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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

“Heiliger Abend! In der Heimath brennen die Christbäume!“ dachte ich, und was ich noch mehr dachte, davon braucht’s keiner Meldung.

Das Feuer brannte nieder, ich warf noch etwas Holz nach, breitete meine Decken aus, legte mich auf den harten Waldgrund nieder und blickte nach oben. Dort aber, über den dunkeln Wipfeln der Bäume, flammte es wie tausend Sonnen am dunkelblauen Firmamente, das südliche Kreuz stand hoch über mir und seine Strahlen fielen senkrecht herab in die einsame Waldesnacht. Die Heimathssehnsucht löste sich wie eine Rinde vom Herzen und gab dem neu erwachten Gefühle frommen Vertrauens Raum. Ich stand auf, und beim Scheine des Feuers schrieb ich in mein Tagebuch:

     „Heiliger Abend 1851.

Du fragst nach Deinem Weihnachtsbaum? –
So sieh ihn denn dort oben,
Dort in des Himmels dunkeln Raum
Gar golden eingewoben.

Das ist Dein Baum von Gott geschmückt,
Er strahlt und flammt so heiter!
So lang’ noch der Dein Aug’ entzückt.
Was willst Du, Mensch, noch weiter?“

So und ähnlich wird Mancher noch seine Weihnacht feiern auf fremder Erde; möge die Heimath nur Jedem, der wieder zu ihr zurrückkehrt, einen Theil des Wehs und der Sorgen vergelten, die er ihrethalben in treuer Liebe getragen.




Griseldis.
Eine Frauenstudie.

Im Reiche der Schmerzen ist die Frau allzeit Königin gewesen. Im Leiden und Dulden hat’s ihr der Mann nie gleich gethan. Ihm ist auch diese Kraft und zugleich Schwäche des Weibes nicht entgangen. Sein Egoismus hat sich dieselbe oft genug zu Nutze gemacht. Das lange Magdethum der Frau in ihrer gesellschaftlichen Stellung beruht wesentlich mit auf dieser Erkenntniß. Am stärksten aber prägte sich jene Selbstopferung des Weibes immer dann aus, wenn zwischen ihr und dem Manne die Liebe stand. Um ihrer Liebe willen hat die Frau das Höchste gethan, das Tiefste erlitten. Die schaffende und nachbildende Kunst hat diesen Duldersinn des Weibes vielfach ausgebeutet. Sie hat das Thema auf das Mannigfachste variirt, am schärfsten aber hat sie es ausgebildet, auf’s Aeußerste hat sie es gesteigert in der durch die ganze literarische Welt hin verbreiteten Geschichte der Griseldis.

Wer zählt die Thränen, welche in mehreren Jahrhunderten ihr geflossen sind, der rührenden Geschichte dieser treuen Dulderin, mag sie sich nun wiedergegeben haben auf alten vergilbten Blättern „gedruckt in diesem Jahr“, oder gefaßt in zierliche Reime in der Form des Epos, der Ballade und Novelle, oder in greiflicher Gestaltung auf den weltbedeutenden Bretern. Denn auch Griseldis hat, wie alle zu einem gewissen Classentypus herangewachsenen Figuren, im Laufe ihrer Wanderung durch die Völker und Zeiten, durch die Köpfe der Poeten gar manche Wandlung erfahren, und gerade in neuerer Zeit hat ihr die umbildende Hand eines geachteten Dramatikers ein eigenartig schillerndes, ziemlich modernes Kleid umgeworfen, gar sehr im Gegensatze zu dem altmodischen Schnitte, den sie in den Tagen ihrer ersten Kindheit trug.

In das Gewand der Schrift kleidete sie zuerst Boccaccio in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. „Griselda“ ist die letzte der Erzählungen seines Decamerone. Der gewandte Erzähler legt hier das faurnische Satyrgesicht, das aus den meisten seiner andern Geschichten hervorlugt, in durchaus ernste und gemessene Falten. Die Geschichte des Markgrafen Gualtieri und seiner Griselda beruht aber nicht auf seiner eigenen Erfindung, vielmehr folgte der Dichter, wie bei den meisten seiner Novellen, auch hier mündlichen Ueberlieferungen. Dies geht aus einem Briefe Petrarca’s an ihn deutlich hervor.

Hat Griseldis mit ihrem Schicksale, so fragen wir zuerst, wirklich existirt? Der Augustinermönch Jacobus Philippus von Bergamo im fünfzehnten Jahrhundert erwähnt in seinem Buche von bösen und ausgezeichneten Frauen ihrer als einer wirklichen geschichtlichen Person, ohne indeß die Zeit ihres Lebens angeben zu können. Auch der etwas spätere Foresti kann diese Zeit nicht feststellen, obwohl auch er an ihre Existenz glaubt. Bouchet in seinen Annalen von Aquitanien setzt ihr Leben in die Zeit um das Jahr 1025. Auch Nogouiers will in seiner Geschichte von Toulouse wissen, daß Griseldis während der Regierungszeit des Grafen Raimund des Ersten von Toulouse, im Anfange des elften Jahrhunderts als Frau des Grafen Walter von Saluzzo gelebt habe und als ein Spiegel von Geduld und Erniedrigung von verschiedenen Schriftstellern verherrlicht worden sei. Beide Schriftsteller gehören aber bereits dem sechszehnten Jahrhunderte an und mögen wohl erst durch Boccaccio und dessen Nachfolger von Griseldis Kunde erhalten haben. Markgrafen von Saluzzo, einem Landstriche im Piemontesischen, haben in der That mehrere Jahrhunderte lang bis hinein in das sechszehnte existirt, aber die Geschichte ihres Hauses weiß strenger Forschung nach von einem Grafen Walter und dessen Frau Griseldis nichts zu erzählen. Immerhin aber bliebe es möglich, daß doch unter diesen Markgrafen einer eine unstandesmäßige Heirath geschlossen und die nachdichtende Zeit dieses vielleicht an sich ganz einfache Verhältniß mit allerlei phantastischen Zuthaten versehen habe. Allen sagenhaften Volksüberlieferungen liegt doch meist irgend ein wahrer Kern zu Grunde.

Die Sagenbücher des Mittelalters behandeln überdies das Thema von der treuen Liebe und der ausharrenden Geduld des Weibes mit besonderer Vorliebe. Da ist die Geschichte von der treuen unschuldig leidenden Genoveva; von der gleichfalls der Untreue falsch beschuldigten und in’s Elend gestoßenen Dusolina, der Gemahlin Kaiser Octavian’s; von der Herzogin Hirlanda, einem gleichen Opfer verleumdeter Unschuld; von der schönen Magellone, welche ein widriges Geschick von Peter von Arragonien, zu dem sie sich kaum in Liebe gefunden, trennt bis zu endlicher Wiedervereinigung; von der Königstochter Bertha von Ungarn, welche eine ränkevolle Amme um den rechtmäßigen Besitz des ihr bestimmten Gemahls Pipin von Frankreich bringt, bis die Treulosigkeit an den Tag kommt und die still ausharrende Liebe den Sieg gewinnt.

Da ist die Geschichte von Pontus und Sidonia, die sich keusche Liebe geloben und diese trotz Anfechtung und Gelegenheit bis hinein in die Nacht des Kerkers bewahren. Da ist weiter der französische Roman von der treuen „Esche“, deren Verbindung mit dem geliebten Ritter Bruon ihre unbekannte Herkunft hindernd entgegensteht und die es dann in selbstloser Liebe geschehen läßt, daß der Ritter auf Drängen seiner Unterthanen eine ebenbürtige Braut nimmt, welcher sie neidlos die Hochzeit bereitet, bis noch in letzter Stunde an der Schwelle des Brautbettes ihre adlige Geburt sich enthüllt und sie mit dem Geliebten sich vereinigen kann. Hier bleibt das damals so tief eingewurzelte Standesvorrecht gewahrt, während in Griseldis es von der Liebe überwunden wird.

Boccaccio giebt unsere Geschichte noch einfach, nüchtern, ohne tiefere Motivirung, so als ob sich das Alles von selbst verstände. Gualtieri, Markgraf von Saluzzo, hat seine Zeit mit Jagd und Vogelfang zugebracht, ohne an’s Heirathen zu denken, ein Entschluß, der in Boccaccio’s Augen für sehr weise gilt. Seine Unterthanen drängen ihn indeß lebhaft zur Eingehung einer Ehe; sie wollen ihm sogar die Braut selbst besorgen. Das will sich Gualtieri aber doch nicht nehmen lassen, er verlangt nur, daß sie seiner Wahl sich willenlos fügen. Er kennt auch bereits ein schönes Bauernmädchen, Griselda, das heimlich sein Gefallen erregte. Diese beschließt er zu wählen, weil denn einmal geheirathet sein muß. Er läßt ihren Vater kommen und verkündet ihm seinen Entschluß. Dann zieht er mit den Freunden aus, die Braut abzuholen. Er trifft sie am Brunnen beim Wasserschöpfen, geht in’s Haus, um nochmals beim Vater um sie zu werben, und läßt sich von Griselda versprechen, daß sie sich jederzeit in seinen Willen ergeben und über nichts murren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_826.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)