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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

No. 45.   1876.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.


Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.     
Vineta.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Die Grenzförsterei lag, wie schon erwähnt, nur eine halbe Stunde von der Grenze entfernt, mitten in den dichtesten Waldungen Wiliczas. Das ziemlich große und stattliche Forsthaus war von dem verstorbenen Nordeck erbaut worden, der es mit nicht unbedeutenden Kosten hatte aufführen lassen; trotzdem sah es wüst und verfallen aus, denn seit zwanzig Jahren war nicht das Geringste zu seiner Erhaltung geschehen, weder von Seiten der Herrschaft, noch von Seiten der Bewohner. Der jetzige Förster verdankte seine Stellung ausschließlich dem Einflusse der Fürstin Baratowska, die den Tod seines Vorgängers benutzt hatte, um einen ihrer Günstlinge in den Posten einzuschieben. Osiecki hatte ihn schon seit drei Jahren inne, und seine nur allzu häufigen Uebergriffe, wie seine ziemlich nachlässige Verwaltung der ihm anvertrauten Stellung, wurden von der Gebieterin vollständig übersehen, weil diese wußte, daß der Förster ihr persönlich mit Leib und Seele ergeben war und daß sie unter alle Umständen auf ihn rechnen konnte. Im Anfange war Osiecki mit seinem Herrn wenig in Berührung gekommen und hatte sich im Ganzen dessen Anordnungen gefügt. Waldemar selbst kam nur äußerst selten nach der einsamen und abgelegenen Grenzförsterei; erst seit den letzten Wochen hatten die wiederholten Conflicte zwischen den Forstleuten und dem an der Grenze stationirten Militär sein Einschreiten veranlaßt.

Man befand sich noch immer wie mitten im Winter. Der Wald und das Forsthaus lagen tief verschneit im trüben Lichte eines grauen verschleierten Himmels. In dem großen Zimmer des Erdgeschosses befand sich der Förster mit all seinen Leuten, drei oder vier Forstgehülfen und einigen Knechten. Sie hatten sämmtlich die Flinte über die Schulter geworfen und warteten augenscheinlich auf das Erscheinen ihres Gutsherrn, aber nach Gehorsam und einem friedlichen Verlassen der Försterei, wie Waldemar es anbefohlen, sah die Sache nicht aus. Die finsteren trotzigen Gesichter der Leute verhießen nichts Gutes, und das Aussehen des Försters rechtfertigte vollends die Voraussetzung, daß er „zu Allem fähig sei“. Diese Menschen, die tagaus tagein in der Einsamkeit ihrer Wälder lebten, nahmen es schwerlich genau mit dem, was Gesetz und Ordnung von ihnen verlangten, und Osiecki zumal war dafür bekannt, daß er seiner Willkür einen nur allzuweiten Spielraum ließ.

Trotzdem war die Haltung Aller für den Augenblick eine ehrerbietige, denn vor ihnen stand die junge Gräfin Morynska. Sie hatte den Mantel zurückgeworfen, das schöne blasse Antlitz verrieth nichts mehr von den Kämpfen und Qualen, die es noch vor wenig Stunden durchwühlt hatten, nur ein strenger, kalter Ernst lag jetzt darauf.

„Ihr habt uns in eine schlimme Lage gebracht, Osiecki,“ sagte sie. „Ihr solltet dafür sorgen, daß die Försterei möglichst unverdächtig und unbeachtet bliebe. Statt dessen sucht Ihr Streit mit den Patrouillen und gefährdet uns Alle durch Eure Unbesonnenheit. Die Fürstin ist sehr unzufrieden mit Euch; ich komme in ihrem Namen, um Euch nochmals und mit vollstem Nachdruck jeden Gewaltschritt zu verbieten, sei es gegen wen es sei. Für den Augenblick habt Ihr Euch zu fügen. Euer eigenmächtiges Vorgehen hat schon Unheil genug angerichtet.“

Der Vorwurf machte offenbar Eindruck auf den Förster. Er sah zu Boden und in seiner Stimme klang etwas wie Entschuldigung, als er mit einem Gemisch von Trotz und Reue antwortete:

„Es ist nun einmal geschehen. Ich habe meine Leute diesmal nicht halten können und mich selber auch nicht. Die Frau Fürstin und die gnädige Gräfin sollten nur wissen, wie es thut, hier Tag für Tag an der Grenze still zu liegen, während drüben gekämpft wird, die Soldatenwirthschaft mit anzusehen und sich nicht rühren zu dürfen obgleich man die geladene Büchse in der Hand hat. Da reißt schließlich Jedem die Geduld, und uns ist sie vorgestern gerissen. Wüßte ich nicht, daß wir hier nothwendig sind, wir wären allesammt längst drüben bei den Unserigen. Fürst Baratowski steht nur zwei Stunden von der Grenze; der Weg zu ihm ist nicht schwer zu finden.“

„Ihr bleibt!“ entgegnete Wanda mit Entschiedenheit. „Ihr kennt den Befehl meines Vaters. Er will die Försterei unter allen Umständen behauptet wissen, und dazu seid Ihr uns nothwendiger hier, als drüben im Kampfe. Fürst Baratowski hat Leute genug zu seiner Verfügung. Aber jetzt zu der Hauptsache – Herr Nordeck kommt noch heute.“

„Jawohl!“ sagte der Förster höhnisch. „Er will sich selbst Gehorsam schaffen, hat er gesagt. Wir sollen ja nach Wilicza hinüber, wo er uns fortwährend unter Augen hat, wo wir uns nicht rühren können, ohne daß er hinter uns steht und uns auf die Finger sieht – ja, befehlen kann der Nordeck viel, es ist nur die Frage, ob sich in jetziger Zeit noch einer findet, der ihm gehorcht. Er soll nur gleich ein ganzes Regiment Soldaten mitbringen, wenn er uns aus der Försterei treiben will, sonst möchte die Sache schlimm genug ablaufen.“

„Was wollt Ihr damit sagen?“ fragte die junge Gräfin langsam. „Vergeßt Ihr, daß Waldemar Nordeck der Sohn Eurer Herrin ist?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_749.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)