Seite:Die Gartenlaube (1876) 766.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Morynska?“ fiel der Assessor mit einem solchen Triumphe ein, als habe er soeben einen Angeklagten des in Rede stehenden Verbrechers überführt. „Was hatte die Gräfin auf der Försterei zu thun, die zwei Stunden von Rakowicz entfernt liegt und zu Wilicza gehört? Man kennt ja die Rolle, welche sie und die Fürstin bei der ganzen Bewegung spielen. Die Frauen sind bei diesem Volke die Allergefährlichsten. Alles wissen sie, Alles leiten sie; das ganze politische Intriguennetz liegt in ihren Händen, und Gräfin Morynska ist die echte Tochter ihres Vaters, die gelehrige Schülerin ihrer Tante. Ihre Anwesenheit auf der Försterei beweist sonnenklar die Verschwörung. Sie haßt ihren Vetter mit dem ganzen Fanatismus ihres Volkes – sie allein hat den meuchlerischen Ueberfall geplant. Darum stand sie auf einmal, wie aus der Erde gewachsen, mitten in dem Tumulte; darum versuchte sie Herrn Nordeck die Waffe zu entreißen, als er auf Osiecki anlegte, und hetzte diesen und seine Leute bis zum Mordversuche gegen ihren Herrn. Aber dieser Waldemar ist doch großartig. Nicht allein, daß er den ganzen Aufruhr niederzwang, er versicherte sich auch der Anstifterin und brachte sie mit Gewalt nach Wilicza. Trotz all’ ihres Sträubens hat er seine verrätherische Cousine aus der Mitte ihrer Anhänger gerissen, sie in den Schlitten gehoben und ist mit ihr davongejagt, als gelte es Tod und Leben. Denken Sie, er hat sie während der ganzen Fahrt keines Wortes gewürdigt, nicht eine Silbe sprachen sie miteinander, aber ihre Hand hat er nicht einen einzigen Augenblick losgelassen, um jeden Fluchtversuch zu hindern. Ich weiß das Alles genau – ich habe den Kutscher darüber sehr ausführlich vernommen –“

„Jawohl, Sie haben ihn drei Stunden lang hintereinander vernommen,“ unterbrach ihn der Administrator ärgerlich, „bis der arme Mensch ganz wirr im Kopfe war und zu Allem Ja sagte. Er hat von seinem Standpunkte draußen am Fenster gar keine Einzelheiten unterscheiden können und nichts gesehen als einen wilden Tumult, in dessen Mitte sich der Herr und die junge Gräfin befanden. Gleich darauf fielen die beiden Schüsse, und da ist der Kutscher eingestandenermaßen in aller Angst zu seinen Pferden zurückgelaufen – alles Uebrige haben Sie ihm in den Mund gelegt. Nur die Aussage des Herrn Nordeck ist von Gewicht.“

Der Assessor sah sehr beleidigt aus und hatte nicht übel Lust, das Polizeidepartement von L. herauszukehren, dessen Verfahren in dem seinigen so unerhört mißachtet und kritisirt wurde, aber er besann sich noch zu rechter Zeit, daß es ja der künftige Schwiegervater sei, der sich diese Zurechtweisung erlaubte, und dem mußte man dergleichen schon hingehen lassen, wenn es auch beklagenswerth blieb, daß er nicht mehr Respect vor der amtlichen Unfehlbarkeit seines künftigen Schwiegersohnes hegte. Dieser verschluckte also seinen Aerger und entgegnete in gereiztem Tone:

„Herr Nordeck benimmt sich, wie gewöhnlich, sehr souverain. Er machte mir die Anzeige so lakonisch wie möglich, ohne alle Einzelheiten, und verweigerte mir ohne Weiteres das Zeugniß der Gräfin Morynska, die ich gleichfalls zu vernehmen wünschte, unter dem Vorwande, daß seine Cousine sich unwohl befinde. Dabei giebt er Befehle, trifft Anordnungen, als ob ich gar nicht da wäre, und thut überhaupt, als habe kein Mensch außer ihm ein Wort in der Sache zu reden, die er am liebsten ganz und gar der Oeffentlichkeit entziehen möchte. – ‚Herr Nordeck,‘ sagte ich zu ihm, ‚Sie täuschen sich vollständig, wenn Sie jenen Vorfall nur für den Ausbruch eines Privathasses ansehen; die Sache liegt weit tiefer, und ich durchschaue sie. Es war ein planmäßig vorbereiteter Aufruhr, eine zu früh ausgebrochene Verschwörung, die sich allerdings in erster Linie gegen Sie richtete, aber jedenfalls weitere Zwecke hatte. Sie galt der Ordnung, dem Gesetz, der Regierung. Wir müssen untersuchen, müssen unsere Maßregeln nehmen.‘ – Wissen Sie, was er mir zur Antwort gab? – ‚Herr Assessor, Sie täuschen sich vollständig, wenn Sie die Gewaltthat eines rohen Menschen gegen mich zu einer Haupt- und Staatsverschwörung stempeln. Jedenfalls ist Ihre Untersuchung durch das Entweichen des Forstpersonals gegenstandslos geworden, und Sie wären bei dem gänzlichen Mangel an Verschwörern und Hochverräthern am Ende genöthigt, wieder auf mich und Doctor Fabian zurückzugreifen, wie dies schon einmal geschah. Es ist also nur in Ihrem eigenen Interesse, wenn ich Sie bitte, Ihren Amtseifer zu mäßigen. Ich habe Ihnen das nöthige Material zu Ihren Berichten in L. gegeben, und wegen der Gefahr für Ordnung und Gesetz hier in Wilicza brauchen Sie nicht zu sorgen. Ich denke ihr noch allein gewachsen zu sein.‘ Damit machte er mir eine kalte, vornehme und unglaublich hochmüthige Verbeugung und – ließ mich stehen.“

Der Administrator lachte. „Das hat er von seiner Mutter. Ich kenne diese Manier noch von der Fürstin Baratowska her; sie hat mich oft genug zur Verzweiflung gebracht. Dagegen hilft kein Aerger und kein Bewußtsein des guten Rechtes. Es ist eine eigene Art von Ueberlegenheit, die trotz alledem imponirt, und die zum Beispiel Fürst Leo gar nicht besitzt. Der läßt sich bei jeder Gelegenheit zur Heftigkeit fortreißen, nur der älteste Sohn hat diesen Zug geerbt – es ist in solchen Momenten, als ob man die Mutter selbst sähe und hörte, so wenig er ihr auch sonst gleicht. In einem aber hat Herr Nordeck Recht: mäßigen Sie Ihren Amtseifer! Er brachte Sie schon einmal in Unannehmlichkeiten.“

„Das ist mein Schicksal,“ sagte der Assessor resignirt. „Mit den edelsten Zwecken, mit allgemeiner Hingebung und meinem glühenden Eifer für das Wohl des Staates ernte ich doch nur Undank, Verkennung, Zurücksetzung. Ich bleibe dabei, es war eine Verschwörung, endlich hatte ich eine, und nun gleitet sie mir wieder aus den Händen. Osiecki ist todt; seine Leute sind auf und davon; von der Gräfin Morynska werden keine Geständnisse zu erlangen sein – ich kann nur einen einfachen Bericht machen, nichts weiter. Wäre ich wenigstens gestern mit auf der Försterei gewesen! Heute Morgen war sie leer. Es ist mein Geschick, überall zu spät zu kommen.“

Der Administrator räusperte sich sehr vernehmlich. Er gedachte die ohnehin elegische Stimmung Hubert’s zu benutzen, um das Gespräch auf dessen Bewerbung zu bringen, und ihm rund heraus zu erklären, daß er sich keine Hoffnungen auf die Hand seiner Tochter machen dürfe. Gretchen hatte sich in der That nicht besonnen, sondern war bei ihrem Nein geblieben und ihr Vater stand eben im Begriff, dem Freier diese betrübende Eröffnung zu machen, als der Kutscher Waldemar’s, der diesen und die Gräfin Morynska gestern gefahren hatte und seitdem Gegenstand der unausgesetzten Vernehmungen des Assessors gewesen war, mit einem Auftrage seines Herrn erschien.

Jetzt war es vorbei mit der Resignation Hubert’s, aber auch mit seiner Aufmerksamkeit für andere Dinge. Er vergaß Verkennung und Zurücksetzung, besann sich auf der Stelle, daß er noch einige sehr wichtige Fragen an den Kutscher zu thun habe, und nahm ihn, trotz aller Proteste Frank’s, mit sich auf sein Zimmer, um dort die Vernehmung mit frischen Kräften fortzusetzen.

Der Administrator schüttelte den Kopf. Er begann sich jetzt auch der Ansicht zuzuneigen, daß etwas Krankhaftes in dem Wesen des Assessors liege, und fing an zu begreifen, daß seine Tochter nicht so Unrecht hatte, wenn sie einen solchen Bewerber ausschlug, dessen wüthender Amtseifer so wenig zu mäßigen war, wie man ihn von seiner fixen Idee hinsichtlich der überall bestehenden Verschwörungen abbringen konnte.

In diesem Augenblicke jedoch folgte Gretchen nur dem Beispiele des Assessors; sie inquirirte gleichfalls sehr scharf und eingehend, und zwar war es Doctor Fabian, der drüben im Wohnzimmer vor ihr saß und in aller Form vernommen wurde. Er hatte ausführlich berichten müssen, was er selber über den gestrigen Vorgang von Herrn Nordeck erfahren; das war aber leider nicht mehr, als man bereits im Hause des Administrators wußte. Waldemar hatte dem Doctor, wie allen Uebrigen, auch nur die Thatsachen mitgetheilt und über Manches, so zum Beispiel über die Betheiligung der Gräfin Morynska daran, ein vollständiges Schweigen beobachtet. Das war nun aber gerade der Punkt, über welchen Gretchen Frank in’s Klare zu kommen wünschte. Die Behauptung des Assessors, daß die junge Gräfin ihren Vetter so glühend hasse, daß sie sogar den Ueberfall auf der Försterei geplant, wollte ihr nicht recht einleuchten; sie ahnte mit echt weiblichem Instinct eine ganz andere geheime Beziehung zwischen den Beiden und wurde sehr ungehalten, als sie so gar nichts Näheres darüber erfahren konnte.

„Sie verstehen Ihren Einfluß gar nicht zu benutzen, Herr Doctor,“ sagte sie vorwurfsvoll. „Wenn ich der Freund und Vertraute des Herrn Nordeck wäre, ich wüßte besser in seinen Angelegenheiten Bescheid. Jede Kleinigkeit müßte er mir beichten; ich hätte ihn gleich von Anfang an daran gewöhnt.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_766.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)