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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

den Wall ein brauner Kamm voll dunkler Flecke und Striche. Im nächsten Augenblicke bricht das sonderbare Bild in sich zusammen und ein weiter, weißer Strich bezeichnet die Stelle, wo Hallett’s Reef gesprengt worden ist. Tiefgrollender Donner trifft unser Ohr; die Erde hat kaum gezittert, und nur ein von dem Orte der Katastrophe weit abstrebender lichter Schaumring zeigt noch, daß dort etwas die Wasser bewegt hat. Der Ring geht weiter und weiter, säumt die Felseninseln mit schimmerndem Weiß und verläuft harmlos am Strande. Doch wo ist die gefürchtete Luftwelle? Träge und schlaff hängen die Flaggen an den nahen Masten – der Stoß ist nach oben gegangen; er hat auch nicht einen Regenschirm umgestülpt.

Wenn die Amerikaner überhaupt Anlage hätten, Schafsgesichter zu machen, so hätten sie das bei dieser Gelegenheit sicherlich zur Geltung gebracht. Weit davon war’s bei den Meisten nicht. Dafür also waren sie herausgestrampelt – die Straßenbahnwagen waren ja alle überladen gewesen – durch Regen und Schmutz; darum hatten sie sich aufregen lassen seit Tagen – und kein Unheil war geschehen. Nur den kleinen weißen Putsch hatten sie in der Ferne gesehen.

Und jetzt wimmelte es auf der vorher so öden Wasserfläche von Fahrzeugen aller Art. Segel-, Ruder- und Dampfboote fuhren durcheinander, alle die Flaggen hoch, und die Pfeifen und Böller der letzteren machten einen Lärm, gegen den derjenige der Explosion Kinderspiel gewesen war.

Mir und manchem Anderen aber lachte das Herz. Die Sache war geglückt in zwiefacher Beziehung. Die Länge der aufgestiegenen Cascade hatte bewiesen, daß die Explosion in der vollen Ausdehnung vor sich gegangen war, und die Abwesenheit jedes überflüssigen Spectakels, daß die Ingenieure richtig gerechnet hatten. Jede Patrone hatte ihr passendes Maß von Arbeit zugetheilt bekommen, und für übermüthiges Spiel schien nur so viel Ueberschuß gegeben worden zu sein, daß den guten Neugierigen wenigstens ein kleines Schauspiel nicht entging.

So ist das gefährliche Riff in Trümmer gelegt, und in nicht langer Zeit wird man die noch etwa störenden Felsstücke heraufgeholt und in’s Meer versenkt haben, wo es tief genug ist.

Ueber die Tragweite des also gelungenen Unternehmens gehen die Ansichten weit auseinander. Jedenfalls ist für die Schiffe, welche unsere Nordostküste befahren, ein außerordentlicher Vortheil errungen worden; das so gefürchtete Hellgate ist von seiner größten Gefahr befreit. Ob aber die Ansicht Mancher, daß auch die Europafahrer und besonders die Dampfer die Sundstraße der altgewohnten jetzt vorziehen werden, richtig ist, steht doch wohl sehr zu bezweifeln. Zwar ist der Sundweg der kürzere, und ein Schiff hat die eigentliche Seereise überstanden, sobald es sich hinter der schützenden langen Insel befindet, aber in Hellgate wird noch manche große Sprengung vorgenommen werden müssen, ehe sich die Kolosse durch jenes enge Pförtchen in unseren Hafen zwängen.




Alexander Dumas bei Frau Rattazzi.

Eine Erinnerung aus der Florentiner Gesellschaft.

Jüngst meldeten die Zeitungen, daß Frau Rattazzi, die Tochter der Lätitia Bonaparte und des ehemaligen englischen Gesandten in Athen, Herrn Wyse, die Wittwe des verstorbenen italienischen Ministers Rattazzi, wieder ein neues Buch unter der Presse hat. Da es nicht ihr erstes Opus ist, so interessirt es vielleicht in weiteren Kreisen, einen Blick in die Werkstätte dieser Freundin Victor Hugo’s, A. Dumas’ und anderer berühmter französischer Schriftsteller zu werfen, einer Frau, die sowohl durch ihre unverwüstliche Schönheit wie die Excentricität ihres Geistes nicht blos zeitweise das Herz von Königen bestrickt, sondern auch die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. War sie doch bei[WS 1] dem erst vor wenigen Jahren erfolgten Tode ihres zweiten Gemahls nur durch den strengen Befehl der Aerzte von der Leiche zu trennen, deren Section sie beiwohnen wollte, um den Becher des Schmerzes bis zur Neige zu leeren. Jetzt soll sie zum dritten Male, und zwar einen Spanier geheirathet haben.

Frau Maria Rattazzi saß im Frühjahre 1867 an ihrem eleganten Schreibtische und bekritzelte, den Kopf tief auf’s Papier gebeugt, einen mit der kaiserlichen Krone versehenen Bogen, der, in einen Umschlag gesteckt und mit der Fünfcentimesmarke versehen (mit welcher Frau Maria schon vor zehn Jahren die Weltposttaxe ahnte, wenngleich ihre Freunde das seltene Ahnungsvermögen durch beständiges Draufzahlen büßen mußten), für einen Brief gelten sollte. Sie schrieb an ihren Freund Dumas (Dumas Vater natürlich) folgende Worte:

„Beschleunigen Sie Ihren Frühjahrsbesuch! Bis es zum Einkaufe der heurigen ‚Etrennes‘ (Neujahrgeschenke) Zeit ist, muß ein Buch von mir auf dem Markte sein, und Sie wissen, meine Bücher kann ich nicht ohne – den Rath meiner Freunde schreiben. Außerdem sehne ich mich wieder einmal nach einem guten Mittagessen. Kommen Sie!“

Ohne zu warten bis die Tinte getrocknet, ohne zu bedenken, ob die ohnehin schon hieroglyphischen Zeichen noch lesbar sein werden, wenn der Brief an seine Adresse gelangt, hat ihn Frau Maria seinem Schicksale in Gestalt eines Dieners übergeben.

Wenige Tage darauf wird den Florentiner Freunden der Frau Rattazzi mitgetheilt, Alexander Dumas sei im Anzuge – er komme, seine alte Freundin zu besuchen und das Haus in Piazza Santo Spirito von seinem herzlichen, naiven Kindergelächter erschallen zu lassen. Am bestimmten Abende versammelt sich die Schaar der Freunde; sie ist nicht zahlreich und auch mehr dem Gehalte als der Form nach gewählt – Parteigenossen des berühmten Staatsmanns – sie zählt wenige Damen auf, doch unter diesen eine Seltenheit im Hause der Frau Maria, ein Mädchen, einen scheuen, unverfälschten Backfisch, dem heute die doppelte Ehre zu Theil wird, zum ersten Male ein langes Kleid zu tragen und Dumas vorgestellt zu werden, Dumas, von dessen Werken das Kind auch noch nicht ein Titelblatt gelesen hat, der aber deshalb nur um so phantastischer im Gretchen-Kopfe spukt. Dumas hat sie kaum gesehen und schon ausgerufen „Eine kleine Deutsche!“ Man hatte ihm den Vater als einen Italiener vorgestellt; von der Mutter wußte er nichts. Als er hörte, er habe vollkommen Recht, denn der italienische Papa sei nur ein Stiefvater, ist er stolz auf seinen scharfen Blick und legt den Arm der Kleinen auf das titanische Stück Muskel und Fett, das er seinen Arm nennt, um mit der übrigen Gesellschaft Bekanntschaft zu machen. Er hat sie Alle schon mehr als einmal gesehen, aber er erneuert die alten Beziehungen und erzählt mit heiterm Humor, wie er seinen Tag zugebracht. Am frühen Morgen ist er mit seinem Diener und einer Anzahl Körbe auf den Markt gefahren und hat dort, jedoch ohne zu feilschen, ganz wie eine gute Hausmutter, seine Einkäufe gemacht: Fisch, Fleisch, Geflügel, Gemüse; sogar das Grüne zur Suppe hat er nicht vergessen. Nachdem er seine Anordnungen für die vorbereitenden Arbeiten in Küche und Speisesaal getroffen, hat er sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen und ein Capitel für Frau Maria’s Buch geschrieben. Erst Nachmittags erscheint er in einem Aufzuge, für dessen Originalität Frau Maria ihm die Hand küßt. Er ist der appetitlichste weißgekleidete Koch, den man sehen kann, nur daß man sechs Köche für gewöhnliche Anforderungen aus ihm schnitzen könnte. Jetzt tritt er das Regiment in der Küche an, und bald duftet es nach den seltensten Mischungen, die nur ein französisches Genie zusammenbrauen kann. Schweißtropfen stehen auf der Stirn, hinter welcher die Geburtsstätte einer Welt voll lebender Gestalten ist, aber er schabt und rührt und klopft und mischt und versucht und commandirt weiter, bis er selbst erklären kann: „Das Diner ist zum Serviren bereit, Madame.“

Das Essen ist vorzüglich und, kleine Zwischenfälle abgerechnet, wie die gänzliche Abwesenheit des Brodes und das mit staunenswerther Präcision ausgeführte Erlöschen sämmtlicher Lampen, verläuft Alles auf’s Beste.

Dumas hat beim Aufstehen von der Tafel noch immer sein Backfischchen an der Seite, denn die Etiquette macht ihm wenig Sorgen, ist bei einem Schöngeiste, wie Frau Maria, auch gar nicht nothwendig. Die Kleine schlägt schüchtern eine Promenade

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: bis zu
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_778.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)