Seite:Die Gartenlaube (1876) 794.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


waren stets auf den Beinen; sie sollten auf Jeden schießen, der auf ihren Anruf nicht stehen blieb; eine Section von zehn Gensd’armen stationirte auf Wilhelmshöhe, auch ein Polizeicommissar mit Sergeanten. Ganz Wilhelmshöhe wurde wie im Belagerungszustande behandelt.

Eine oberpolizeiliche Bekanntmachung führte den Fremden zu Gemüthe, daß, wenn sie diesen Park besuchen und daselbst spazieren gehen wollten, sie sich mit einer polizeilichen Legitimation versehen müßten, damit sie auf Befragen sich gehörig ausweisen könnten. Wer solches versäume, setzte sich der Gefahr aus, verhaftet und vor die Polizei gestellt zu werden. Unter solchen lästigen Bedingungen verzichteten die Fremden gern auf eine Betrachtung der Wilhelmshöher Natur- und Kunstschönheiten, und selbst die Kasselaner entwöhnten sich des häufigen Ausflugs dahin. Auch für das Residenzschloß in Kassel wurden ähnliche Sicherheitsmaßregeln getroffen. Schildwachen reihten sich an Schildwachen, die, sobald es dunkel wurde, Jeden, der etwa vorübergehen wollte, schon von weitem anriefen. So weit das Palais reichte, durfte diese Seite der Königsstraße auch nicht einmal am Tage begangen werden. –

Und trotz dieses gewaltigen Absperrungsapparates wurden neue Drohbriefe in unmittelbarer Nähe des Kurfürsten selbst gefunden.

Zur Ermittelung des Verfassers des ersten Drohbriefs und der Mitglieder der darin gedachten geheimen Verbindung war eine Commission von drei Mitgliedern bestellt worden, der noch bei der Urtheilssprechung, insofern sie eine Militärperson betreffen würde, zwei Officiere und bei einer Civilperson zwei Obergerichtsmitglieder beigeordnet werden sollten, vorbehaltlich einer Berufung an das Oberappellationsgericht. Es mochte wohl dabei das Bild der Mainzer Centralcommission zur Verfolgung der demagogischen Umtriebe vorgeschwebt haben, was aber keineswegs die bedenkliche Umgehung der ordentlichen Gerichte rechtfertigte. Besonders charakterfeste Juristen waren denn auch der Meinung, daß der Generalauditeur Bode und der Oberappellationsgerichtsrath Schwenke ein solches Commissorium nicht hätten annehmen sollen. Ich nenne diese Namen, weil sie unter einer öffentlichen Bekanntmachung der „Kurfürstlichen zur Untersuchung der gegen Se. kurfürstliche Hoheit ausgestoßenen Drohungen verordneten Commission“ sich befanden. Welcher Art diese Drohungen gewesen, darüber stand keine Gewißheit zu erlangen, da eine Veröffentlichung des ersten und eigentlich allein in’s Gewicht fallenden Drohbriefs ängstlich vermieden wurde; man erfuhr nur im Allgemeinen, daß darin gefordert worden, dem Volke eine Verfassung zu geben, den Einfluß der Grafin Reichenbach auf die Regierungsgeschäfte zu hemmen und die Züchtigung der Untergebenen mit eigener Hand zu unterlassen, widrigenfalls der Kurfürst und die Gräfin ein Opfer von hundert verschworenen Jünglingen, deren Dolche schon geschliffen, werden würden. –

Zunächst wurde versucht, den Verdacht auf Radowitz zu lenken, weil dieser trotz seiner Confinirung in Ziegenhain an dem Tage in Kassel gewesen sein sollte, wo der erste Drohbrief hier auf die Post gegeben worden, und weil er dann, ohne erst die Bewilligung des geforderten Abschieds abzuwarten, nach Berlin zum Eintritt in preußische Dienste abgereist sei. Da nun aber bei Radowitz selbst keine Nachforschung mehr möglich, so sollte sie bei Verschuer, Eschwege und noch anderen diesem Kreise angehörenden Personen angestellt werden, was aber von dem damit beauftragten Oberpolizei-Director v. Manger unterlassen wurde, da er die völlige Resultatlosigkeit voraussah. Hieraus wurde ihm später ein Verbrechen deducirt. Im Uebrigen hatte Manger es keineswegs an Eifer fehlen lassen, vielmehr sein geheimes Polizeinetz über das ganze Land und sogar weit über dessen Grenzen hinaus gesponnen. Er war es, welcher der Commission ein kaum zu bewältigendes Material lieferte, denn die ausgesetzte hohe Belohnung reizte zu den leichtfertigsten und böswilligsten Denunciationen.

Durch den zweiten Drohbrief, welcher im Schlosse zu Wilhelmshöhe gefunden und an die Gräfin Reichenbach gerichtet war, wurde die Sache noch verwickelter. Sein Inhalt ist durch die gedruckte Vertheidigung eines darüber Angeklagten bekannt geworden und lautet: „Frau Gräfin! Der Verfasser des bewußten Briefes wird nicht entdeckt werden. Sagen Sie dem Kurfürsten, daß er fortfährt, rechtlich, menschlich und fürstlich zu handeln, so wird er nichts zu befürchten haben. Durch die Gensd’armerie macht er sich lächerlich; diese könnten ihn gegen eine Windbüchse nicht schützen. – Rathen Sie ihm, daß er auf eine schonende Art drei wichtige Personen versetzt, und zwar den Ober-Polizei-Director v. Manger, den Finanzrath Deines und den Castellan Hahn. Dieser letztere ist insofern wichtig, indem seine nächsten Verwandten bei Sr. Königlichen Hoheit dem Kurprinzen angestellt sind. Das Nähere hierüber sollen Sie später erfahren. Rathen Sie auch dem Kurfürsten, daß er seiner Livréedienerschaft streng verbietet, daß sie nichts wieder reden, was bei der Abendtafel gesprochen wird.“

Wenn es wahr ist, daß der erste Drohbrief ein wohlstilisirter und gute Bildung verrathender gewesen, wie immer behauptet worden, so hätte bei diesen zweiten gerade das Gegentheil davon auffallen müssen, und daß die Satzbildung nicht einmal dem specifisch Kasseler Jargon entsprach. Es ist daher unbegreiflich, daß man nicht sofort auf die richtige Spur gekommen und statt dessen den Cabinetssecretär des Kurfürsten mit neunmonatlicher Untersuchungshaft gequält hat. Die Anwendung der französischen Untersuchungsmaxime, zunächst nach einer etwaigen weiblichen Betheiligung zu forschen, wäre hier am Platze gewesen. Der in diesem Briefe genannte und später eine Subalternstelle im Staatsdienste bekleidende Castellan hatte nach vielen Jahren die Absicht, Aufklärungen darüber zu veröffentlichen; sein Manuscript ist ihm aber gegen hohes Douceur abgenommen worden.

Ein dritter Drohbrief kam aus Sarnen in der Schweiz; damit wäre es leicht dem Postmeister Thielepape in Wabern schlecht ergangen. Der Brief trug die Adresse des Kurfürsten und war unter einem an Thielepape gerichteten Couvert in Wabern angelangt. Dieser, eine wichtige Staatssache dahinter vermuthend, eilte sofort nach Kassel und ließ den Brief dem Kurfürsten in seinem Cabinet zustellen. Der Kurfürst trat bald darauf in den Audienzsaal, wo außer dem Postmeister noch andere Staatsbedienstete warteten, und theilte in großer Aufregung die abermalige Bedrohung mit. Thielepape erhielt als Botenlohn eine Vorladung Seitens der Untersuchungscommission, um sich wegen etwaiger Mitwissenschaft vernehmen zu lassen. Es war ihm leicht, diesen Verdacht zu beseitigen, – aber den Schrecken hatte er weg.

Als sich die bisherigen vielen Vernehmungen und Verhaftungen zur Erlangung einer sichern Spur als vergeblich erwiesen hatten, sicherte die Commission mit allerhöchster Ermächtigung selbst den Mitwissern, denen als Belohnung ihrer Anzeige durch die Ministerialverkündigung nur Straflosigkeit zugesagt war, jetzt sogar ebenfalls die Belohnung von fünftausend Thalern zu – und auch dieses Mittel wollte nicht verfangen. Endlich wandte sich der Verdacht nach einer ganz andern Seite – nach der Polizei selbst. Der Oberpolizeirath Wende bekam Hausarrest; der Oberpolizeicommissar Windemuth, sowie der Polizeiregistrator Urban wurden in’s Castell gebracht, und da ihre Aussagen weniger compromitirend für sie selbst als für ihren Chef, den Oberpolizeidirector, waren, so wurde auch gegen diesen vorgeschritten. Um aber weniger Aufsehen zu erregen, wurde ihm aus dem kurfürstlichen Cabinet zu wissen gethan, der Kurfürst habe beschlossen, daß er unverzüglich eine Untersuchung in Fulda anstellen und dahin reisen solle. Was ihm bevorstand, davon hatte er keine Ahnung. In der „Kasselschen Zeitung“ wurde seine Abreise nach Melsungen angezeigt. Aber hier angekommen, nahmen ihn Gensd’armen in Empfang und geleiteten ihn nach Fulda, wo er einstweilen in dem Hause des dortigen Polizeidirectors bewacht wurde. Einige Tage später fand sein Transport nach der Bergfeste Spangenberg statt, wo ihn die Untersuchungscommission schon erwartete. Warum der große Umweg gewählt worden, ist nicht einzusehen.

Der plötzliche Sturz des zu sehr hoher Gunst bei dem Kurfürsten gelangten Oberpolizeidirectors machte gewaltiges Aufsehen. Bedauert wurde er von Niemand. Ueber seine Behandlung im Gefängnisse erfuhr man Einiges durch die „Dorfzeitung“. Darnach war sie so streng, wie sie nur bei höchst gefährlichen Staatsverbrechern in Anwendung zu kommen pflegt. Ein Gensd’arm, der sich aber auf keine Unterhaltung einlassen durfte, war in seinem Zimmer bei Tag und bei Nacht anwesend. Der Gebrauch des Messers war ihm beim Essen nicht gestattet. Für die Unterhaltungskosten des an ein sybaritisches Leben gewöhnten Mannes waren, inclusive Aufwartung, Wäsche, Licht etc. täglich nur anderthalb Thaler ausgeworfen. Erst nach dreijähriger

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_794.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)