Seite:Die Gartenlaube (1876) 827.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

wolle, was er auch beginne. Dann setzt er ihr den Brautkranz auf und stellt sie dem verwunderten Gefolge vor. Sie wird festlich geschmückt und die Hochzeit feierlich begangen. Griselda findet sich vortrefflich in die neuen Verhältnisse. Beide Gatten leben glücklich. Erst als sie eine Tochter gebar, gerieth Gualtieri, wie es in der Erzählung heißt, auf den sonderbaren Einfall, die Demuth seiner Gemahlin zu prüfen. Er spiegelt ihr vor, das Volk sei unzufrieden, weil es kein Sohn sei, den sie ihm geschenkt habe. Dann läßt er durch einen Diener ihr das Kind so abfordern, daß sie glauben muß, es werde getödtet.

Nach einiger Zeit gebiert Griselda einen Sohn. Hier wiederholt sich das Gleiche, nur daß der Graf sich jetzt darauf beruft, daß das Volk sich unwillig erweise über die Enkelschaft eines Bauern.

Nach etlichen Jahren, geht die Erzählung weiter, fand der Markgraf es an der Zeit, seinem Weibe auch die letzte Prüfung aufzulegen. Er verstößt unter dem Widerspruche der Freunde, welche Giselda längst sich gewann, die Gattin auf Grund eines falschen Scheidebriefes. Sie will gehen, so wie sie gekommen ist, und bittet demüthig nur um ein Hemd, ihre Blöße zu bedecken. Der versammelte Hof, die Freunde des Markgrafen, vor deren Augen die Verstoßung vor sich geht, bitten, er möge ihr wenigstens das Kleid schenken, das sie trüge. Diese Bitte war, wie es in der Erzählung heißt, vergeblich, und Griselda mußte, beweint von Allen, die sie sahen, barfuß und im bloßen Hemde das Schloß verlassen. Der Vater empfängt sie ohne Groll, ja selbst ohne Verwunderung. Er findet es ganz in der Ordnung, daß der hochgestellte Fürst das Kind eines hörigen Bauern wieder verläßt sobald es ihm gefällt. Er hat, dies voraussehend, auch Griseldens alte Kleider sorglich aufbewahrt.

Nach geraumer Zeit läßt der Markgraf verkünden, daß er wieder heirathen wolle, und läßt Griselden sagen, daß sie kommen möge, sein Haus zu säubern und zu putzen und die Ehren desselben zu vertreten. Nach der Hochzeit könne sie wieder gehen. Griselda folgt diesem tiefverletzenden Rufe. Sie empfängt trotz der Dürftigkeit ihrer Kleidung die neue Braut mit dem Anstande einer Dame. Auch hier erbitten die Damen des Hofes vergeblich für sie bessere Gewänder. Mit neidloser Demuth erkennt sie die Vorzüge der neuen Braut an, und nur eine einzige Herbe schleicht sich in ihre Rede, indem sie bittet, daß der Graf jener die Kränkungen nicht anthun möge, die er seiner ersten Gemahlin zugefügt habe, denn sie fürchtet, diese würde um ihrer Jugend und weichlicheren Erziehung willen sie nicht aushalten. Nun endlich glaubt Gualtieri, von der Geduld seiner Gemahlin genügende Beweise zu haben. Er zeigt ihr in der Braut die eigene, inzwischen herangewachsene Tochter und führt ihr auch den Sohn wieder zu. Und wie rechtfertigt er seine Handlungsweise ihr gegenüber? Einfach damit, daß er sagt, er habe sie lehren wollen, wie man sich als Frau betrage, und sich eine lebenslängliche gewisse Ueberzeugung von ihrer Treue verschaffen wollen. Griselda ist mit dieser Auflösung ganz zufrieden. Sie weint sogar vor Freude. Auch unter den anwesenden Höflingen und Unterthanen war die Freude allgemein. Man lobte zwar den Verstand des Markgrafen, hielt aber doch die der Griselda auferlegte Buße für etwas zu hart und bewunderte um so mehr deren Tugend. Beide Gatten leben nun noch viele Jahre in wahrhaftem Glücke.

Diese Novelle des Boccaccio übertrug nun in etwas veränderter Fassung dessen Freund und Zeitgenosse, der große Dichter der Liebe, Petrarca, in’s Lateinische, und diese Petrarca’sche Nachdichtung kam nach Deutschland, wurde von Heinrich Steinhörtel übersetzt und in dieser Uebersetzung unter dem Titel: „Dieß ist ein epistel Francisci petrarchi von großer stätigkeit einer frowen Grisel gehaissen 1471. bei Günther Zainer in Augsburg“ zum Volksbuche, das bis zum Jahre 1620 sechszehn Ausgaben erlebte. Petrarca machte aus der Griselda eine Griseldis, milderte die fast grausame Härte im Auftreten des Markgrafen vielfach und suchte durch längere Reden, die er den handelnden Personen in den Mund legte, deren Handlungsweise besser zu motiviren. In der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts erschienen in Deutschland wieder zwei neue Uebertragungen der Petrarca’schen Griseldis von dem gekrönten Poeten Fiedler von Reichenbach und dem Capuzinerpater Martinus von Cochem. Auch im achtzehnten Jahrhunderte erschien eine neue illustrirte Ausgabe als „anmuthige Historie von dem Markgrafen Walter, darinnen dessen Leben und Wandel und was sich mit ihm zugetragen, dem günstigen Leser kürzlich vor Augen gestellt wird, auf’s Neue mit schönen Figuren gezieret und verbessert. Gedruckt in diesem Jahr.“ Aus diesen verschiedenen Ausgaben setzen sich nun auch die neuerschienenen Volksbücher von O. Marbach, Simrock und G. Schwab zusammen.

Aber nicht blos in Deutschland wurde Griseldis heimisch, sie nahm auch ihren Weg nach Frankreich, Holland, England, Dänemark und Schweden, selbst bis in das ferne Eiland von Island.

In England goß sie schon dreißig Jahre nach dem Erscheinen von Boccaccia’s „Decamerone“ Chaucer in Reime. Der Dichter kommt dabei zu der Schlußbemerkung, daß eine solche Demuth in Italien und auch sonst wohl nicht mehr vorkomme und es kaum räthlich erscheine, ein Eheweib so wie sie zu prüfen. Wer es versuche, dürfte wohl, statt des Sieges sich zu erfreuen, es zu spät bereuen. Wurde die Geschichte der Griseldis in England zur Ballade, so wurde sie in Spanien zur Romanze. In Frankreich bestieg sie schon am Ausgang des vierzehnten Jahrhunderts die Bühne. In Deutschland brachte sie Hans Sachs auf die Breter. Er läßt dieselbe in fünf Actus und mit dreizehn Personen getreu nach der Ueberlieferung sich nach einander abwickeln und ist dabei so wenig auf das Einheitsgesetz des Aristoteles bedacht, daß er den Markgrafen in einem Acte zweimal Kindtaufe halten läßt. In der Schlußmoral, ohne die es bei unserm braven Schuster nie abgeht, zieht derselbe aus der Geschichte drei beherzigenswerthe Lehren: Erstens sollen die Mütter ihre Töchter nicht zu zart, sondern arbeitsam in Häuslichkeit und Tugend erziehen, sollen ihren Starrsinn brechen, damit sie schon zeitig lernen im Stande der Ehe geduldig alles Wohl und Wehe zu tragen. Zweitens soll die Frau lernen unterthan sein dem Manne, weil der Mann des Weibes Haupt sei, wie’s Gott gebot im Anfange.

Denn durch ihre Geduld und Demuth,
Ueberwindet sie das Bös’ und Gut’
Und wird durch ihre gütige Geberd’
Dem Manne angenehm, lieb und werth.

Drittens soll aber auch der Mann sein Weib halten „schön“ und lieben wie seinen eigenen Leib, also daß zwischen Mann und Weib Fried’, Lieb’ und Treue aufwachs. Solches wünsche er, Hans Sachs.

Auch englische Dramatiker bemächtigten sich des Stoffes; nur der große Shakespeare, der die Boccaccio’schen Novellen sonst ziemlich stark benutzte, hat sich von demselben nicht begeistern lassen. Doch hat er in Cymbeline einen verwandten Stoff, dem auch das Thema der geprüften und verleumdeten Frauentreue zu Grunde liegt, nach der Boccaccio’schen Novelle „Frau Ginevra“ behandelt. Englische Komödianten führten die Komödie von der „geduldigen Grisill“ im siebenzehnten Jahrhundert in Deutschland an den Höfen von Dresden und Torgau auf.

Um dieselbe Zeit, nur etwas später, führte Perrault „Griseldis“ als gereimte Novelle den Pariserinnen vor. Er will sie, sagt er in den einleitenden Strophen, ihnen nur als Gegengift geben, sogar nur als Stoff zum Lachen, denn die „Patience“ sei keine Tugend der Damen von Paris, wohl aber hätten dieselben durch eine lange Uebung die Kenntniß erlangt, sie durch ihre eigenen Gatten ausüben zu lassen.

Perrault’s Marquis Walter ist ein Melancholiker, der alles Weibliche für treulos und betrügerisch hält und deshalb geschworen hat, nicht zu heirathen. Als man ihn zu bestimmen sucht, diesem Gelübde untreu zu werden, entwirft er eine nicht eben schmeichelhafte Schilderung der Frauennatur, zu der jedenfalls seine damaligen Landsmänninnen Modell gesessen haben. Wenn sie ihm Eine brächten, sagt er den Andrängern, die alle die Gebrechen der Anderen nicht besitze und vor allen Dingen keinen eigenen Willen habe, die wolle er heirathen. Sagt’s und geht zur Jagd. Da verirrt er sich, trifft auf eine junge Bäuerin und findet in ihr das geträumte Frauenideal. Nach der Hochzeit verfällt er wieder in die alte melancholische Stimmung. Die große Tugend seiner Frau wird ihm mit der Zeit geradezu lästig. Er hört auf Verleumder, beargwöhnt seine Frau, sperrt sie ein, hält sie ängstlich von der Welt und ihren Vergnügungen fern, nimmt ihr den Schmuck, den er ihr eben erst schenkte, wieder ab, und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_827.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)