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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Erscheinung nennt man ein Spectrum, in welchem die sieben bekannten Regenbogenfarben Roth, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett besonders auffällig hervortreten, wenngleich alle durch die feinen Abstufungen in einander übergehen und sich nirgends eine scharfe Abgrenzung einer gegen die andere Farbe zeigt.

Diese Entdeckung blieb lange Zeit nur von Interesse für die Optik, und man wußte daraus vor der Hand weiter keine Folgerungen zu ziehen. Erst im Jahre 1802 machte man einen kleinen Schritt vorwärts, indem der Engländer Wollaston wahrnahm, daß das Spectrum einer Linie Sonnenlichtes, welche, durch einen feinen Spalt fallend, von einem Prisma zu einem allfarbigen Bande ausgebreitet wurde, von einer großen Menge dunkler Linien durchzogen sei, also in der Farbenfolge doch einige feine Nüancen fehlten. Daraus folgte, daß uns die Sonne doch nicht alle im absoluten Sinne denkbaren Farben zusende.

Allein diese Entdeckung wurde so wenig beachtet, daß sie bald wieder ganz vergessen war. Zwölf Jahre später wurden diese Linien von dem berühmten Münchener Glasschleifer Fraunhofer, welcher von Wollaston’s Wahrnehmung keine Kenntniß hatte, auf’s Neue entdeckt, als er damit beschäftigt war, die optischen Eigenschaften einiger von ihm bereiteter Glasarten zu prüfen. Nach ihm wurden dann in späterer Zeit diese merkwürdigen Linien die Fraunhofer’schen genannt, obgleich auch dieser Forscher damals keine Ahnung davon hatte, welche weittragende Bedeutung dieselben einst erhalten sollten. Er richtete sein von ihm selbst construirtes Spectroskop zuerst auch auf andere Lichtquellen als die Sonne, auf die Fixsterne, und erkannte dabei, daß sie ähnliche Linien, aber doch nicht überall dieselben im prismatisch zerlegten Lichte zeigten, daß ihnen also öfters andere Farbennüancen fehlten, als dem Spectrum der Sonne, in welchem er allein an sechshundert Linien gezählt hatte. Für die Optik war diese Thatsache ohne Zweifel interessant, ihre Wichtigkeit schien jedoch nicht aus deren Bereiche hervorzutreten, weshalb man sich wiederum eine lange Zeit nicht weiter mit ihr beschäftigte.

Es war erst um die sechsziger Jahre herum, daß diese eigenthümlichen Linien durch die berühmten Arbeiten der Heidelberger Kirchhoff und Bunsen aus unverdienter Vergessenheit hervorgerufen wurden, um nun eine der wichtigsten Rollen auf zwei großen Gebieten der Naturwissenschaft zu spielen, in der Chemie und der Astronomie. Es wurde jetzt erkannt, daß jeder chemische Stoff, in gewisse Verhältnisse gebracht, sein ihm eigenthümliches Verhalten bei spectroskopischer Untersuchung zeigt, das heißt, daß jedes chemische Element seine charakteristischen Fraunhofer’schen Linien besitzt, an welchen man es untrüglich erkennen kann. Als dieser Satz einmal fest stand, war es unmittelbar klar, daß dem Spectroskope eine große Zukunft bevorstand, und eine Anzahl bedeutender Forscher beschäftigte sich nun damit, die Eigenschaften der auf unserer Erde bekannten Stoffe bezüglich ihres Spectrums genauer kennen zu lernen. Dabei ergab sich zunächst Folgendes:

Wenn irgend ein flüssiger oder fester Stoff weißglüht und sein Licht durch den leeren Raum zu uns in das Spectroskop sendet, ohne irgend vorher eine Gasart durchleuchtet zu haben, so zeigt sich in dem Instrumente ein regenbogenfarbiges Band, welches von keinerlei Linien durchschnitten wird. Man nennt das so beschaffene Spectrum ein continuirliches. In diesem Zustande sind sich also alle chemischen Stoffe gleich, und das Prisma giebt uns über ihre Zusammensetzung keinen Aufschluß. Wenn man dagegen den Strahl einer solchen Quelle ganz weißen Lichtes durch eine Gasart gehen läßt, welche selbst nicht leuchtet und kälter ist, als der glühende Körper, so entstehen im Spectrum des letzteren plötzlich Fraunhofer’sche Linien, und zwar für jede Gasart andere Gruppen davon. Das geht ganz natürlich zu und erklärt sich einfach daraus, daß diese Gasarten nicht für alle Farben durchsichtig sind, ganz so, wie z. B. eine rothe Glasscheibe nur die in dem weißen Lichte, das auf sie fällt, enthaltenen rothen Strahlen durchläßt, während sie alle übrigen vernichtet. Die rothe Scheibe läßt nun zwar nur eine von den unendlich vielen im weißen Lichte vorhandenen Nüancen passiren, während die Gase beinahe für alle durchsichtig sind und nur wenige Nüancen nicht durchlassen. Diese müssen dann in dem Farbenbande natürlich fehlen; es entsteht darin eine Lücke, die sich als breitere oder schmalere Linie darstellt, je nachdem die betreffende Gasart für eine oder mehrere nebeneinander liegende Farbennüancen undurchsichtig ist. Man sagt dann von ihr: sie absorbirt diese Farben, und nennt das so von schwarzen Linien durchzogene Farbenband ein Absorptionsspectrum. Dieses wird also nur erzeugt, wenn ein strahlender Körper in festem oder flüssigem Zustande sein Licht durch ein kälteres Gas zu uns sendet.

Da nun das Spectrum der Sonne, wie schon beschrieben, derartig beschaffen ist und von mehr als zweitausend Absorptionslinien durchzogen wird, so hat dadurch das Spectroskop zunächst bewiesen, daß die Sonne ein fester oder flüssiger Körper ist, dessen Licht auf seinem Wege zu uns eine Menge von Gasen passirt. Einige dieser Gase gehören unserer Atmosphäre an, durch welche die Sonnenstrahlen zu uns gelangen. Diese erdatmosphärischen Linien hat man bald erkannt. Die übrigen dagegen können nur einem Dunstkreise angehören, welcher die Sonne umgiebt und nicht selbst leuchtend ist. Somit lieferte das Spectroskop den eminenten Beweis für Behauptungen, welche die Astronomen schon früher aus anderen Erscheinungen folgern mußten; es wies das Vorhandensein einer Sonnenatmosphäre nach, die zum großen Theile aus metallischen Dämpfen zusammengesetzt ist. Durch genaue Messung jener Liniengruppen konnte man ferner viele derselben als identisch mit denen erklären, welche von bekannten Gasen hervorgebracht werden, sodaß man in der Sonnenatmosphäre mit Bestimmtheit das Vorkommen von Eisen, Zink, Kupfer, Nickel, Kobald, Natrum, Calcium, Chrom, Wasserstoff und noch mehrerer anderer irdischer Stoffe nachweisen konnte. Allerdings bleibt noch eine große Anzahl von Linien übrig, für die man noch keine Stoffe aufgefunden hat. Es ist deshalb wohl möglich, daß die Gasumhüllung unseres Centralkörpers chemische Elemente enthält, welche wir nicht kennen, wie es umgekehrt hier solche giebt, die dort sicher nicht vorkommen. Dieses gilt z. B. von Silber, Quecksilber, Zinn, Blei und Arsen. Das Vorhandensein von Golddämpfen aber ist noch zweifelhaft. Damit ist indeß keineswegs behauptet, daß diese letzteren Stoffe auf der Sonne überhaupt nicht vorkämen. Sie könnten sehr wohl im leuchtenden Kerne eingebettet liegen, der uns Strahlen zusendet, welche im Spectroskop keine Linien hervorbringen. Aber allein schon die Thatsache, daß überhaupt der Mutterkörper unseres Weltsystems zum großen Theile aus Stoffen aufgebaut ist, die uns wohlbekannt sind und auch unsere Erde formen, ist gewiß von dem größten Interesse. Ist doch damit ein neuer Beweis für die nun allgemein anerkannte Weltbildungstheorie von Kant und Laplace gegeben, wonach sich bekanntlich alle Planeten einstmals als Ringe vom Aequator der Sonne losgelöst haben, also als Stücke derselben keine vorwiegend verschiedene chemische Zusammensetzung aufweisen können.

Nachdem man einmal die wunderbaren Eigenschaften des Spectroskops kannte, war es natürlich, daß man durch seine Vermittelung auch andere astronomische Objecte um ihre chemische Constitution befragte. Indem man sich in diesem Sinne an die Planeten wandte und ihr Licht prismatisch analysirte, durfte man im Voraus erwarten, daß ihr Spectrum von dem der Sonne kaum merklich verschieden sein werde, weil ihr Licht nur ein von der Sonne geborgtes ist. Dies bestätigte sich in der That. Da sie aber kein ganz genau mit der letzteren identisches Spectrum zeigten, so folgte daraus mit Nothwendigkeit, daß die Sonnenstrahlen auf ihrem Umwege über die Planeten zu uns auf neue Gase stoßen, welche nur in den Atmosphären der betreffenden Planeten selbst gesucht werden können, da der Weltraum nur Welt-Aether enthält, der das Spectrum nicht modificirt. Das specielle Studium der Planeten-Spectra, mit welchen sich in jüngster Zeit namentlich Dr. Vogel auf der vortrefflich ausgestatteten Sternwarte zu Bothkamp verdiente Ehre erworben, ergab, daß besonders die Dunsthüllen der inneren Planeten Mercur, Venus und Mars der Erd-Atmosphäre sehr ähnlich sein müssen. Vorzüglich in denen von Venus und Mars ist Wasserdampf als vorhanden anzunehmen, eine sehr wichtige Wahrnehmung, weil sie den Schluß berechtigt, daß dieser sich aus auf der Oberfläche dieser Planeten befindlichen Wasserbecken, das heißt Meeren, entwickelt haben muß. Daß auf der Oberfläche des Mars Wasser existirt, welches sich zur Zeit des Winters einer seiner Halbkugeln in Eis verwandelt, hatte man schon allein mit Hülfe des Teleskops augenscheinlich bemerkt, indem man in der Gegend seiner Pole heller leuchtende Flecken

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_823.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)