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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


des Garderobeschneiders, der zugleich Billeteur, Lampenanzünder und Zettelträger war und in seinen wenigen Mußestunden Pferde in die Schwemme ritt. Sättel und Zaumzeug, beflitterte Decken, Tambourins, bunte Reifen und tausenderlei Gegenstände, für deren Bezeichnung dem Laien der technische Ausdruck entschieden mangelte, lagen im friedlichen Chaos durcheinander. Ein paar vierfüßige Eleven empfingen von einem etwa achtjährigen weiblichen Lehrmeister den ersten Unterricht in der Kunst des Marschirens auf den Hinterbeinen; Caro „machte sich“ bereits, wohingegen Bello den rechten Ernst für die Sache nicht mitgebracht zu haben schien und sich mehrfachen Verbal- und Real-Ermahnungen aussetzte. Lieber Gott! er ist noch jung, der Bello; er hat noch so wenig vom Hundeleben genossen, und außerdem, wie ich erst nachträglich bemerkte, erlaubt sich ein etwas lebhafter Mandrill heimlich die unziemlichsten Allotria mit seinem, des Bello, Wedel; wer soll unter solchen Umständen Sinn für die Wissenschaft haben?!

„Ist das nicht,“ fragte ich, zu dem alten Oekonomen gewendet, welcher die an Pflöcken angebundenen Rosse mit Kennermiene gemustert und von einzelnen „echt englischen Vollbluthengsten“ den mecklenburgischen Geburtsort mit apodiktischer Sicherheit angegeben hatte, „ist das nicht unser alter Freund Maulesel, der Weise, der im vorigen Pfingstmarkt sich den ungetheilten Beifall der Menge, aber die Todfeindschaft der dicken Köchin aus der ‚Sonne‘ zuzog, weil er ihr Alter (das der Köchin, nicht der ‚Sonne‘) mittelst seiner untrüglichen Hufscharr-Rechenmaschine öffentlich auf Neununddreißig angab, während ‚Rieke‘ – als er nach der Ziffer Achtzehn vor dem Weiterzählen eine kleine Pause machte – bereits, verschämt erröthend, genickt und ‚Dat is richtig‘ gesagt hatte?!“

„Weiß ich nicht,“ sagte Onkel Krischoff,“ „aber düses darneben, der Kleinere, das ist der verdammtige Karmucken, wo mich meinen ‚Jehann‘, meinen Großknecht, in den Dreck smeten – üch wollte sagen, in dem Schmutze geworfen hat – bei das angemeune Prämienreiten for ungesattelte Esel, mit den Fufzig-Thalerpreis, un wo mür nachher halb Rostock in alle Kneipen gefragt hat, ob mein Jehann seine öquolübrüstüschen Studüen unter meine persönliche Leitung gemacht hätte? – So’n Vieh! – und jetzt sieht sü so unschüllig ut, die Berstje!“

Inzwischen schien es auch in der Räder-Villa des Directors vollends Tag geworden zu sein; Madame Aurora Schnuderich, geborne Piefke, der Morgenstern der Gesellschaft, war – gleichzeitig mit der Thür zu dem Boudoir – „aufgegangen“ und hatte sich, einen Bunzlauer Moccatopf von durchaus zweitrinkigen Dimensionen in der Rechten, einen geschmierten Schiffszwieback in der Linken, auf der obersten Treppenstufe ihres fahrenden Grundeigenthums niedergelassen; ihr nach drängte sich ein stämmiger Junge von etwa fünf Jahren, pumphosig und pausbackig, der Stammhalter der Direktion; er hatte, wahrscheinlich in Folge mit ihm angestellter und seinem Naturell entschieden unsympathischer Reinigungs-Versuche, unbändig gegreint, und die tropfbaren Produkte seines Schmerzes überströmten ihm in glimmerndem Gemische gleithaft-gleißend die „glibbrigen“ Wangen.

„Madame“ ist eine noch ziemlich jugendfrische Erscheinung und natürlicher Weise die zweite Frau des Maestro; die ersten Gattinnen reisender Kunstreiterdirectoren gehören überhaupt zu den größten Seltenheiten unseres Planeten; ich habe eine solche nur ein einziges Mal ganz flüchtig in der Gesellschaft eines Dragonerofficiers auf dem Nordbahnhofe in Wien gesehen. „Madame“ trägt einen scharlachrothen Friesrock und eine mit blindgewordenen Goldlitzen besetzte Sammtjacke von schwarzer Farbe; sie ist eine resolute Frau, die ihrem ziemlich hartnäckige Gespons bereits während der ersten sechs Monate ihrer Ehe seine etwas stark ausgebildete Vorliebe für geistige Getränke abgewöhnt hat, für die unverheiratheten Damen der Truppe kocht, ihren Sprößling durch Liebe und Prügel zu einem nützlichen kopfstehenden und purzelbaumschießenden Mitgliede ihrer und der menschlichen Gesellschaft heranzuziehen sucht und des Abends hin und wieder, wenn unvorhergesehener Hindernisse halber eine andere Pièce ausfallen mußte, Schule reitet oder mit Centnergewichten Fangeball spielt.

„Madame“ scheint ganz besonders guter Laune zu sein; sie winkt dem Clown Señor Juan Pampas, alias Hans Pampel, dem „Kierl in de Apenjack’, welcher sich eben im Sattel zurechtrückt, um als lebendes Aushängeschild und berittene Anschlagsäule die Straßen der Stadt zu durchtraben und einem hohen Adel und verehrten Publico (– Kinder und Militärs die Hälfte! –) Nachricht von dem großen Ereignisse der Circus-Eröffnung, dem Beginne der „Olimbischen Schpüle“, zu geben.

„Storch!“ (Señor Pampas hat diesen von der ganzen Collegenschaft allgemein acceptirten Beinamen seinen unverhältnißmäßig langen und während eines nicht unbedeutenden Theils seiner Lebenszeit permanent in hochrothen Tricots steckenden Beinen zu verdanken) – „Storch, nimm den Jungen mit! Hier ist den Teixel nichts damit anzufangen. Keine Haltung bei’s Balanciren, kein Avec auf die Stuhlpyramide; der muß bei Zeiten auf’s Pferd, sonst kann er sein Lebtag Hüte drehn oder auf’s Sprungbrett arbeiten. Also pascholl, auf dem Gaule!“

„Si Señora!“ trompetet Storch in einem zwischen Alt-Castilisch und Anhalt-Dessauisch etwa die Mitte haltenden Jargon. „Willst Du mit, Knirps?“

Und „Knirps“ hält noch einen Augenblick schmollend den Ueberlegungsfinger im Munde, nickt dann sein Ja und sitzt kaum zehn Minuten später in einem wahrhaft blendenden Flittercostüme vor Juan Pampas auf dem Hochtraber, den Neid der gesammten Rostocker Jugend männlicher Linie erregend.

„Sützt as angeleimt, der Racker!“ platzt Onkel Krischoff heraus und reibt die Hände vor Vergnügen; „hält sich nich ’mal an die Mähne un läßt sich den Hanswurscht gar nicht ankommen! Is ’n prächt’ger Bengel, der reit’t die ganze Marnöhsche hier noch ’mal in Grund und Bodden.“

Und wahrhaftig, das Kerlchen hielt sich so stramm und stolz da oben auf dem Talmi-Andalusier, daß es eine Freude war, und ebenso wahrhaftig tönte da vom Marienthurme her – oder war’s vom stolzen Petrithurme? – die neunte Stunde, die mich hinter andere „Coulissen“ rief und zu einer anderen Probe, bei der ich nicht als Zuschauer, sondern als Mitspieler zu wirken hatte; denn ich war derzeit selbst so ein Stück Kunstvagabonde und spielte Komödie in dem Musentempel zu Rostock am Warnowstrand.

„Gehen Sie mit, Onkel Krischoff?“

Ja, wer den alte Herrn von seinem Lugaus weggebracht hätte, jetzt gerade, „wo’s am pläsirlichsten wurde“, denn „die Kre’tur von Maulesel“ sollte eben auf „neue Mucken eininstruwirt“ werden.

Wir schüttelten uns die Hände, und ich ging. Guter, biederer Onkel Krischoff, wärst Du doch mitgegangen, aber das war Dir zu despectirlich: Du mußtest reiten – wider Willen freilich – und zwar reiten auf demselben „Racker“, der Deinen armen „Jehann“ beim verflossenen Pfingstmarkte so rücksichtslos abgeworfen.

’S muß ein Anblick zum Thränenlachen gewesen sein, wie er da, krampfhaft angeklammert, auf dem Grauthiere saß, mit seinem Embonpoint, den blauen Regenschirm unter den Arm geklemmt und auf die „Carnalje“, die ihn so heimtückisch entführt, einen Strom von Injurien ergießend. Sonntag, ein prächtiges Wetter, halb Rostock und Umgegend auf den Beinen; plötzlich Geschrei, Gelächter, Gejohle!

„Unkel Krischoff ridt sin’n Jehann dat Langohr tau.“ „Unkel Krischoff, worüm so fix? Sei kamen jo noch tau recht.“ „Unkel Krischoff is stolz worr’n, hei dankt nich ’mal, wenn man em grüßt.“ So ging’s bunt durcheinander, und eine tobende, jauchzende Menschenwoge wälzte sich der heiteren Cavalcade nach – die Strand- und dann die Große Mönchenstraße entlang.

Wie Onkel Krischoff auf das Grauthier hinaufgekommen? Lieber Gott, sehr einfach! Er glaubte, nachdem er dem Maulthier bändigenden Clown noch ein Weilchen zugeschaut, des Kunstgriffes, sich auf dem störrigen Esel zu erhalten, sicher zu sein, wie des Amen in der Kirche. Eine Wette war bald gemacht; Onkel Krischoff blieb leider wirklich sitzen – nur zu fest, denn als das „Teufelsviech“ mit ihm durchging, konnte er nicht wieder herunter.

Der Clown hatte seine Wette verloren – und der Circus war an jenem und manchem folgenden Abende gefüllt „bet to de bäbelste Spitz’ baben rup.“

Ob Onkel Krischoff der Eröffnungsvorstellung beigewohnt, weiß ich nicht mehr; kaum acht Tage später aber traf ich ihn kreuzfidel in „dü verdammtige Reiterbude“ wieder. Seinen „Jehann“ hatte er bei sich, um ihm – von Weitem natürlich nur – „an das Object vorzudemonschtriren“, wie man’s anzufangen habe, um „auf so ’ne Canalje festtausitten“.

Richard Schmidt-Cabanis.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_771.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)