dorfe, das an einem Hügel liegt, welcher das schöne Thal der berühmten „Rosenau“ begrenzt: ein rechter Poetenwinkel. Dennoch war er damals noch mit Leib und Seele nur Lehrer, und das Steckenpferd, das jeder begabte Mensch haben muß, war für ihn die Geographie; er suchte nach einer möglichst nützlichen Unterrichtsweise derselben und wurde dabei sogar ein geschickter Kartenzeichner. Mitten in diese Studien trat ein bildschönes Mädchen, die Tochter eines Lehrers von einem Nachbardorfe. Da kam die Liebe über ihn und machte ihn zum Helden eines kurzen, wonne- und thränenreichen Romans.

Im Juli 1866 sicherte sich Heinrich den Besitz seiner Clara durch die Verlobung. Beide Brautleute waren noch blutjung; sie wollten mit der Hochzeit warten, bis eine bessere Stelle ihnen die Gründung eines Haushalts erleichterte. Es war rührend: so viel kalte Vernunft bei so heißer Liebe! Bald aber kam der Mißwille dazwischen; Clara sollte sich nach einer reichen Partie umsehen und den armen Lehrer laufen lassen. Aber die erst siebenzehnjährige Braut hielt Lieb’ und Treue heilig, ja sie wollte sogar, um den Quälereien der Ihrigen zu entgehen und ihr Treuwort zu retten, einen Dienst auswärts suchen. Das griff dem jungen Bräutigam an’s Herz. Trotz der zweihundertfünfzig Gulden Besoldung mußte es gewagt werden: noch im September desselben Jahres feierte das Paar seine Hochzeit. Sie hielten Flitterwochen der Armuth und waren doch so glücklich. Sie mußten sehr sparsam leben, aber sie waren zufrieden. Schon im folgenden Jahre erhielt Schaumberger eine bessere Lehrerstelle, und im Februar 1868 schenkte Clara ihm ein Söhnchen. Hiermit schloß das Glück. Elf Tage später stand der weinende junge Vater zwischen dem Sarge der Gattin und der Wiege des Kindes.

In hartem Arbeiten und Kämpfen, in Entbehrung und Sorge verging ihm ein Jahr; da starb Ostern 1869 sein Vater, und diesmal führte das Schicksal ihn durch die Trauer zu neuem und zu seinem letzten und schönsten kurzen Glücke. Er ward der Nachfolger seines Vaters in der Schule zu Weißenbrunn, wo sein uraltes Großmütterchen noch lebte und sich noch des Urenkels freuen konnte; als sein Pfarrherr aber begrüßte ihn ein Mann, der den geistigen Werth seines Schullehrers ebenso rasch und klar erkannte, als dieser in seinem Pfarrer den edlen, freisinnigen und humanen Geistlichen, Denker und Dichter verehren lernte. Welche Bedeutung dies für ihn hatte, kann nur ermessen, wer da weiß, daß Schaumberger früher gegen orthodoxe Eingriffe in seine Schulführung schwer zu kämpfen und den Stoff zu seinem „Fritz Reinhardt“ zum Theil selbst erlebt hatte.

Der Pfarrer Oskar Bagge hatte als „Josias Nordheim“ die Volkskreise bereits mit einer Reihe kerngesunder Erzählungen erfreut. Da lag es nahe, daß der jüngere dem ältern Freund auch Proben seiner früheren poetischen Versuche mittheilte und daß er von diesem die herzlichste Aufmunterung zum Weiterschaffen erhielt. So entstanden zuerst die „Bergheimer Musikantengeschichten“, die für uns auch dadurch von besonderem Werthe sind, daß Heinrich Schaumberger mit ihnen zugleich dasjenige Gebiet fand, in dessen Darstellung er eine geradezu klassische Größe erreichte. Den vollen Beweis dafür lieferte gleich seine erste ernste Erzählung „Vater und Sohn“. Am Schluß derselben legt er den Grundgedanken, der ihn fortan bei seinem dichterischen Schaffen leitete, der erquickendsten seiner Gestalten in den Mund, die in allen seinen Werken wieder erscheint: dem „Schulbauer“, in welchem er einen Lehrer, der durch eine glückliche Heirath Landgutsbesitzer geworden ist und, gleich ihm, „mit dem Herzen im Volk und mit dem Kopf darüber“ steht, als ein Mannes-Ideal hinstellt. Dieser sagt am versöhnenden Schluß jenes erhebenden Lebensbildes: „Ja, solche Thaten müssen geschehen, damit die Welt erfährt, was es auch im Bauernstand für tüchtige Menschen giebt, und – das ist am Ende die Hauptsache.“ –

Noch in dem für ihn so hoffnungsgrünen Jahre 1869, als die rauheren Winde des Spätherbstes von den Thüringer Bergen herabwehten, regte sich der mütterliche Todeskeim in der Brust des armen Sohnes. Der Zwang, daß Schaumberger in so jungen Jahren die anstrengende Lehrerthätigkeit beginnen mußte, anstatt erst in Jena Leib und Seele zu kräftigen, die furchtbaren Aufregungen jeder Art und all die allzu frühzeitigen Erfahrungen, die ihn so bald geistig zum gereiften Manne machten, trugen nun ihre Früchte. Das erste Bluthusten stellte sich ein. Er hat es wohl verschwiegen, denn er setzte seine Thätigkeit in der Schule noch ein ganzes Jahr lang fort. Das rächte sich schwer. Als der Winter von 1870 hereinbrach, warfen drei Lungenblutungen ihn auf’s Krankenlager; er mußte einen Vicar für seine Schule halten. Die dadurch gewonnene Ruhe that ihm wohl; er überwand den harten Anfall; desto fleißiger saß er am Schreibtisch, und das Labsal des poetischen Schaffens weckte mit dem nahenden Frühling neue Lebenshoffnung in ihm auf, während im Pfarrhause ihm leise, und immer beseligender der Himmel der Liebe aufging. Er beschloß, gründliche Heilung in Davos zu suchen; vor der Abreise feierte er die Verlobung mit seines Pfarrers und Freundes Tochter Magdalene. – Wer kennt nicht den schönsten Segen protestantischer Pfarrhäuser! Wenn der rechte, vom reinen Hauch der Wissenschaft und Bildung veredelte Luthergeist in ihnen waltete, waren sie stets auch die Schulen der besten Hausfrauen, und Magdalenens Elternhaus „war als eine Stätte nie getrübter Familieneintracht mit tausend Freuden geschmückt“.

Die herrliche Luft von Davos that Wunder. Schaumberger verlebte einen guten Sommer, Herbst und Winter dort, und als der Frühling, besonders nach seiner Heimkehr, wieder neue Leiden brachte, beschloß er die vollständige Uebersiedelung nach Davos. Nachdem er im Mai 1872 Hochzeit gehalten und dann den Umzug vorbereitet hatte, vollbrachte er ihn im August desselben Jahres. Aber die Luft von Davos that nun keine Wunder mehr. – Nur noch ein Jahr und sieben Monate widerstand die Jugendkraft den immer heftigeren und qualvolleren Angriffen der Lungen- und Halskrankheit, die später noch mit Rippenfellentzündungen abwechselten; in dieser ganzen Zeit konnte der Arme kein lautes Wort mehr sprechen und zuletzt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_739.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)