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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


„Fürst Baratowski ist ihr Sohn und unser Herr,“ brach der Förster los. „Und eine Schande ist’s, daß sie und wir Alle diesem Deutschen gehorchen müssen, weil sein Vater sich vor zwanzig Jahren hier eingedrängt hat und mit den Morynskischen Gütern auch gleich eine Gräfin Morynska an sich riß. Es war schon Elend genug, daß sie jahrelang mit diesem Nordeck aushalten mußte, und der Sohn giebt ihr jetzt noch Schlimmeres zu kosten, wir wissen’s ja hinreichend, wie sie mit ihm steht. Wenn sie den auch noch verlöre, sie würde sich wahrhaftig nicht mehr um ihn grämen, als um seinen Vater, und das wäre überhaupt das Beste für die ganze Herrschaft. Dann brauchten die Befehle vom Schloß nicht mehr heimlich zu kommen, dann regierte die Fürstin und unser junger Fürst wäre der Erbe und Herr von Wilicza, wie es sich von Rechtswegen gehört.“

Wanda erbleichte; also so weit hatte es das unglückselige Verhältniß zwischen Mutter und Sohn schon gebracht, daß die Untergebenen kaltblütig erwogen, welche Vortheile der Tod Waldemar’s seinen nächsten Anverwandten bringen würde, daß sie für den äußersten Fall auf die Verzeihung der Fürstin rechneten. Hier galt es mehr zu verhindern, als nur einen Ausbruch augenblicklicher Wuth und Gereiztheit. Wanda sah ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt, aber sie wußte, daß kein Wort, keine Mine ihre innere Angst verrathen durfte. Man respectirte sie hier nur als die Tochter des Grafen Morynski, als die Nichte der Fürstin und glaubte unbedingt, daß sie im Namen der letzteren spreche; errieth man, was sie hierher geführt, so war es zu Ende mit ihrer Autorität und der Möglichkeit, Waldemar zu schützen.

„Wagt es nicht, Euren Herrn anzugreifen!“ sagte sie gebietend, aber so ruhig, als vollziehe sie wirklich nur einen ihr gewordenen Auftrag. „Was auch geschehen mag, die Fürstin will ihren Sohn geschont und gesichert wissen um jeden Preis. Wehe Dem, der sich an ihm vergreift! Er hat das Schlimmste zu gewärtigen. Ihr werdet gehorchen, Osiecki, unbedingt gehorchen; die Herrin erwartet es von Euch. Ihr habt sie schon einmal erzürnt mit Eurem Ungehorsam – versucht es nicht zum zweiten Male!“

Der Förster stieß widerwillig sein Gewehr auf den Boden, und unter den Uebrigen, die bisher schweigend der Unterredung zugehört hatten, gab sich eine unruhige Bewegung kund. Dennoch wagte Keiner zu widersprechen oder auch nur zu murren, es galt ja dem Befehle der Fürstin, die man hier als alleinige Autorität anerkannte, und Wanda hätte jedenfalls ihren Zweck erreicht, wäre es ihr nur vergönnt gewesen, länger auf die Leute einzuwirken. Aber in welcher Eile sie auch gekommen war, sie hatte nur einen Vorsprung von Minuten vor Waldemar gehabt. Soeben fuhr sein Schlitten draußen vor. Aller Blicke richteten sich nach dem Fenster – die junge Gräfin schreckte auf:

„Schon jetzt? Oeffnet mir schnell die Seitenthür, Osiecki! Ihr verrathet mit keiner Silbe meine Anwesenheit! Ich gehe, sobald Herr Nordeck sich entfernt hat.“

Der Förster gehorchte in möglichster Eile. Er wußte, daß die Gräfin Morynska auf keinen Fall hier von dem Gutsherrn gesehen werden durfte, sollte nicht Alles verrathen werden. Wanda trat rasch in einen kleinen halbdunkeln Nebenraum, und unmittelbar hinter ihr schloß sich die Thür wieder.

Es war die höchste Zeit gewesen – zwei Minuten später erschien Waldemar im Zimmer. Er blieb auf der Schwelle stehen und überflog mit einem langen, festen Blicke den Kreis der Forstleute, die sich um ihren Förster geschaart und die Büchsen in die Hand genommen hatten. Der Anblick war nicht sehr ermuthigend für den jungen Gutsherrn, der allein kam, ohne jede Begleitung, um seine widerspenstigen Untergebenen zum Gehorsam zu bringen, aber seine Miene blieb völlig unbewegt, und genau ebenso klang seine Stimme, als er sich an den Förster wandte: „Ich habe Euch meine Ankunft nicht ansagen lassen, Osiecki. Ihr scheint trotzdem darauf vorbereitet zu sein.“

„Jawohl, Herr Nordeck,“ lautete die lakonische Antwort. „Wir warteten auf Sie.“

„Bewaffnet? Und in dieser Haltung? Was sollen die Büchsen in Euren Händen? Setzt sie nieder!“

Die Mahnung der Gräfin Morynska mußte doch wohl gefruchtet haben, denn man gehorchte. Der Förster war der Erste, der seine Büchse bei Seite stellte, allerdings nicht weiter, als daß er sie mit der Hand erreichen konnte, und die Uebrigen folgten seinem Beispiele. Waldemar trat jetzt in die Mitte des Zimmers.

„Ich komme, Osiecki, um von Euch Aufschluß über einen Irrthum zu verlangen, der gestern vorgefallen ist,“ begann er wieder. „Mein Befehl konnte nicht mißverstanden werden. Ich sandte ihn Euch schriftlich, der Bote dagegen muß Eure Antwort nicht verstanden haben. Was habt Ihr ihm eigentlich aufgetragen, mir zu melden?“

Das hieß nun freilich gerade auf das Ziel losgehen. Die kurze bestimmte Frage ließ kein Ausweichen zu; sie forderte eine ebenso bestimmte Antwort. Dennoch zögerte der Förster damit – er hatte doch wohl nicht den Muth, das, was er gestern dem Boten aufgetragen, seinem Herrn in’s Antlitz zu wiederholen.

„Ich bin der Grenzförster,“ sagte er endlich, „und meine, daß ich das bleiben werde, so lange ich überhaupt in Ihren Diensten bin, Herr Nordeck. Ich habe einzustehen für meine Försterei, und also muß ich auch allein das Regiment hier führen und kein Anderer.“

„Ihr habt aber gezeigt, daß Ihr nicht mehr fähig seid, das Regiment zu führen,“ entgegnete Waldemar ernst. „Entweder Ihr könnt oder Ihr wollt Eure Leute nicht im Zaume halten. Ich habe Euch wiederholt gewarnt, als die beiden ersten Excesse vorfielen; der vorgestrige war der dritte, und es wird auch der letzte sein.“

„Ich kann meine Leute nicht halten, wenn sie in einer Zeit wie die jetzige mit den Patrouillen zusammen gerathen,“ erklärte der Förster mit aufflammendem Trotze. „Ich habe da auch keine Autorität mehr.“

„Eben deshalb sollt Ihr nach Wilicza – da werde ich die nöthige Autorität herleihen, wenn sie etwa fehlen sollte.“

„Und meine Försterei?“

„Bleibt vorläufig unter der Aufsicht des Inspectors Fellner, bis der neue Förster eintrifft, der ursprünglich für Wilicza bestimmt war. Er wird es sich gefallen lassen müssen, für’s Erste Euern Posten hier einzunehmen. Ihr selbst bleibt in der Schloßförsterei, bis drüben im Lande wieder Ruhe ist.“

Osiecki lachte höhnisch auf. „Das kann lange dauern.“

„Vielleicht nicht so lange, wie Ihr glaubt. In jedem Falle habt Ihr die Försterei morgen zu räumen.“

Unter den Forstleuten zeigte sich eine einigermaßen bedenkliche Bewegung bei diesem mit voller Entschiedenheit wiederholten Befehle, und der Förster fuhr zornig auf: „Herr Nordeck!“

„Nun?“

„Ich habe schon gestern erklärt –“

„Ich hoffe, Ihr werdet Euch inzwischen besonnen haben,“ unterbrach ihn Waldemar, „und mir heute erklären, daß der Bote Euch nicht verstanden hat, als er mir eine ganz unmögliche Antwort zurückbrachte. Nehmt Euch in Acht, Osiecki! Ich dächte, Ihr kenntet mich doch jetzt hinreichend.“

„Ja wahrhaftig!“ stieß der Förster zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. „Sie haben dafür gesorgt, daß man Sie kennt in ganz Wilicza.“

„Dann wißt Ihr also, daß ich mir den Gehorsam nicht verweigern lasse und daß ich einen einmal gegebenen Befehl nicht zurücknehme. Das Forsthaus von Wilicza ist augenblicklich leer – entweder Ihr seid morgen Mittag mit Eurem ganzen Personale dort, oder Ihr seid entlassen.“

Jetzt wurde ein drohendes Murren laut. Die Leute drängten sich dichter zusammen; ihre Mienen und ihre Haltung verriethen, daß sie nur noch mit Mühe an sich hielten. Osiecki trat dicht vor seinen Gutsherrn hin.

„Oho, das geht nicht so ohne Weiteres,“ rief er. „Ich bin kein Lohnarbeiter, den man heute annimmt und morgen entläßt. Sie können mir meine Stellung kündigen, wenn es Ihnen beliebt, bis zum Herbste aber habe ich das Recht, hier zu bleiben, und meine Leute, die ich in Dienst genommen habe, gleichfalls. Mein Revier ist die Grenzförsterei – ein anderes will ich nicht, und ein anderes nehme ich nicht, und wer mich daraus vertreiben will, dem wird es übel bekommen.“

„Ihr irrt,“ versetzte Waldemar. „Die Försterei ist mein Eigenthum, und der Förster hat sich meinen Anordnungen zu fügen. Pocht nicht auf ein Recht, dessen Ihr Euch selbst verlustig gemacht habt! Was Eure Leute da vorgestern unter Eurer Anführung anstifteten, verdient von Rechtswegen eine

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